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"Das wichtigste Kriterium ist Sicherheit"

Bund und Länder haben sich darauf verständigt, die Suche nach einem Atommüll-Endlager neu zu beginnen. "Kein Land kann jetzt erklären, im Grunde kommt ein Endlager bei uns nicht infrage", betont Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). Eine Kommission wird nun wissenschaftliche Kriterien festlegen.

Robert Habeck im Gespräch mit Christine Heuer | 10.04.2013
    Christine Heuer: Ein großer Schritt, eine historische Entscheidung – so feierten Vertreter aller Parteien gestern ihre Einigung auf das Endlager-Suchgesetz. Mit ihm soll gelingen, was 35 Jahre lang nicht möglich war: die ergebnisoffene Suche nach einem sicheren Endlagerstandort für radioaktiven Müll. Egal wo der am Ende liegt, und es muss eben nicht Gorleben sein, dieser Standort soll akzeptiert werden. Kaum vorstellbar von heute aus betrachtet, aber ein bisschen Zeit ist ja noch bis zur endgültigen Entscheidung. Die soll 2031 fallen. Am Telefon begrüße ich Robert Habeck, den Umweltminister von Schleswig-Holstein. Der Grüne ist auch stellvertretender Ministerpräsident, das sei noch einmal gesagt. Guten Morgen, Herr Habeck.

    Robert Habeck: Guten Morgen!

    Heuer: Sigmar Gabriel spricht von einer historischen Entscheidung. Dabei, Herr Habeck, haben Sie gestern eigentlich ja nur einen Arbeitskreis gegründet. Was ist daran historisch?

    Habeck: Nein, ein bisschen mehr ist es schon, weil es dann doch letztlich mit einem großen Unterstreichen gelungen ist, alle Länder, alle Parteien, Die Linke war nicht dabei, aber die meisten Parteien einzusammeln und auf ein gemeinsames Verfahren zu einen, das ergebnisoffen ist und damit letztlich Gorleben auch abräumen kann. Das ist mehr als ein Arbeitskreis, sondern das sind Spielregeln für ein neues Spiel, das jetzt angepfiffen wird.

    Heuer: Das sind Spielregeln, Verfahrensfragen, aber keine Inhalte stecken darin. Die Empfehlungen der Kommission sind dann ja auch nicht mal bindend für die Politik. Ist das nicht ein bisschen wenig?

    Habeck: Na ja, es ist der Umkehrschluss zu dem, was man gemacht hat mit Gorleben. Dort wurde politisch entschieden, wir legen da mal ein Endlager hin beziehungsweise es wurde sich politisch darum beworben, damals der Ministerpräsident Albrecht aus Niedersachsen. Aber in diesem Fall macht man es jetzt genau gegenteilig und sagt, wir versuchen, über einen transparenten, lange dauernden, nachvollziehbaren und auch öffentlich zu diskutierenden Weg Kriterien festzulegen, dann Standorte auszuwählen, dann die zu vergleichen und dann die Entscheidung zu treffen. Da muss man sich jetzt entscheiden, was man will: die beste Lösung und die bestnachvollziehbare Lösung, oder ein Hauruckverfahren. Und wir haben uns – und das finde ich ausdrücklich richtig – für den langen, mühseligen und schwierigen Weg entschieden, aber der ist dann eben auch lang und mühselig. Das dann zu kritisieren, bedeutet im Umkehrschluss, dass man sagt, Politik soll einfach mal sagen, wo ist denn der geringste Widerstand oder welches Land muss mal abgestraft werden. Und das hielte ich dann auch für falsch.

    Heuer: Dann hoffen wir, dass das diesmal klappt. Die Kommission soll Kriterien für ein Endlager entwickeln, erster Schritt. Können Sie allgemein verständlich Ihre wichtigsten Kriterien nennen?

    Habeck: Das wichtigste Kriterium ist Sicherheit. Und das muss man übersetzen in dann die verschiedenen Anforderungen an Standorte. Es gibt ja bestimmte Studien, die jetzt schon vorliegen. Die beziehen sich sowohl auf Salzstöcke wie auf Tonsteine wie auf Granit. Das sind die drei Wirtsgesteine, von denen man gemeinhin redet. Und dann analysieren die Standorte nach Durchlässigkeit, nach Dichtigkeit, nach Stabilität. Dann gibt es sicherlich externe Faktoren wie Erdbebengefährdung oder andere, Bodenerosion und so weiter, und daraus wird dann ein umfängliches Anforderungsprofil entwickelt, dem sich dann die Standorte anpassen müssen. Im Grunde stelle ich mir das so vor, dass man wie in einem oberirdischen Planfeststellungsverfahren, wenn man beispielsweise eine Stromtrasse baut, quasi eine unterirdische Raumanalyse vornehmen kann und sagen kann, da ist diese Bedingung erfüllt, aber jene ist nicht erfüllt, und daraus ergibt sich Folgendes. Und dann bleiben ein paar Standorte über, die dann natürlich genauer angeschaut werden müssen.

