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"Das wird Streit geben innerhalb der Koalition"

SPD-Fraktionschef Peter Struck hat den Mindestlohn für Briefzusteller als einen Durchbruch für die Sozialdemokraten bezeichnet. Jetzt hoffe er auch auf Vereinbarungen für andere Wirtschaftszweige, sagte Struck. Bis März wollen man Anträge von Branchen entgegennehmen, die ebenfalls in das Entsendegesetz aufgenommen werden wollen. Struck rechnet in dieser Frage allerdings mit weiterem Streit innerhalb der Koalition.

Moderation: Dieter Müller | 30.11.2007
    Dieter Müller: Die Verwerfungen, die schlechte Stimmung in der Großen Koalition - warum nicht nur Franz Müntefering so richtig sauer war, warum die SPD Angela Merkel Wortbruch vorgeworfen hat, ging alles zu einem großen Teil auf den Streit um den Post-Mindestlohn zurück. Jetzt sieht zumindest dieser Aspekt ganz anders aus, da Änderungen im Tarifvertrag zwischen Ver.di und dem Arbeitgeberverband Postdienste es wohl nun möglich gemacht haben, dass auch die Unionsfraktion zustimmen kann und zustimmen wird zu einem Post-Mindestlohn. Die Frage des gesetzlichen allgemeinen Mindestlohns aber bleibt weiterhin ungeklärt. [...] In Berlin am Telefon ist nun SPD-Fraktionschef Peter Struck. Guten Morgen.

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Struck, warum hat die Kanzlerin denn nun doch Wort gehalten?

    Struck: Ich glaube, dass der öffentliche Druck, hier einen Mindestlohn zu erreichen für die Briefzusteller, für diejenigen, die bei Wind und Wetter Briefe zu verteilen haben, doch ausgereicht hat, um sie zu einer Umkehr zu bewegen. Das Entscheidende ist, es ist ein großer Erfolg, abgesehen von dem politischen Bereich, ein großer Erfolg für die betreffenden Briefzusteller, die da teilweise zu Hungerlöhnen die Briefe verteilt haben.

    Müller: Also hatte Angela Merkel nie vor, das Wort zu brechen?

    Struck: Es ist ja im Grunde strittig in solchen Fragen, Herr Müller, ob sie ihr Wort gegeben hat oder nicht. Sie behauptet, sie habe es nicht gegeben. Ich habe gesagt, sie hat es gegeben. Im Grunde zählt jetzt nur das Ergebnis, und das Ergebnis ist schon ein großer Erfolg, ein Durchbruch auch für die SPD, auch in Bezug auf andere Branchen, die dann doch sicherlich noch kommen werden.

    Müller: Und die Klugen und die Cleveren in dieser Auseinandersetzung waren und sind die Tarifparteien?

    Struck: Ich muss schon einen großen Dank aussprechen, vor allen Dingen auch an Ver.di und an Herrn Zumwinkel von der Post AG, die sich nun wirklich bemüht haben klar zu machen über diesen neuen Tarifvertrag, dass nicht jeder, der irgendwann einmal im Jahr einen Brief zum Beispiel als Taxifahrer von A nach B befördert, unter diese Regelung fällt. Das war auch nie beabsichtigt von uns. Aber es ist jetzt völlig klar, dass auch Unternehmen, die Betriebe oder Abteilungen ausgliedern und dann von dort aus Briefe verteilen lassen, unter diesen Mindestlohntarifvertrag fallen. Das war für uns das Wichtigste.

    Müller: Lobbyarbeit und Lobbydruck, Herr Struck, das war auch ein Thema in den vergangenen Wochen und Monaten. War das jetzt Lobby für die gelbe Post?

