Dienstag, 19. März 2024

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Datenaffäre
"Facebook verstößt seit Jahren gegen den Datenschutz"

In der Affäre um das Abschöpfen von Nutzerprofilen hat sich Facebook geäußert - und sich selbst zum Betrogenen erklärt. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise erstaunt diese Reaktion: "Der böse Bube ist in erster Linie Facebook." Der US-Konzern habe offenbar Angst, Vertrauen bei seinen Kunden zu verlieren.

Thilo Weichert im Gespräch mit Stefan Heinlein | 21.03.2018
    Thilo Weichert hinter einem Banner mit der Aufschrift Datenschutz
    "Facebook ist der schlimmste Finger" - der ehemalige Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, Thilo Weichert (dpa / Peter Rheder)
    Stefan Heinlein: Das Briefgeheimnis ist schon lange ein Relikt der Vergangenheit. Heute, wo Mails in Sekundenschnelle rund um unseren Globus transportiert werden, wo Dienste wie WhatsApp längst ein zentraler Bestandteil der Kommunikation sind, ist das Ausspähen von persönlichen Daten einfacher geworden. Vor allem wer sich in sozialen Netzwerken wie Facebook tummelt war schon immer in Gefahr, dass hier nicht unbedingt der Datenschutz an erster Stelle steht. Das gezielte Abschöpfen von Facebook-Nutzerprofilen durch eine britische Analyse-Firma übersteigt jedoch die schlimmsten Befürchtungen. Jetzt gibt es offenbar erste Konsequenzen.
    Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen Datenschutzbeauftragten von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, jetzt Mitglied des Netzwerkes Datenschutzexpertise. Guten Tag, Herr Weichert.
    Thilo Weichert: Ich grüße Sie!
    "Cambridge Analytica hat sich als Mittäter betätigt"
    Heinlein: Ist Facebook nun Täter oder Opfer in dieser Affäre?
    Weichert: Also ich bin schon etwas erstaunt, dass Facebook sich hier hintergangen fühlt. Im Prinzip hat Cambridge Analytica nichts anderes gemacht, als das Angebot von Facebook zu nutzen, und dabei sich auch nicht an Datenschutzrecht gehalten. Aber das macht Facebook selbst auch nicht. Der böse Bube ist in erster Linie Facebook und Cambridge Analytica hat sich als Mittäter jetzt hier betätigt.
    Heinlein: Aber Facebook wehrt sich in der Tat und fühlt sich als Opfer von kriminellen Machenschaften. Das muss man doch erst mal ernst nehmen.
    Weichert: Ja, natürlich! Die nehmen das ernst, weil die total Angst haben, dass jetzt ihre Vertrauenswürdigkeit bei den Kunden verloren geht und dass dann Leute abspringen werden von Facebook, und das ist natürlich auch absolut berechtigt, weil dieses Vertrauen eigentlich seit Jahren nicht begründet ist. Facebook verstößt seit Jahren gegen den Datenschutz, wie er in Europa zumindest festgehalten ist, und die geben diese Daten – das ist auch ganz normal und schon seit Jahren Praxis – an Applikationsanbieter weiter oder an Forschungseinrichtungen. Das ist genau der Hintergrund, weshalb diese 50 Millionen Daten jetzt hier erst mal weitergegeben wurden und dann auch weiter missbraucht wurden.
    Heinlein: Aber Hand aufs Herz, Herr Weichert. Für Facebook-Nutzer kann das doch nicht wirklich überraschend sein. Wer dort unterwegs ist, der konnte doch zumindest ahnen in der Vergangenheit, dass seine Daten ausgelesen werden und vielleicht auch für andere Zwecke missbraucht werden, gebraucht werden.
    Weichert: Das ist richtig. Ahnen ist eines. Es zu wissen, ist natürlich die andere Geschichte. Facebook ist natürlich schon ein sehr attraktives Angebot. In der Zwischenzeit gibt es über zwei Milliarden Nutzer von Facebook weltweit, und das hat natürlich dann schon zur Folge, dass sehr, sehr viele Leute nicht ansatzweise sich vorstellen können, was da im Hintergrund alles passiert. Viele haben ja von Technik wenig Ahnung, viele lesen auch die Zeitungen nicht so genau. Die Konsequenzen, die jetzt mit der Nutzung von Facebook verbunden sind, die sind, glaube ich, sehr vielen Leuten nicht bekannt.
