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Das Zimmermädchen. Novelle

"Erzähl’ vom Meer!" lautet die naheliegende Aufforderung des mare-Verlags an seine Autoren. Annegret Held, an deren Debütroman "Die Baumfresserin" von 1999 nicht nur Robert Gernhardt den "liebevollen Realismus" lobte, nahm diese Anregung wörtlich.

Katrin Hillgruber | 14.05.2003
    Ich war Zimmermädchen auf Langeoog im Alter von 19 Jahren und habe auch mal eine kurze Geschichte darüber geschrieben. Aber normalerweise wäre das immer im Meer des Vergessens untergegangen, wenn nicht Nico Hansen mich eines Tages gefragt hätte, weißt Du nichts vom Meer. Und ich sagte, einstmals war ich Zimmermädchen auf Langeoog. Und dann sagte er, bitte, schreib das auf. Und da hab ich das aufgeschrieben, ansonsten wäre es für immer der Menschheit verloren gegangen.

    Verwunschen wie aus einem Muschelhorn schallt es uns also zu Anfang dieses maritimen Abenteuers entgegen: "Einstmals war ich Zimmermädchen auf Langeoog." Annegret Helds lang geratene Novelle ist eher ein kleiner Entwicklungsroman. Irgendwann Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, in jener ideologisch aufgewühlten Birkenstock- und Javaanse-Jongens-Ära, setzt die Geschichte der Carla ein: ein 19-jähriges Mädchen vom Lande, das auszieht, für sieben Wochen Zimmermädchen auf Langeoog zu werden. Eine bekennende Landpomeranze spricht hier, eine junge Frau, die auf dem Dorf Kraft getankt und den sogenannten gesunden Menschenverstand gepachtet hat. Nun bringt sie ihre Ansichten frisch und munter unter die Leute. In der Pension "Friesenkrug" wird sie arbeiten, zunächst in einer reinen Frauenwelt, der das ätherische Fräulein Sörensen vorsteht. Sie und die anderen Figuren sind derart plastisch gezeichnet, dass sich der autobiographische Hintergrund nicht verleugnen lässt.

    Im Grunde war das Birkenstockzeit. [...] Das war Anfang der Achtziger, und die anderen Dienstmädchen, [...] die haben sich auch geweigert, schwarze Dienstmädchenkleider anzuziehen. Deshalb musste ich das ganz alleine machen. Und mir gefiel das. Es gefiel mir, Dienstmädchen zu sein. Ich hab gerne eine Schürze getragen und hatte auch [...] Pumps mit Fesselriemen. Und ich bin da gewackelt und hab die Tabletts balanciert, und mir hat das auch noch gefallen. [...] Das gefiel mir einfach. Und das war aber nicht Zeichen der Zeit. Also, die anderen Mädels haben das verachtet. Aber ich hab sowieso immer gern das Gegenteil von allen anderen gemacht.

    Andererseits ist Carla eine spätpubertäre, in Liebesdingen noch nicht sehr erfahrene "Heimatlose". Wie das Meerschweinchen in Joachim Ringelnatz’ gleichnamigem Gedicht strebt sie zur Selbstfindung an die Nordseeküste. Bei Ringelnatz heißt es: "Sah mich bange an, / Sah mich lange an, / Sann wohl hin und sann her, / Wagte sich / Dann heran / Und fragte mich: ‚Wo ist das Meer?’"

    Ausgerechnet die Verfilmung von Theodor Storms "Schimmelreiter" sieht sich Carla am ersten Abend auf der Insel an. Auch manch anderes Motiv in dieser Novelle lässt Originalität vermissen. Dass jenes "unerhörte Ereignis", das die Gattung fordert, in männlicher Gestalt am Backfischstrand aufscheinen wird, versteht sich von selbst. Ein proletarischer Wunsch nach Schönheit und Selbstverwirklichung spricht aus der Heldin, eine überbordende Erwartung, die sich mit dem nassen Element verbindet und verbündet. Zufällig ist auch Lale Andersen auf Langeoog beerdigt. Ihre Liedzeile Ein Schiff wird kommen wird zur Grundmelodie dieser possierlichen Rollenprosa einer jungen Frau, die sich die "Eintrittskarte fürs Leben" mit dem Wischmopp erschrubben will.

    Also, sie denkt, wenn sie ins Leben hinausgeht, dann muss sie erst mal ganz unten anfangen und erst mal das Niedrigste vom Niedrigen tun, weil das das Schwerste ist im Leben. Und wenn sie das schon mal kann, dann kann sie auch später die feineren Sachen tun.

    Annegret Held ist eine Autorin, die dem Volk gerne aufs Maul schaut. Der vitale Witz ihres Romans Die Baumfresserin offenbarte sich vor allem in den wenig damenhaften Verführungsmanövern der "Kistenweiber". Diesen Witz hat sie nach Ostfriesland transferieren können. Dabei liegt ihr jede direkte Form der Gesellschaftskritik fern. Anders als etwa in Ursula Krechels Hörspiel Das Parkett ein spiegelnder See , in dem es um die Emanzipationsversuche von Berliner Hausangestellten nach der Jahrhundertwende geht, fügt sich die Aushilfszofe augenzwinkernd ihr Klassenschicksal. Held bekennt sich zur Perspektive der sogenannten kleinen Leute, eine Haltung, die in der Gegenwartsliteratur eher selten ist.

    Ich liebe das Volk, ich hab da nie zynisch am Rande gestanden, und ich hab die Polka immer gern selbst mitgetanzt. Und Arbeiter oder Underdogs oder Leute in schwierigen Situationen, das interessiert mich tausendmal mehr als irgendwelche High Society, das ist für mich vollkommen uninteressant. Ich will natürlich gern sehr viel Leben haben in den Sätzen und im Denken und in der Seele. Tango wurde getanzt in einem staubigen Dorf. Und das rote Kleid der Carmen kommt nirgendwo anders so farbig heraus als in einem staubigen, heißen Dorf. Alexis Sorbas wäre an den städtischen Bühnen von Athen nie zum Tragen gekommen. Der wirkt, weil er den Sirtaki in einem Dorf tanzt. Und das sind so meine Inspirationen, und das gefällt mir gut zum Schreiben.

    Den lang erwarteten Höhepunkt der Inselsaga markiert die "Flut der Ärzte", um im Meeresjargon zu bleiben. Eine rein männliche Ärztedelegation trifft zu einem Kongress ein, vom weiblichen Hauspersonal herbeigesehnt. Es kommt zur Konfrontation der Geschlechter und der sozialen Schichten, zu einer erotischen Aufladung des Hauspersonals. Sie endet mit einem Pyrrhussieg des Zimmermädchens beim Nahkampf mit einem Gynäkologen. Schnöde verführen wollte sie der, ohne angemessen um sie zu werben, wie es in ihren Jungmädchenbüchern wie "Goldköpfchen" geschrieben steht. Carlas moralischer Triumph gerät Annegret Held zum tragikomischen Kabinettstück.

    "Goldköpfchen" war die beherrschende Lektüre meiner Mädchenzeit: [...] "Wenn auch das Herz vor Sehnsucht bricht, mein süßer Freund, ich komme nicht, ich bin aus festem, starkem Holz, es sagte Nein mein Mädchenstolz.” Das weiß ich heute noch mit 40. Das muss man sich mal überlegen! Und so war eben meine geistige Tragweite zu dieser Zeit, und so habe ich es auch aufgeschrieben.