    Struck: Nein, es war auch eine Konsequenz der Tatsache, dass wir ab 1. Januar ja einen völlig liberalen Briefdienstmarkt haben. Denn das Monopol fällt weg, und man muss schon darauf achten, dass wir gleiche Bedingungen haben, dass also nicht über Dumpinglöhne plötzlich vom Ausland her dieses Postmonopol so ausgehöhlt würde, dass man sagen muss, da werden wirklich weiter zu Hungerlöhnen Briefe verteilt, und das geht auch nicht.

    Müller: Es gibt ja noch andere Anbieter als die gelbe Post. Mehrere Unternehmen versuchen ja, sich auf diesem Markt zu behaupten und zu platzieren. Wenn es dort jetzt aufgrund dieses Mindestlohns zu Arbeitsplatzverlusten kommt, übernehmen Sie dann die Verantwortung?

    Struck: Ja, es ist immer diese Debatte. Wenn wir einen Mindestlohn festlegen, gibt es Unternehmen, die behaupten, sie könnten diesen Mindestlohn nicht bezahlen und würden Arbeitnehmer entlassen müssen. Das glaube ich nicht, denn die Betriebe, zum Beispiel PIN AG oder auch TNT, zwei große Firmen, werden mit Sicherheit versuchen, sich diesen Markt zu erobern über bessere Serviceleistungen oder wie auch immer. Ich glaube, dass dieser Mindestlohn, der jetzt für die Briefdienstleister gilt, also für die Briefzusteller vor allen Dingen gilt, ein großer Erfolg dann auch für diejenigen ist, die in diesem Bereich arbeiten. Und ich glaube, dass PIN AG und auch TNT diesen Lohn natürlich zahlen müssen, Herr Müller.

    Müller: Aber können wir jetzt wieder unter dem Strich festhalten bei einer Arbeitsthese: Die SPD macht mal wieder die Arbeit teurer?

    Struck: Nein, so würde ich das natürlich nicht sagen. Es geht ja wirklich darum, dass man hier feststellen muss, wir wollen auch unseren heimischen Markt schützen vor ausländischen Anbietern. Und wir können nicht zulassen, dass jemand zu Hungerlöhnen arbeitet, zu einem Stundenlohn von unter fünf Euro oder sechs Euro, während in anderen Bereich dann von der Post AG zum Beispiel ein Lohn von 9,80 Euro gezahlt wird.

    Müller: Aber in der Postbranche wird die Arbeit teurer.

    Struck: Ja, man muss einen Punkt schon mal festhalten, wenn man wirklich der Theorie folgen sollte, was ich nicht für richtig halte, Geiz ist geil, dann wird eine Situation entstehen, wo wirklich viele Leute zu unangemessenen Löhnen, zu niedrigen Löhnen arbeiten müssen. Jeder muss wissen, dass wir nämlich auch dafür sorgen wollen, das ist ja unsere Forderung als SPD, dass jemand, der vollschichtig arbeitet, auch davon leben muss, ohne dass er Sozialleistungen des Staates in Anspruch nehmen muss, dass da manche Leistungen eben teurer werden.

    Müller: Herr Struck, jetzt können wir das Fass noch ein bisschen größer aufmachen, ein bisschen gerechter verteilen in der Kritik: Die Große Koalition macht das Leben teurer.

    Struck: Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben im Augenblick gerade eine Inflationsrate von knapp drei Prozent. Das hat ja nichts mit der Großen Koalition zu tun, sondern vor allen Dingen mit den gestiegenen Ölpreisen und der Entwicklung im Bereich der Energiekosten. Das alles ist keine Folge der Politik der Bundesregierung.

    Müller: Es gibt ja eine höhere Mehrwertsteuer, es gibt höhere Gesundheitskosten, es gibt andere Kosten, die gestiegen sind, unter der großen Koalition.

    Struck: Die Mehrwertsteuer gilt seit 1. Januar. Und wir hatten natürlich auch Preissteigerungsraten, Herr Müller, in den letzten Monaten, also bevor die Ölpreisentwicklung sich so dramatisch darstellte, die angemessen waren und die vergleichbar waren zu vorherigen Jahren.