    Heuer: Herr Habeck, jetzt wissen wir aber nicht, welchen Standort Sie im Sinn haben. Haben Sie einen im Sinn, außer Gorleben versteht sich?

    Habeck: Ich habe keinen im Sinn: Und das sage ich ganz ehrlich und ganz offen, und Gorleben habe ich nicht im Sinn. Das verbietet der Prozess auch. Wenn jetzt einer sagt, ich kann mir alles Mögliche vorstellen, aber es muss in Bayern sein, dann macht er alles kaputt. Der ganze Weg ist nur möglich geworden, weil Winfried Kretschmann gesagt hat: Lasst uns von vorne anfangen und Baden-Württemberg ist dabei. Dieser Schritt, dieser unübliche Schritt, dass jemand sagt, ja, das kann auch was für mein Land bedeuten, der hat diesen Weg erst möglich gemacht. Man würde mit dem Hintern einreißen, was man jetzt mit den Händen aufgebaut hat, wenn man jetzt das Spekulieren darüber eröffnet, wo das überall sein kann und was nicht sein kann und wo ausgeschlossen werden könnte.

    Heuer: Aber na ja, Herr Habeck, das ist ja die entscheidende Frage, die politische. Sie haben jetzt zwei Bundesländer genannt, Bayern und Baden-Württemberg.

    Habeck: Das war gegriffen. Nicht, dass die Bayern und Baden-Württemberger da jetzt anrufen und sagen, der Habeck hat uns ins Spiel gebracht. So war das überhaupt nicht gemeint. Ganz Deutschland, Schleswig-Holstein, alle sind betroffen. Jetzt wird noch mal offen gesucht.

    Heuer: … sind aber gute Beispielländer. Bayern zum Beispiel hat ja schon erklärt, im Grunde kommt ein Endlager bei ihnen nicht infrage. Sie waren gestern bei den Verhandlungen dabei. Haben Sie den Eindruck gewonnen, dass die Bayern von dieser Position abzurücken bereit sind?

    Habeck: Kein Land kann jetzt erklären, im Grunde kommt ein Endlager bei uns nicht infrage. Man kann das hoffen, man kann Argumente vorbringen und sagen, folgende Sachen sprechen dagegen, aber das Gesetz – und darauf haben sich ja nun alle geeinigt, auch Bayern war mit am Tisch und Schleswig-Holstein und alle anderen Länder waren mit dabei, haben gesagt, wir starten dieses Gesetz so und dann gibt es wissenschaftliche Kriterien, und da, wo die hinpassen, da wird dann auch erkundet. Das ist die Unsicherheit, die jetzt sich alle eingekauft haben. Alle anderen Äußerungen dazu sind private Äußerungen von Politikern, die haben aber rechtlich keine Bedeutung, wenn dieses Gesetz so durchgeführt wird.

    Heuer: Aber, Herr Habeck, was Sie da sagen heißt ja ganz klar, das politische Hauen und Stechen steht noch bevor und es wird dann beginnen, wenn Standorte konkret angeguckt werden.

    Habeck: Ja! Aber Politiker sind klug beraten, wenn sie sich an die Idee des Gesetzes halten, dass man tatsächlich jetzt hier wissenschaftliche Kriterien festlegt. Völlig richtig: Jetzt beginnt die Kommission. Die Kommission wird Kriterien festlegen. Und es gibt ja sozusagen den üblichen Verdacht, ich kaufe mir einen Gutachter und dann schreibt der mir schon auf, was ich darin lesen will. Über diese Kriterien wird sicherlich gerungen werden. Aber ich für meinen Teil habe mir vorgenommen – und ich hoffe, dass sich da möglichst viele Kollegen dran halten; auch darüber wurde gestern noch mal gesprochen und der Vorsatz ist jedenfalls da -, dass die wissenschaftlich erarbeitet werden und nicht politisch. Also dass man nicht sagt, weil wir da und da eine Landtagswahl haben, muss folgendes Kriterium herausgenommen werden aus dem Topf. Das kann nicht sein, das würde alles kaputt machen. Aber Sie haben völlig Recht: Das Eingemachte kommt jetzt erst noch. Aber trotzdem ist das Gesetz, das da verabschiedet wurde, in dem Verfahren, das wir beschreiben, deutlich besser und das bestmögliche, was der Politik einfiel, gegenüber dem, was wir in Gorleben hatten.

    Heuer: Herr Habeck, lassen Sie uns über Zwischenlager sprechen. Die kommen vor dem Endlager. Schleswig-Holstein, Sie und Baden-Württemberg sind ja bereit, Atommüll zu nehmen, der jetzt noch in La Hague und Sellafield liegt. Und die anderen Bundesländer halten sich bedeckt. Welche weiteren Bundesländer sollen denn nach Ihrer Ansicht Castoren aufnehmen?

