Dienstag, 16. April 2024

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Das zweite Antiterrorgesetz in der Kritik

Capellan: Der Termin war wohl mit Bedacht gewählt. Am Mittwoch verbot Innenminister Otto Schily den sogenannten Kalifatstaat, jene radikal-islamische Organisation, deren Chef, Metin Kaplan, in Haft sitzt und schnellstmöglich ausgewiesen werden soll. Möglich wurde dieser von vielen geforderte Schritt durch die erst Anfang des Monats in Kraft getretene Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz - das war Teil des Sicherheitspaketes eins -. Heute nun, wenn im Bundestag über das zweite Antiterrorgesetz abgestimmt wird, kann Schily auch auf diesen Erfolg verweisen. Jetzt geht es dem Minister vor allem darum, Befugnisse der Geheimdienste auszuweiten. Sie sollen z.B. Kontobewegungen vornehmen oder Telefonate auch ohne richterliche Anordnung abhören können. Dagegen laufen Bürgerrechtler Sturm, aber auch der Deutsche Richterbund - deren Vorsitzender Geert Mackenroth warnte gestern hier im Deutschlandfunk davor, die Zuständigkeiten von Ermittlern und Justiz zu verwischen: "Wir haben keine klare Trennung mehr zwischen Ermittlungsbehörden auf der einen Seite und Justiz auf der anderen Seite. Das ist unsere Befürchtung, dass die bisher so schönen und klaren rechtsstaatlichen Konturen verwischt werden, und ich betone, wir haben keine generelle Notstandslage, und wir hätten eigentlich auch Zeit, das sorgfältig zu diskutieren. Justiz behindert keine effektive Polizeiarbeit, keine effektive Ermittlungsarbeit, sondern Justiz sichert rechtsstaatliche Ermittlungsarbeit und rechtsstaatliche Strafverfolgung." Das war Geert Mackenroth gestern im Deutschlandfunk und nun in diesem Programm Fritz-Rudolf Körper, Sozialdemokrat und parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. Guten Morgen, Herr Körper.

14.12.2001
    Körper: Guten Morgen, Herr Capellan.

    Capellan: Herr Körper, haben Sie offenbar doch Sorgen, dass die Justiz die Ermittlungen generell behindern bzw. verzögern könnte oder warum sind die Erweiterungen der Befugnisse der Dienste notwendig?

    Körper: Herr Capellan, ich habe manchmal den Eindruck, dass so mancher Kritiker unser Gesetz und unsere Vorschläge nicht gelesen hat. Die Befugnisse, welche die Verfassungsschützer bekommen sollen, sind immer im Geltungsbereich, nämlich dahingehend, wo gegen dem Gedanken der Völkerverständigung - insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker - verstoßen wird. Das ist diese Umschreibung, diese Befugnisse, die sich dort orientieren. Und diese Fragen, die diskutiert worden sind, haben auch in der Anhörung eine Rolle gespielt. Im Übrigen haben wir da die Anregungen auch aufgenommen, beispielsweise diese Frage der Kontrolle, dahingehend, dass wir nun auch in diesem Bereich das sogenannte G-10-Gesetz anwenden, d.h. auch ein rechtsstaatliches Mittel, was an anderer Stelle unbestritten ist. Wir sind jedenfalls der Auffassung, dass aufgrund der Ereignisse, die wir uns alle nicht gewünscht haben, diese Maßnahme notwendig ist, denn wir wussten und wissen einfach zu wenig.

    Capellan: Dann gehen wir doch mal ins Detail. Ist es möglich, ist es richtig, dass Verfassungsschützer künftig auch ohne richterliche Anordnung Telefonate abhören können sollen?

    Körper: Es geht um die Telekommunikationsverbindungen. Das darf im Einzelfall beobachtet werden. Ich sage ganz bewusst, im Einzelfall. Genauso, was die Dinge bei Kreditinstituten anbelangt.

    Capellan: Da muss nicht vorher ein Richter gefragt werden?

    Körper: Nein, es ist genauso, wie beispielsweise bei einer Telefonabhörung. Das geht auch nach den G-10-Richtlinien. Ich denke, das ist dort unumstritten und sollte auch dort unumstritten sein.

    Capellan: Also verfassungsrechtlich für Sie unbedenklich?

