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"Das wird woanders fehlen"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hat das Scheitern des Drohnenprojekts Euro Hawk kritisiert. In der Bundeswehr werde an so vielen Stellen gespart, sagte Kirsch, dass hier ein Millionenprojekt einfach in den Sand gesetzt werde, erzeuge Kopfschütteln in der ganzen Truppe.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Bettina Klein | 16.05.2013
    Bettina Klein: Massive Kritik aus den Oppositionsparteien am Verteidigungsminister vor dessen Regierungserklärung. Eine Stimme haben wir gerade gehört. Vorhin habe ich mit Ulrich Kirsch gesprochen, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, und ihn zunächst gefragt, wie wütend er darüber ist, dass da offenbar Millionen für ein gescheitertes Drohnenprojekt in den Sand gesetzt wurden.

    Ulrich Kirsch: Ja das, was dort gerade passiert, erzeugt in der ganzen Truppe Kopfschütteln, denn an so vielen Stellen wird geknausert und hier wird offensichtlich ein Projekt so in den Sand gesetzt, dass Millionenbeträge - und die vorsichtige Schätzung liegt irgendwo zwischen 500 und 600 Millionen - dann einfach nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn wir brauchen ja auch diese Fähigkeit, die dort abgebildet ist durch den Euro Hawk. Das ist keine Frage. Also wird man alles daran setzen, diese Fähigkeit wieder zu erlangen, und das kostet Geld und das wird woanders fehlen.

    Klein: Haben Sie bereits eine Erklärung dafür, wie es eigentlich dazu kommen konnte?

    Kirsch: Nicht wirklich, und ich möchte mich auch nicht an Mutmaßungen beteiligen, sondern ich möchte einfach abwarten, was nun letztendlich an Ergebnissen auf den Tisch gelegt wird, wie es dazu kam.

    Klein: Es ging ja um Zulassungspapiere aus den USA, die nicht vorhanden waren und deren Beschaffung jetzt sehr, sehr viel Geld kosten würde. Es ist ja eigentlich erstaunlich, dass das niemandem im Ministerium aufgefallen sein soll?

    Kirsch: Das ist in der Tat außerordentlich erstaunlich.

    Klein: Die Frage nach der Verantwortung stellt sich natürlich. Wie viel Verantwortung trägt das Ministerium dafür und muss möglicherweise auch der Bundesverteidigungsminister dafür übernehmen?

    Kirsch: Ja, sicherlich wird der Bundesverteidigungsminister zum Schluss immer die Gesamtverantwortung übernehmen müssen, denn er ist der Ressortchef. Aber nun ist das im Moment nicht mein Ansatz, nach dem Schuldigen zu suchen; das müssen diejenigen machen, die es beurteilen können. Das kann ich nicht von außen.

    Klein: Es gibt bereits Rücktrittsforderungen. Würden Sie sich denen anschließen?

    Kirsch: Die kommen ja zum Teil aus den eigenen Reihen der Regierungsparteien. Irgendjemand wird dafür die Verantwortung tragen müssen und dann hängt das auch meistens mit Rücktritten zusammen, das ist richtig.

    Klein: Das heißt, Sie würden schon davon ausgehen, wenn der Druck auch aus dem eigenen politischen Lager anhält, dass dann de Maizière gehen muss?

    Kirsch: Nein, ich sehe hier nicht den Minister in der Verantwortung. Der ist in der Verantwortung, aber nicht in dieser Verantwortung, denn der Euro Hawk ist ja entwickelt worden zu Zeiten, da hat selbst der Minister Franz-Josef Jung noch keine Verantwortung getragen. Aber in seiner Zeit ist dieses System dann letztendlich in die Erprobung gegangen, und da muss man genau hingucken und muss sich die Zeit nehmen, das genau zu analysieren.