    "Briefgeheimnis ist den Leuten schon wichtig"
    Heinlein: Aber vielleicht interessieren sich die Facebook-Nutzer ganz einfach eigentlich gar nicht oder überhaupt nicht oder nur ein wenig für Datenschutz.
    Weichert: Das glaube ich nicht. Das alte Postgeheimnis, Briefgeheimnis, das ist etwas, was auch den Leuten im digitalen Zeitalter schon wichtig ist. Nur man hat es nicht so auf dem Schirm. Man weiß natürlich, dass da irgendwas passieren könnte, hat aber die Hoffnung, dass es einen selbst nicht trifft. Das was bei Facebook und Cambridge Analytica gemacht worden ist, ist auch etwas, was jetzt nicht direkt weh tut. Das ist nichts anderes als Manipulation und das ist nichts anderes auch als jetzt ein demokratischer Eingriff, nicht unbedingt etwas, was man ganz persönlich und direkt im eigenen Leben sofort merkt.
    Heinlein: Nichts anderes als Manipulation, sagen Sie, Herr Weichert. Wie funktioniert denn dieses Abgreifen der Daten? Offenbar wurden dafür ja soziale Fragebögen verwendet.
    Weichert: Genau. Es wurden viele Leute angeschrieben von Facebook und wurden aufgefordert, doch bitte schön ganz bestimmte Fragen zu beantworten, aus denen dann ein Psychoprofil erstellt wurde. Und dieses Psychoprofil, wo Einstellung, politische Wertung, auch Vorstellungen von der Zukunft, von politischen Meinungen und so weiter abgefragt wurden, das wurde zur Grundlage genommen dann für Wahlwerbung. Ich bin jetzt nicht ganz darüber im Klaren, das geht aus den Meldungen bisher nicht hervor, ob das jetzt wirklich Brexit war, ob es die Trump-Wahl war. Zumindest eine politische Entscheidung wurde auf die Art und Weise von Cambridge Analytica beeinflusst, indem ganz gezielt auf diese Psychoprofile hin Meldungen zum Beispiel zu der Kandidaten Clinton oder zu der Pro Brexit oder Anti Brexit Kampagne rausgegeben wurden.
    "Ganz gezielt die öffentliche Meinung beeinflusst"
    Heinlein: Was ist denn eigentlich so schlimm an dieser personalisierten Wahlwerbung, die ja dann gezielt abgeworfen wird im Netz an die Facebook-Nutzer? Das ist doch nichts anderes als Unternehmen machen mit ihren Kundendaten auf Grundlage von irgendwelchen Daten, dann gezielt Werbung abzusetzen, entweder im Postkasten oder im Internet durch Mails.
    Weichert: Ja, diese personalisierte Werbung, die hat natürlich zum Hintergrund, dass dann wirklich eine sehr präzise Beeinflussung von Menschen passieren kann. Das ist im Prinzip schon immer das Ziel der Werbung. Das Problem ist aber hier, dass nicht nur einfach Werbung gemacht wurde, sondern dass ganz gezielt auch mit Fake News, mit falschen Informationen die öffentliche Meinung beeinflusst wurde und dass dadurch wirklich auch eine Verzerrung der öffentlichen Auseinandersetzung stattgefunden hat, und das im großen Stil, so dass die Befürchtungen, dass jetzt hier Wahlen beeinflusst worden sind, nicht unbegründet sind.
    Heinlein: Nun reden wir die ganze Zeit in diesem Interview, Herr Weichert, über Facebook und den Datenmissbrauch – 50 Millionen Nutzer. Ist das dennoch nur vielleicht die Spitze des Eisberges und es gibt noch andere soziale Netzwerke, die in ähnlicher Form vielleicht hier die Daten abgreifen?
