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Datensammlung per Hausbesuch

Wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt? Wie hoch ist Ihr Einkommen? Welcher Religion gehören Sie an? Fragen wie diese führten in den 80er Jahren zu erbitterten juristischen Auseinandersetzungen um die von der Bundesregierung geplante Volkszählung. Erst nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts, das erstmals die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers festschrieb, zogen schließlich am 25. Mai 1987 die Interviewer von Haus zu Haus.

Von Mirko Smiljanic | 25.05.2007
    Ohne Volkszählung oder Zensus geht es nicht, davon waren schon die Machthaber antiker Hochkulturen überzeugt. Bereits vor knapp 6000 Jahren sammelten babylonische Bürokraten Informationen über die Bewohner der damals größten Stadt, der chinesische Kaiser tat es vor 4300 Jahren, nicht zu vergessen Kaiser Augustus, der vor 2000 Jahren gleich den ganzen Erdkreis zählen ließ, was dazu führte, dass ein junges Paar namens Josef und Maria nach Bethlehem ziehen musste, wo schließlich Jesus Christus geboren wurde. Moderne Volkszählungen reichen zurück bis ins 17. Jahrhundert: In Kanada, Finnland, Österreich, Russland wurden die Bewohner befragt - und natürlich in der Bundesrepublik Deutschland, die 1983 ihre Bürger zählen wollte.

    "Eine Volkszählung ist im Augenblick so notwendig wie zu keiner Zeit zuvor, die statistischen Ergebnisse über die Strukturdaten der Bevölkerung, die Arbeitsstätten, der Wohnungen, Erwerbstätigkeit sind mit so vielen Risiken behaftet, dass sich ein Leitsatz eines Statistischen Amtes kaum noch traut, sie zu veröffentlichen","

    sagte der damalige Präsident des Statistischen Bundesamtes, Franz Koppenstedt. Aktuelle Daten bekam er allerdings erst vier Jahre später, denn als das Vorhaben bekannt wurde, brach ein Sturm des Protestes los: Die Angst vor dem gläsernen Bürger führte zu einer breiten Ablehnung der Volkszählung, die Kritik ging quer durch alle politischen Lager und sozialen Schichten. Als schließlich zwei Hamburger Rechtsanwältinnen Klage gegen den Zensus erhoben, stoppte das Bundesverfassungsgericht die Aktion per einstweiliger Verfügung und legte im Dezember 1983 in seinem Urteil zur Informationellen Selbstbestimmung die Bedingungen zukünftiger Volkszählungen fest.

    ""Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung eine Feststellung getroffen, die mir die allerwichtigste erscheint: Es hat gesagt, dass statistische Erhebungen nur dann einen Sinn haben, wenn sie auf dem Vertrauen der Bürger beruhen, also auf der Bereitschaft der Bürger zusammenzuarbeiten."

    Diese Bereitschaft, so der damalige hessische Datenschutzbeauftragte Spiro Simitis, sei aber nicht vorhanden. Menschen aller Schichten hätten Angst, der Staat wolle sie aushorchen, um die Informationen gegen sie zu verwenden. Wobei allerdings der Protest zunächst in eine andere Richtung lief: Anfang der 80er Jahre wollte die NATO Pershing-Raketen in Deutschland stationieren, was Linksalternative zu dieser Forderung animierte:

    "Wenn Ihr uns nicht sagt, wo die Raketen stehen, sagen wir Euch auch nicht, wo wir wohnen."

    Die Raketenfrage wurde zwar nicht geklärt, trotzdem musste der Fragebogen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes komplett überarbeitet werden. Die Anonymität des Einzelnen hatte höchste Priorität. Da der Fragebogen aus zwei Teilen bestand, aus einem Mantelbogen mit persönlichen Angaben wie Name und Geburtsdatum und einem Datenbogen, ging es darum, wie man beide Teile trennen konnte. Aber selbst die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes garantierten keine Anonymität.

    "Die Daten sind zu keinem Zeitpunkt anonym. Sie sind deshalb nicht anonym, weil sie über einen langen Zeitraum mit den Mantelbögen verbunden sind. Aber auch dann, wenn die Mantelbögen vernichtet werden, das wissen wir aus vielen Erfahrungen und Diskussionen lange vor der Volkszählung, dass ein Zusatzwissen in den statistischen Ämtern immer genügt, jemanden ausfindig zu machen, also ihn zu reidentifizieren zu können, erst recht wenn es sich um kleinere Gemeinden handelt, seltene Berufe oder sonstige Angaben, die dazu verhelfen, sofort auszumachen, um wen es sich dabei handelt."

    Trotz aller Proteste startete die Volkszählung am 25. Mai 1987. Entweder kamen die Fragebögen per Post, oder ein Interviewer ging in die Wohnung. Trotz aller Proteste war die Rücklaufquote übrigens mit weit über 90 Prozent erstaunlich hoch; und die Statistiker lobten durchweg die Datenqualität.

    2010 und 2011 wird sich Deutschland an einem EU-weiten Zensus beteiligen, der rund 500 Millionen Euro kostet. Wie die Stimmung dann sein wird, kann heute noch niemand sagen. Sicher ist aber, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die informationelle Selbstbestimmung enorm an Bedeutung gewonnen hat. Eine Vorgabe, mit der auch Innenminister Wolfgang Schäuble bei seinen Plänen rund um die innere Sicherheit rechnen muss.