    Klein: Lassen Sie uns noch auf die praktischen Folgen jetzt schauen. Heißt dieses Aus für diesen Euro Hawk auch eine Gefahr für die anderen Drohnenprojekte, um die es ja gehen soll, auf europäischer Ebene und auch für die Bundeswehr?

    Kirsch: Es macht eines deutlich, wissen Sie, dass es darauf ankommt, diese Beschaffung so umfangreich anzugehen, dass man hinterher eine reife Entscheidung hat, denn die war ja hier offensichtlich nicht gegeben, und das gilt auch für alle weiteren Drohnen. Taktisch brauchen wir das, das steht außer Frage. Aber wenn jetzt eine öffentliche Debatte auch über die ethischen Fragen entsteht, dann muss man die erst mal führen, bevor ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland sich dann entschließt. Deswegen bin ich immer für reife Entscheidungen bei Beschaffungsvorhaben. So muss man es auch bei den anderen Drohnenprojekten machen.

    Klein: Genau. Die ethische Frage, das ist die eine Ebene, die ja auch schon seit einiger Zeit diskutiert wird bei der Anschaffung dieser Drohnen. Jetzt geht es im Augenblick natürlich verstärkt um die praktischen Fragen. Das heißt, noch mal die Frage: Ist damit sozusagen auch das sehr viel schwieriger geworden in praktischer Hinsicht, dass solche Probleme dann auch bei anderen Drohnen auftreten werden und das wahrscheinlich von daher gar nicht mehr kommen wird?

    Kirsch: Das hat natürlich Auswirkungen a) auf die Gesamtdiskussion. Man hat jetzt natürlich Zweifel, ist das überhaupt hinzukriegen. Und dann kommt es darauf an, über welche Drohnen wir sprechen. Wenn wir über Drohnen sprechen, die wir in Afghanistan einsetzen, um letztendlich besser beurteilen zu können, wer uns da gerade angreift, und auch auf den wirken zu können, den wir vielleicht am Boden nicht sehen, wenn wir darüber diskutieren, ist das eine andere Ebene, als wenn wir über Drohnen in Deutschland sprechen, in einem Luftraum, wo ganz anderer Verkehr ist. Also da muss man noch mal sehr fein und sehr sauber unterscheiden. Aber das, wissen Sie, genau das gehört zu dieser Gesamtdebatte, und das fehlt.

    Klein: Haben Sie denn, was die ethische Frage angeht, für sich bereits eine Entscheidung getroffen?

    Kirsch: Ja, ich für mich persönlich sehr wohl. Ich kann mit dem Einsatz von Kampfdrohnen unter den Voraussetzungen, die ich gerade schon angedeutet habe, leben, denn das bedeutet, dass wir unsere eigenen Frauen und Männer nicht einsetzen müssen. Ich sage mal ein kleines Beispiel: Wenn Sie eine Aufklärungsdrohne haben, die nicht bewaffnet ist, und feststellen, dass Ihre eigenen Leute in Gefahr sind, aber nicht wirken können, aber hier einen Gegner ausschalten könnten, wenn sie denn Wirkmöglichkeiten hätten, wenn Sie in einer solchen Lage sind, ist es erst mal für den Drohnenführer, der das am Bildschirm sieht, sehr schwierig, und dann ist es einfach taktisch sinnvoll, diese Möglichkeit zu haben. Insofern ist das für mich kein Problem, aber ich bin da nicht entscheidend, sondern entscheidend ist auch die Akzeptanz in der Gesellschaft und die Akzeptanz bei allen Beteiligten.

    Klein: Und die Akzeptanz ist nicht besonders ausgeprägt, in Deutschland zumindest, die Kritik ist sehr stark an dem Einsatz und dem Erwerb dieser Drohnen. Noch mal praktisch gefragt: Wenn es jetzt dazu kommt, dass man die nicht anschaffen wird, weil sich das einfach nicht durchsetzen lässt oder auch praktisch gar nicht mehr möglich ist, ist es wirklich notwendig aus Sicht der Bundeswehr? Wäre das Geld nicht tatsächlich an anderen Stellen sinnvoller eingesetzt, wenn wir jetzt gerade noch mal auf die Bundeswehrreform schauen und den Geldbedarf, der da offensichtlich auch vorhanden ist?