    Weichert: Zweifellos. Es gibt sehr viele solche sozialen Netzwerke und viele von denen, insbesondere wenn sie ihren Sitz in den USA haben, nutzen diese Daten für Werbezwecke. Aber ich glaube, Facebook ist schon der schlimmste Finger. Die sind mit ihrer riesigen Ausbreitung in der ganzen Welt und mit ihrem politischen Einfluss, auch dem Ziel, politisch Einfluss zu nehmen, glaube ich, wirklich als die Gefährlichsten anzusehen. Die anderen sozialen Netzwerke analysieren teilweise die Inhalte nicht. Zum Beispiel bei WhatsApp ist es nicht möglich, direkt jetzt auf die Inhalte zuzugreifen, weil wir eine Ende zu Ende Verschlüsselung haben. Das ist bei Facebook nicht der Fall. Bei anderen wie Instagram und WhatsApp – die gehören ja auch Facebook. Insofern ist da immer auch die Befürchtung da, dass diese Daten dann auch für die gleichen Zwecke wie bei Facebook genutzt werden. Andere Netzwerke, wenn sie in Deutschland, in Europa ihren Platz haben, sind unter Umständen sehr viel mehr datenschutzkonformer, als das jetzt von amerikanischen Anbietern zu vermuten oder zu befürchten ist. Man muss da schon sehr differenzieren.
    Europ. Datenschutz-Grundverordnung - Stichtag 25. Mai
    Heinlein: Sie sagen es mit recht: US-amerikanische Firmen, Internet-Giganten sind das große Problem. Sie sitzen im Silicon Valley oder an anderen Orten in den USA. Ist man da als deutscher, als europäischer Datenschützer nur ein kleines Licht und weitgehend hilflos?
    Weichert: Ja, das war bisher so. Das wird sich aber definitiv ändern mit dem 25. Mai dieses Jahres. Da tritt die Europäische Datenschutz-Grundverordnung in Kraft und die sieht Sanktionen bei Datenschutzverstößen auf dem europäischen Markt vor, die bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes eines Konzerns global gehen. Das heißt, hier haben dann die Aufsichtsbehörden erstmals die Möglichkeit, richtig heftig zuzuschlagen und dann auch Sanktionen auszusprechen, die dann so einem großen Konzern wie Facebook oder wie Google oder Microsoft oder Apple oder Amazon wirklich weh tun.
    Heinlein: Brüssel will ja am heutigen Tag den US-Internet-Giganten auch finanziell die Daumenschrauben vielleicht sogar anlegen. Das bisherige Steuersystem soll reformiert werden. Ist das auch ein möglicher Weg, damit Facebook und andere soziale Netzwerke den Datenschutz künftig ernster nehmen?
    Weichert: Das glaube ich nicht. Es ist aber unbedingt notwendig, dass die Steuervermeidung, die bisher von diesen Informationsgiganten betrieben worden ist, auch in den Griff gebracht wird. Auf der einen Seite profitieren diese Unternehmen natürlich von der ganzen Infrastruktur in Europa, in Deutschland, ohne bereit zu sein, für diese Infrastruktur zu bezahlen. Eine direkte Konsequenz für den Datenschutz hat aber diese Steuervermeidungsstrategie nicht, außer der, dass diese Giganten oder diese Unternehmen derart viel Geld anhäufen können, dass sie ihr Reich immer weiter ausbauen können und immer mehr Leute dann auch in ihren Bann ziehen können und unsere Gesellschaft beeinflussen können.
    Verbraucher ist das allerletzte Ende
    Heinlein: Stand heute, Herr Weichert, letzte Frage, ist letztendlich jeder selbst persönlich dafür verantwortlich, dass seine Daten nicht manipuliert und abgeschöpft werden. Man muss ein bisschen vorsichtiger sein im Gebrauch von sozialen Netzwerken wie Facebook.
    Weichert: Vorsicht ist auf jeden Fall geboten. Jetzt hier dem Verbraucher die Verantwortung zuzuschustern, geht nicht, weil er im Prinzip ja nur das allerletzte Ende ist und nur ganz begrenzte Einflussmöglichkeiten hat. Es gibt für den Verbraucher oft nur die Möglichkeit, es ganz sein zu lassen, ganz bestimmte Dienste zu nutzen, und das ist angesichts des sozialen Drucks, der vorhanden ist, und auch dem begrenzten Angebot an solchen Kommunikationsmöglichkeiten oft sehr schwierig, da irgendwo auszuweichen. Insofern muss hier der Staat handeln und müssen die Unternehmen sich datenschutzkonform aufstellen, und dann ist im Prinzip auch nichts dagegen einzuwenden, dass wir solche weltweiten Plattformen nutzen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Weichert: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.