    Körper: Sie müssen übrigens auch wissen - es wird immer in gleicher Ebene diskutiert -, dass das Bankgeheimnis beispielsweise kein Grundrecht ist. Nichtsdestotrotz haben wir beispielsweise diese Maßnahmen über das sogenannte G-10 Gesetz eingefügt. Ich denke, es ist absolut unbedenklich. Im Übrigen, auch die Kritiker, die sich hier und da geäußert haben, sind absolut damit einverstanden.

    Capellan: Das Sicherheitspaket zwei soll ja regelrecht durch die Instanzen gepaukt werden: heute im Bundestag, nächste Woche im Bundesrat. Das geht alles sehr schnell, da ist schon vom Eilverfahren die Rede, und manche Parlamentarier fühlen sich übergangen. Sie haben gerade auch beklagt, dass manche Kritiker das Gesetz und die Entwürfe gar nicht richtig kennen würden. Warum war denn diese Eile notwendig? Hätte man sich nicht mehr Zeit lassen können?

    Körper: Nein, Herr Capellan, ich habe gesagt, dass man sie nicht richtig gelesen hatte. Die Möglichkeit bestand, dass das natürlich ein ungewöhnliches Verfahren ist. Das wird an der Tatsache deutlich, dass es sich um ungewöhnliche Ereignisse handelt. Es gibt eine UN-Resolution, die uns auch verpflichtet, in einem bestimmten Zeitraum Maßnahmen vorzulegen, und ich denke, wir sollten auch bemüht sein, dass wir uns im internationalen Vergleich sehen lassen können. Sie wissen, wir leben nicht alleine auf einer einsamen Insel, sondern wir werden verglichen, das wollen wir, deswegen wollen wir dieses Verfahren bis Ende des Jahres abschließen.

    Capellan: Wo hilft denn dieses Paket ganz konkret im Kampf gegen Terroristen? Wovon versprechen Sie sich in dieser Hinsicht am meisten?

    Körper: Wir haben einfach zu wenig gewusst. Wir haben zu wenig gesehen. Und es ist ein Hauptproblem, sich darauf einstellen zu können. Deswegen ist das hier ein entscheidender Ansatz. Nicht umsonst haben Sie mich auf eine Maßnahme angesprochen, die dieses Paket vorsieht, nämlich auf das Thema der Dienste - da gibt es ja noch viele ganz andere Punkte, über den Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt, Ausländerrecht, Sicherheitsüberprüfungsgesetz, um nur einige Punkte zu nennen -, das ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt ist, so dass wir bessere Informationen haben, um auch präventiv tätig sein zu können.

    Capellan: Lassen Sie uns noch einen Punkt ansprechen, die Einführung biometrischer Daten im Pass: der Fingerabdruck oder die Gesichtskonturen. Man hat sich da nicht festgelegt. Warum nicht?

    Körper: Da hat man sich dahingehend festgelegt, dass man das ausdrückliche Verbot im Pass- und Personalausweisgesetz, nämlich das Verbot zur Aufnahme biometrischer Merkmale, herausgenommen hat. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Alles Weitere wird den Beratungen und dem Gesetzesweg überlasen sein - es sind ja auch ein paar technische Fragen zu regeln und zu klären -. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Schritt in diesem Paket.

    Capellan: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Körper. Auf der anderen Leitung begrüße ich den FDP-Innenpolitiker Max Stadler. Guten Morgen, Herr Stadler.

    Stadler: Guten Morgen.

    Capellan: Haben Sie denn Zeit gehabt, das Gesetz, diese Entwürfe ausgiebig zu lesen?

    Stadler: Das Verfahren, das uns die Bundesregierung und die Rot-Grüne Koalition zugemutet hat, ist beispiellos im Innenausschuss des Deutschen Bundestags gewesen. Nach der Anhörung der Sachverständigen vor zwei Wochen hat die Koalition intensiv über Änderungen diskutiert. Das ist respektabel, und es sind ja auch Verbesserungen gegenüber dem Ursprungsentwurf vorgenommen worden. Diese Änderungsanträge der Koalition umfassten 30 Seiten, und wir haben diese 30 Seiten am Dienstag Abend bekommen, und am Mittwoch früh war die erste, einzige und abschließende Beratung im Innenausschuss.

    Capellan: Und deswegen werden Sie heute mit Nein stimmen?