    Habeck: Wer immer es möchte oder wer immer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Aber in der Tat: Das ist ein Punkt, der mich sehr wurmt. Und das ist nicht nur einer, der noch hinten drangeklatscht ist, weil ja Niedersachsen der ganzen Gesetzesvereinbarung nur zugestimmt hat, wenn keine weiteren Castortransporte nach Gorleben gehen. Das halte ich ausdrücklich für richtig und für nachvollziehbar. Viele Menschen, viele Grüne haben sich im Wendland kalte Füße geholt und gesagt, hier kein Endlager durch die Hintertür, indem das Zwischenlager in Gorleben immer weiter befüllt wird. Und entsprechend müssen dann andere Zwischenlager - an den Atomkraftwerken gibt es ja große, große Bunkerhallen -, wo diese Castoren, die jetzt aus den AKW kommen, zwischengelagert werden. Da müssen die Dinger dann hingehen.

    Heuer: Aber wer soll es nehmen außer Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg?

    Habeck: Na ja, jeder, der ein Zwischenlager hat, kommt infrage, das zu nehmen. Es gibt ein Kriterium, das immer der Bundesumweltminister ins Spiel gebracht hat: Das ist die Kürze der Transportwege. Deswegen haben immer alle auf Brunsbüttel geschaut und ich räume ein, das ist ein Kriterium. Aber ich betone: eins! Es gibt noch viele andere: die Sicherheitsanalysen der Standorte. Und man muss auch sagen, die politische Situation ist ein Kriterium. Baden-Württemberg hat einen Antrag der CDU-Landtagsfraktion vorliegen, keine Zwischenlagertransporte nach Baden-Württemberg. Ich habe einen von der FDP vorliegen: alles nach Gorleben. Also es wäre im Grunde auch nicht schlecht, wenn sich mal die schwarz-gelben Parteifreunde fragen würden, ob sie nicht auch Verantwortung übernehmen. Was jedenfalls nicht sein kann, ist, dass alle "nationalen Konsens" brüllen und dann ein oder in diesem Fall zwei Länder die Büttel sind, um diesen Konsens zu tragen. So läuft es nicht. Ich finde es schon richtig, …

    Heuer: Herr Habeck, aber wie wehren Sie sich dagegen, wenn die nicht die Hand heben? Sagen Sie Nein im Bundesrat zum Gesetz?

    Habeck: Es gibt ja eine Vereinbarung, die heißt, diese Zwischenlagertransporte sind mit den Ländern zu vereinbaren. Und mit uns kann man was vereinbaren. Wir verhalten uns anders als die anderen Länder. Das ist in Ordnung. Aber da fehlen eben welche. Wir werden nicht die ganze Last alleine tragen. Das Gesetz ist völlig unabhängig davon. Das Gesetz regelt nicht die Zwischenlagerfrage, sondern das sind Vereinbarungen, die gegebenenfalls mit den Konzernen dann ausgehandelt werden müssen, drumherum. Deswegen kann ich im Bundesrat, wenn das ein gutes Gesetz ist, dem wunderbar zustimmen, deswegen ist die andere Frage trotzdem nicht gelöst. Und deswegen ist es ein bisschen Euphorie zu viel gewesen gestern.

    Heuer: Lassen Sie uns noch ganz kurz über die Kosten sprechen. Die Atomindustrie sagt heute schon, sie wollten eine neue Erkundung eigentlich nicht bezahlen. Kommen sie damit durch?

    Habeck: Das darf nicht sein. Die Atomindustrie hat mit den Atomkraftwerken große Gewinne, riesige Gewinne gemacht. Die Endlagerfrage ist nie richtig geklärt worden und die Kosten müssen bei den Stromversorgern bleiben. Das ist Konsens zwischen allen Beteiligten gewesen, auch den CDU- und FDP-Vertretern, die in der Runde waren. Das Gesetz soll das sicherstellen. Wir haben gestern noch mal lange darüber geredet - das ist auch eine Bedingung, die Schleswig-Holstein gestellt hat, wenn es bereit ist, einen Teil der Zwischenlagerung zu übernehmen, dass wir nicht darauf hängen bleiben, weil die Kosten nachher bei der Allgemeinheit bleiben und der Staat sagt, das wird uns alles zu teuer -, wie wir das genau machen. Ich bin mir sicher, dass wir eine rechtssichere Regelung hinbekommen, dass die Stromkonzerne dann die Kosten auch tragen.

    Heuer: Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein. Danke für das Gespräch.

    Habeck: Gerne!

    Heuer: Tschüss!

    Habeck: Tschüss!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.