    Müller: Es gibt auch diese anderen Quellen, aber warum geht die Bundesregierung nicht so weit und sagt, wir sind finanziell im Moment einigermaßen gut parat und geben euch etwas zurück.

    Struck: Wir haben eine Schuldenlast, eine Zinslast zu tragen von 43 Milliarden Euro, was den Bund angeht. Insgesamt gibt es eine Staatsverschuldung von über 1,5 Billionen, also 1500 Milliarden Euro. Da ist im Augenblick überhaupt nicht möglich, weder bei Bund, bei Ländern, noch bei Gemeinden, irgendwo die Steuereinnahmekraft zu verschlechtern. Es muss bei der Steuer bleiben, die wir jetzt haben.

    Müller: Wie groß ist denn die Gefahr, dass das alles in sich zusammenbricht, weil die Konjunktur im Moment noch so gut läuft? Was passiert, wenn das nicht mehr der Fall ist?

    Struck: Jeder weißt, dass wir im Augenblick, in diesem Jahr ein gutes Wachstum hatten von fast 2,9 Prozent, die Prognosen für das nächste Jahr sind etwas geringer, also ich geh da von zwei Prozent aus. Aber ich glaube, dass wir einen stabilen Aufschwung haben, der auch das nächste Jahr noch anhalten wird. Von daher sind also gerade die sozialen Systeme und die vielen anderen Dinge, die der Staat zu leisten hat, auch gesichert.

    Müller: Herr Struck, höhere Löhne machen ja auch das Leben teurer. Jetzt hat der Arbeitsminister, Olaf Scholz, angekündigt, dass sich jetzt noch mehrere Branchen melden können, die da sagen, bei uns läuft das ungerecht, wir brauchen einen Mindestlohn. Ist das quasi jetzt der Durchbruch für den flächendeckenden Mindestlohn?

    Struck: Ich hoffe, das ist der Durchbruch. Ich bin mir aber nicht so sicher, weil ich weiß, dass die Union und die Unionsfraktion vor allen Dingen auch grundsätzliche Bedenken gegen einen Mindestlohn haben. Aber es ist völlig klar: Es gibt Bereiche, Branchen, die noch in das Entsendegesetz aufgenommen werden wollen, vor allen Dingen das Bewachungsgewerbe, die Gartenbaubetriebe und viele andere. Und wir werden im März dann, nachdem diese Anträge alle gestellt worden sind, jedes Mal, bei jeder Branche versuchen, sie wieder ins Entsendegesetz aufzunehmen, weil wir auch im Interesse der Unternehmer, die ordentliche Löhne zahlen, das Lohndumping verhindern wollen. Es kann ja nicht sein, dass jemand nur deshalb keine Aufträge mehr kriegt, weil er Hungerlöhne zahlt. Deshalb ist ein Mindestlohn auch ein Schutz für ordentliche Unternehmer.

    Müller: Also gibt es so etwas doch wie eine Salamitaktik der SPD.

    Struck: Nein, es ist völlig klar, dass vereinbart worden ist in der Koalition, wir wollen bis März Anträge entgegennehmen, von Branchen, die in das Entsendegesetz aufgenommen werden wollen. Und dann werden wir Branche für Branche den Versuch machen, diese in das Entsendegesetz aufzunehmen. Das wird Streit geben innerhalb der Koalition. Aber die Vereinbarung gilt. Alle, die einen gesetzlichen Mindestlohn wollen, können das bei uns beantragen. Und wir als SPD werden dahinter stehen, diesen Antrag auch durchzusetzen.

    Müller: Mit den Abgeordneten, zum Schluss, Herr Struck, hat das ja schon geklappt.

    Struck: Was meinen Sie mit den Abgeordneten?

    Müller: Mit dem Mindestlohn.

    Struck: Ja, das ist wieder ein ganz anderes Thema. Das ist kein Thema des Mindestlohns.