    Kirsch: Wissen Sie, wir haben ja eine Großbaustelle in der Bundeswehr: Das ist die Reform. Der Minister wird ja heute im Rahmen der Regierungserklärung aus Sicht der Bundesregierung dazu etwas sagen und ich habe mich ja nun auch schon oft zu diesem Thema geäußert. Wir haben sechs Reformen seit 1990, keine dieser Reformen haben wir richtig abgeschlossen und haben immer von der vorgehenden in die nächste was mitgenommen. Und letztendlich ist es alles eine Frage zwischen Daumen und Zeigefinger, um die Herausforderungen zu lösen, um die es hier geht, und insofern ist in der Tat genau zu überlegen, wofür man das Geld in die Hand nimmt, und wenn ein Rüstungsvorhaben wie jetzt der Euro Hawk letztendlich ein Flop wird, dann muss ich ja hinterher trotzdem diese Fähigkeit irgendwie entstehen lassen, muss sie finanzieren, und das Geld fehlt dann wieder, und es fehlt das Geld an vielen Stellen. Wir haben auch die Ressortumlage für das Betreuungsgeld, da ist das Bundesministerium der Verteidigung auch zur Kasse gebeten, das wird uns bis 2017 eine Milliarde kosten. Dazu kommt dann auch noch, dass wir viele Einsätze aus dem Verteidigungshaushalt zahlen, obwohl sie eigentlich aus dem Einzelplan 60 - so heißt dieser Haushalt - bezahlt werden müssen, weil es unvorhergesehene finanzielle Mittel sind, die zum Einsatz gebracht werden müssen. Wissen Sie, da ist das Kernproblem schon und dadurch findet vieles nicht statt, was wir dringend bräuchten, um attraktive Streitkräfte zu haben, damit wir einfach auch im Wettbewerb mit anderen großen Unternehmen eine Chance haben.

    Klein: Herr Kirsch, noch kurz zum Abschluss gefragt: Der Anlass der Regierungserklärung heute war ja wohl eine Zwischenbilanz der Bundeswehrreform. Das Ministerium sagt, wir sind da auf einem guten Wege, wir haben schon viel erreicht. Nennen Sie uns ein Beispiel, wo Sie da nicht mit dem Minister übereinstimmen und der Meinung sind, da herrscht Handlungsbedarf und da wird zu wenig getan?

    Kirsch: Ich habe immer als Beispiel unseren Einsatz. Wenn ich mir überlege, dass wir es nicht schaffen, den Einsatzrhythmus für unsere Frauen und Männer, vier Monate Einsatz, 20 Monate Pause - das bemängelt ja auch der Wehrbeauftragte -, dass wir das nicht mal sicherstellen können, weil wir nicht genügend Personal in den Bereichen haben, wo wir sogenannte Mangelverwendung haben - Sanitäter, Feldjäger, Pioniere, um ein paar zu nennen -, dann wird deutlich, dass wir hier noch eine Menge Anstrengungen unternehmen müssen, um das zu gewährleisten. Und vielleicht noch ein zweites kleines Beispiel: Das ist das große Thema Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Es kostet einfach Geld, wenn ich das zusammenbringen will, und wenn ich mir überlege, dass wir es noch nicht mal schaffen, Vertretungen zu gewährleisten für Frauen, die in Mutterschutz sind, die in Elternzeit sind - insbesondere im Sanitätsdienst ist das ganz zentral und wichtig, denn da haben wir etwa einen Anteil von 50 Prozent Frauen -, wenn man solche Beispiele sieht, dann wird klar: Das geht nicht ohne Geld und das fehlt und das fehlt jetzt noch umso mehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.