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"Das Wichtige sind immer die Fragen und weniger die Antworten"

Oft entsteht der Eindruck, dass die Wissenschaft von Durchbruch zu Durchbruch eilt. Dabei halten viele Hypothese einer empirischen Überprüfung nicht stand. Das "Journal of Unsolved Questions" widmet sich der ergebnislosen Forschung - und zeigt, dass auch der Misserfolg Fortschritt bedeuten kann.

Thomas Jagau im Gespräch mit Manfred Götzke | 28.02.2011
    Manfred Götzke: Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein Freund des Superlativs: In mühevoller Kleinst- und nicht Kleinarbeit habe er seine Doktorarbeit angefertigt als junger Familienvater und neben seinem Politikerjob. Das hat Guttenberg vor gut einer Woche verkündet. Das geht vielen Nachwuchswissenschaftlern so, die dann auch noch alles selber machen. Jahrelang empirische Forschung betreiben ... ja, und dann gibt es noch nicht mal ein richtiges Ergebnis. Denn in der Wissenschaft ist es ja so: Nicht jede Hypothese lässt sich empirisch bestätigen. Aber auch ergebnislose Forschung ist etwas wert, das sagen jedenfalls die Macher des "Journal of Unsolved Questions". Dieses weltweit einmalige Projekt wurde jetzt ins Leben gerufen, und darin werden eben wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die ergebnislos abgeschlossen wurden. Einer der zwei Redakteure des Journals ist Thomas Jagau - ich grüße Sie, Herr Jagau!

    Thomas Jagau: Guten Tag, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Jagau, bieten Sie den frustrierten Wissenschaftlern mit der Veröffentlichung in Ihrem Journal einen Trostpreis an, wenn schon kein Ergebnis erzielt wurde?

    Jagau: Ich denke, es sollte mehr sein als ein Trostpreis, denn das impliziert ja die Wertung, dass gute Resultate nur positive Resultate sind. Das widerspricht eigentlich dem Geist der Wissenschaft unserer Meinung nach, denn die Qualität von Wissenschaft sollte sich eigentlich nicht danach richten, ob das Resultat nun positiv oder negativ ist.

    Götzke: Das müssen Sie mir mal näher erklären! Also warum sind negative Resultate auch gute Resultate?

    Jagau: Es ist eigentlich so, dass eben Wissenschaft darin besteht, dass man das Ergebnis vorher nie kennt, und insofern ist es wichtig, auch Resultate zu dokumentieren, die eben nicht positiv sind. Unser Beispiel, was man da anführen könnte, wäre die organische Chemie, wo man eben zum Beispiel häufig Reaktionszyklen hat, die sehr häufig ohne Probleme funktionieren, und dann probiert man das am nächsten Beispiel aus, das eigentlich völlig analog ist, aber da funktioniert die Reaktion dann nicht mehr. Und man kann sich das dann nicht erklären, aber es ist ja trotzdem so, dass diese Tatsache eigentlich eine Tatsache ist, die man dokumentieren sollte.

    Götzke: Damit andere Forscher das dann nicht noch mal vergeblich versuchen.

    Jagau: Damit andere Leute nicht dasselbe wieder probieren und wieder scheitern. Und insofern, denke ich, ist es wichtig, solche negativen Resultate zu dokumentieren.

    Götzke: Wie verbreitet ist denn dieses Phänomen, dass Forschung ergebnislos bleibt und dass diese Ergebnisse oder die nicht vorhandenen Ergebnisse dann eben nicht publik werden?

    Jagau: Es ist eigentlich der Regelfall, denn in der Öffentlichkeit, denke ich, entsteht immer so der Eindruck, dass Wissenschaft von Durchbruch zu Durchbruch eilt, aber eigentlich ist es ja nun ein Geschäft, was in mühevoller Kleinarbeit erreicht wird. Und 90 Prozent der Versuche, die man so durchführt, funktionieren nicht. Und das, glaube ich, ist in der Öffentlichkeit nicht so wirklich bekannt, wie mühsam das Geschäft eigentlich ist.

    Götzke: Soll das Journal Ansporn sein, sich die ungelösten Fragen vielleicht noch mal vorzunehmen, oder warnen Sie eher davor, nach dem Motto, dieses Thema lässt sich ohnehin nicht klären?

    Jagau: Es soll zunächst mal Dokumentationsaufgabe erfüllen und dann sowohl den Leuten, je nachdem, wie sie das eben selber einschätzen, Ansporn sein, es selber zu probieren, oder eben auch Warnung, es nicht zu probieren. Und wir haben ja in dieser Beziehung zwei Formate, nämlich einmal die Artikel, wo man eben negative Ergebnisse einreichen kann, und als zweites Format noch die open questions, wo man keine eigenen Ergebnisse formulieren soll, sondern eine Frage erläutern soll, von der man denkt, dass sie von großer Bedeutung für einige Bereiche der Wissenschaft ist. Und dieses zweite Format, denke ich, geht eher in die Richtung, Ansporn für andere Leute zu sein.

    Götzke: Das heißt, fehlende Ergebnisse oder negative Ergebnisse spornen die Wissenschaft an, bringen sie weiter?

    Jagau: Natürlich. Das Wichtige sind immer die Fragen und weniger die Antworten.

    Götzke: Vielen Dank, Herr Jagau, für das Gespräch!

    Jagau: Bitte, bitte!

    Mehr Info:

    Thomas Jagau ist Promotionsstudent an der Universität Mainz, wo auch die Idee zum Journal of Unsolved Questions entstanden ist.