    Stadler: Das ist der Hauptgrund, denn Sie können sich vorstellen, dass hier die Mitwirkungsrechte der Opposition praktisch ausgeschaltet worden sind. Man hatte nicht mehr die Möglichkeit, sich qualifiziert auseinander zu setzen mit dem, was vorgelegt wurde, denn es war uns bis Dienstag Abend nicht bekannt, über welchem Gesetzestext am Mittwoch wirklich beraten und abgestimmt wird.

    Capellan: Aber das, was nun auf dem Tisch liegt, werden Sie sicherlich auch kennen.

    Stadler: Ja, ich möchte sagen, wir haben schon einen Schritt in eine stärkere Überwachung der Bürgerinnen und Bürger. Dafür gibt es sicherlich mit der neuen Bedrohungslage seit dem 11. September eine neue Argumentation, der wir uns nicht verschließen. Die FDP hat ja die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit mitgetragen, z.B. das Sicherheitspaket Schily eins. Aber in diesem neuen Terrorismusbekämpfungsgesetz meinen wir, mit dem Deutschen Richterbund, mit dem Deutschen Anwaltverein und anderen seriösen Kritikern, dass das Verhältnis von Eingriffen und Kontrolle nicht richtig ausbalanciert ist.

    Capellan: Also anders als Herr Körper, den wir gerade gehört haben, haben Sie durchaus auch verfassungsrechtliche Bedenken?

    Stadler: Ich könnte mir vorstellen, dass das, was vorgeschlagen wird, gerade noch verfassungsgemäß ist. Aber es wird schon die Eingriffsmöglichkeit der Dienste in einer Weise ausgelotet und ausgeweitet, dass es rechtspolitisch jedenfalls bedenklich ist. Unser Prinzip als liberale Rechtsstaatspartei ist, dass wir sagen, wenn denn Eingriffe notwendig sind - wie etwa in die Bankdaten, in die Telekommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger -, dann muss umgekehrt eine sehr strikte Kontrolle vorgesehen werden, und das war im ersten Gesetzentwurf völlig unzureichend geregelt. Es ist jetzt verbessert, weil die parlamentarische G-10-Kommission eingeschaltet wird. Das ist in der Tat ein Forschritt, aber wir hätten uns gewünscht, dass in jedem Einzelfall eine richterliche Entscheidung getroffen werden muss, bevor eine solche Maßnahme durchgeführt werden darf, denn man muss eines wissen: in manchen Fällen - ich gebe zu, nicht in der Mehrzahl der Fälle - muss der Betroffene nachträglich überhaupt nicht benachrichtigt werden und kann somit nicht nachträglich bei einem unabhängigen Gericht Rechtsschutz suchen, und da sieht man doch, dass diese Maßnahmen schon sehr weit reichen. Zumindest hätten wir uns eine sorgfältigere und ordentlichere Beratung gewünscht.

    Capellan: Herr Stadler, nun soll das Ganze ja dem Kampf gegen den Terrorismus dienen. Da fragt man sich natürlich, die Leute, die mutmaßlichen Attentäter vom 11. September, die teilweise auch in Deutschland gelebt haben, hätte man denen vielleicht auf die Schliche kommen können, wenn die Dienste mehr Befugnisse gehabt hätten, wenn sie z.B. die Kontobewegungen hätten verfolgen können?

    Stadler: Die Sachverständigen in der Anhörung waren überwiegend der Auffassung, dass die neuen Maßnahmen weniger speziell der Terrorismusbekämpfung als allgemein der Kriminalitätsbekämpfung dienen - das ist auch ein Gesichtspunkt, dem wir uns nicht verschließen -. Es ist letztlich müßig, darüber zu spekulieren, ob mit diesen Maßnahmen die Ereignisse vom 11. September hätten verhindert werden können - die meisten Experten meinen Nein -, aber man muss sehen, das Sicherheitsbedürfnis der Menschen muss respektiert werden. Der Staat hat hier eine Aufgabe, für innere Sicherheit zu sorgen, und deswegen ist unser Prinzip, dass wir nicht den Diensten die Arbeitsmöglichkeit nehmen wollen, aber wir wollen als Gegengewicht eine so starke Kontrolle, wie das irgend möglich ist, und das ist in Schily zwei unserer Meinung nach nicht verwirklicht.

    Capellan: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stadler.

    Link: Interview als RealAudio