Donnerstag, 18. April 2024

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Datenschützer begrüßt Urteil zum Lauschangriff

Dirk Müller: Herr Garstka, vielleicht aus Ihrer Sicht etwas polemisch zum Einstieg, ist das Urteil heute in Karlsruhe ein heimlicher Sieg für das organisierte Verbrechen?

Moderation: Dirk Müller | 03.03.2004
    Hansjürgen Garstka: Nein, keineswegs. Das Urteil versucht ja sehr abzuwägen zwischen den Interessen der Strafverfolgung und den Belangen der Betroffenen, und es sagt, es muss auch für Strafverfolger einen letzten Bereich, einen letzten Kern der persönlichen Lebensführung geben, in dem sich auch ein Straftäter zurückziehen kann. Und Sie sagen ja auch, sobald konkret ein Anhaltspunkt dafür da ist, dass Verbrechen abgesprochen werden sollen, dann ist es ja eingeschränkt.

    Müller: Aber die Hürden für die Ermittler sind höher geworden.

    Garstka: Sie sind höher. Man muss sich mehr Mühe geben, eben zu gucken, kann das Abhören in der Wohnung zu Erfolg führen oder nicht, oder sind da unbeteiligte Personen drin? Bisher ist es nach unseren Erfahrung häufig so, dass einfach kontinuierlich abgehört wurde, ohne überhaupt über die Effektivität der Maßnahme nachzudenken. Das ist natürlich zu Ende. Man muss sehr viel sorgfältiger vorgehen als es bisher der Fall war.

    Müller: Das heißt also, definitiv aus Ihrer Sicht in den vergangenen fünf Jahren ist mit dem großen Lauschangriff Schindluder getrieben worden?

    Garstka: Na ja, ich will nicht "Schindluder getrieben worden" sagen, weil man sich ja an die gesetzlichen Vorgaben gehalten hat, aber diese gesetzlichen Vorgaben sind eben verfassungswidrig gewesen, so dass man die Praxis, die man hatte, ändern muss.

    Müller: Haben Sie in der Praxis als Datenschutzbeauftragter im Land Berlin denn auch von diesen privaten Klagen gehört? Ist da viel bei Ihnen auf dem Tisch gelandet?

    Garstka: Nein, Klagen selbst sind bei uns nur im Einzelfall gelandet, aber wir haben von Amtswegen die Durchführung der großen Lauschangriffe in Berlin überprüft. Wir sind gerade dabei, die Ergebnisse auszuwerten.

    Müller: Das heißt, bislang gibt es noch gar keinen Grund, die Praxis zu verändern?

    Garstka: Na ja, ab heute muss sie geändert werden, und wir wollen mal schauen, was bei unserer Überprüfung herauskommt. Ob man sich bis heute überhaupt an die gegebenen Gesetzesvorlagen gehalten hat, da sind wir dabei, das zu prüfen, aber da kann ich jetzt noch keine Bewertung abgeben.

    Müller: Hat der große Lauschangriff etwas mit Menschenwürde zu tun, so wie wir das aus Karlsruhe heute gehört haben?

    Garstka: Ja, selbstverständlich. Das haben die Richter ja betont. Das haben die Datenschutzbeauftragen auch in der Anhörung im vergangenen Jahr gesagt. Jeder Mensch braucht einen letzten Bereich, in den er sich zurückziehen können muss, und der ist für den Staat tabu. Das Bundesverfassungsgericht hat ja sehr deutlich gesagt, dass zum Beispiel dann, wenn innerste Gefühle zum Ausdruck gebracht werden, wenn Ausdrucksformen der Sexualität, wie man formuliert hat, abhörbar werden, dann ist eben Schluss, da muss man abschalten, weghören und löschen.

    Müller: Das heißt, die Ermittler müssen jetzt wissen, in welcher Situation was besprochen wird?

    Garstka: Richtig. Wie man das macht, das mag schwierig sein. Das haben die Richter ja auch angedeutet, aber da wird man eben sich etwas einfallen müssen.

    Müller: Aber Sie wollen es nicht ausschließen, dass auch im Schlafzimmer kriminelle Energie entwickelt wird?

    Garstka: Also sie haben ausdrücklich gesagt, dass man zwischen Räumen wohl nicht unterscheiden kann, denn man kann sowohl im Schlafzimmer Verbrechen verabreden als auch in der Küche innerste Gefühle und mehr äußern. Also das ist wohl richtig. Es kommt mehr auf den Inhalt der Gespräche an, auf die Art, auf die anwesenden Personen als auf den Raum, in dem abgehört wird.

    Müller: Sie müssen uns bei einem Punkt noch einmal weiterhelfen. Wenn wir das richtig verstanden haben, geht es darum, Wanzen nur dann - jetzt verkürzt -, wenn es schwerwiegende Straftaten sind. Inwieweit kann man im Vorfeld ganz genau wissen, wie schwer diese geplante verabredete Straftat denn hinterher zum Ausdruck kommt? Also da ist die Grenze von fünf Jahren genannt worden. Kann das ein Ermittler wissen?

    Garstka: Na ja, ein großer Lauschangriff ist ja im Augenblick nur zulässig zur Strafverfolgung, das heißt, die Straftat muss begangen sein, und wenn sie begangen ist, weiß ich ja, welche Art von Straftat es ist und kann dann schauen, fällt sie in den Katalog oder nicht. Die reine Vorsorge vor Straftaten ist kein Tatbestand, wo ich abhören darf.

    Müller: Um mich da vielleicht noch einmal zu präzisieren, es geht ja darum, inwieweit die Ermittler erkennen können, ob es bei den auszuspionierenden Kandidaten, wenn ich das so ausdrücken darf, genau wissen, ob sie hauptverantwortlich sind oder vielleicht nur Helfershelfer sind. Wie sollen sie das differenzieren?

    Garstka: Na ja, es muss ein konkreter Tatverdacht sein, dass die abgehörte Person tatsächlich verdächtigt ist, selbst eine Straftat begangen zu haben, bei der eben ein hohes Strafmaß droht. Das ist ja nicht nur so, dass beim Täter selbst das der Fall ist, sondern auch Personen, die Beihilfe gewähren, also die die Straftat vorbereiten und mithelfen, unter dem hohen Strafrahmen fallen können. Also das steht nicht im Vordergrund. Im Vordergrund steht die Art der Straftat.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.