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David Goldblatt-Retrospektive
Südafrikas visuelles Gewissen

Seit vielen Jahrzehnten fotografiert der 87-jährige David Goldblatt sein Heimatland Südafrika. Mit nüchternem Blick und meist in schwarz-weiß dokumentiert er 60 Jahre südafrikanischer Geschichte. Nach der Apartheid wurden die Bilder farbig. Zumindest solange die neue Freiheit andauerte.

Von Kathrin Hondl | 21.02.2018
    Der südafrikanische Fotograf David Goldblatt sitzt in seinem Büro in Johannesburg am Schreibtisch, auf dem Schwarz-Weiß-Abzüge von Fotos liegen. Hinter ihm steht eine Bücherwand. Goldblatt hat beide Ellbogen aufgestützt und blickt nachdenklich in die Kamera. Das Foto ist rund und wurde in Fischaugen-Perspektive aufgenommen.
    Südafrikanische Geschichte in Bildern - Der Fotograf David Goldblatt 2011 in Johannesburg (imago / Gallo Images)
    Eine Art primitiver Kommunikationsapparat hängt an einer Wand, von der der Putz bröckelt. Über drei unterschiedlich großen, runden Schaltern oder Klingelknöpfen ist ein Schild angebracht, von dem an Schnüren kleine Metallplättchen herabhängen. Auf dem Schild eine Anweisung: "When ringing for boy please insert your card in slot." - "Wenn Sie nach dem Boy klingeln, stecken Sie bitte Ihre Karte in den Schlitz."
    Die Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1967 gehört zu einer Serie von Aufnahmen, die David Goldblatt in den Goldminen von Witwaterstrand machte. Goldblatt:
    "Der 'Boy' war ein Mann im Alter zwischen 18 und Ende 50. Und dieser 'Boy' wurde gerufen, damit er kommt und erfährt, was der Chef von ihm will. Jedes Metallplättchen war einem der weißen Meister oder ihren Büros zugeordnet."
    Goldblatts Erläuterungen sind im Centre Pompidou zu hören und zu sehen - in Videos, die für die Ausstellung produziert wurden. Denn es ist ihm wichtig, den Kontext der Bilder, die komplexe Geschichte dahinter zu vermitteln. Fotografie ist für Goldblatt ein "Akt des Denkens", sagt Kuratorin Karolina Ziebinska-Lewandowska.
    "Er definiert sich als Fotograf. Aber die Fotografie ist ein Medium, das Grenzen hat. Sie reduziert die Komplexität der Dinge. Sie vereinfacht. Und diesen Mangel, diese Schwierigkeit des Mediums Fotografie überwindet er mit der Sprache."
    Kurze Texte ergänzen die meisten Fotos. So erfahren wir zum Beispiel: Die grimmig schauenden Männer auf weißen Pferden sind Anhänger der National Party, die den Apartheidspolitiker Hendrik Verwoerd zur Feier des 50. Parteijubiläums begleiteten.
    Mehr als 200 Goldblatt-Fotografien sind im Centre Pompidou zu sehen. Gut 60 Jahre südafrikanische Geschichte in Bildern. Goldblatt, der Sohn litauischer Juden, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Südafrika geflohen waren, zeigt den Alltag im Apartheidstaat mit nüchternem Blick.
    Zwei junge Männer posieren aneinandergeschmiegt mit dem sogenannten "dompas", einem Ausweisdokument, das alle Schwarzen über 16 immer bei sich haben mussten. Eine schwarze Verkäuferin steht mit müdem Blick hinter einer Ladentheke in Soweto. Eine weiße Ballett-Tänzerin führt auf der Terrasse ihres Elternhauses ihr neues Tutu vor. Alle sind perfekt fotografiert, in schwarz-weiß.
    Farbe als politischer Akt
    "Mit Farbfotografie beginnt er erst kurz nach dem Ende der Apartheid", so die Kuratorin. "Er sieht sein Land wieder aufleben und farbig werden. Und er möchte diese neue Realität unmittelbar wiedergeben. Wenn er aber nicht einverstanden ist mit der Realität, wenn er sich nicht mit ihr identifiziert, dann kehrt er zur Schwarz-Weiß-Fotografie zurück."
    Das geschah 2016. Da fotografierte Goldblatt Spuren der Studentenproteste an der Universität von Kapstadt. "Rhodes Must Fall" war das Motto. Die Proteste richteten sich zunächst gegen eine Statue des britischen Kolonialpolitikers Cecil Rhodes, dann gegen die Kunstsammlung der Universität, gegen tatsächlich oder vermeintlich kolonialistische oder rassistische Kunstwerke. Auf einem Foto ist einfach nur verkohlter Erdboden zu sehen. Goldblatt:
    "Sie verbrannten mehr als 20 Gemälde und zwei Fotografien. Ich fand diese Entwicklung sehr verstörend. Denn das war das genaue Gegenteil der Demokratie, für die wir in diesem Land so lange gekämpft hatten. Wenn es in einer Demokratie Meinungsverschiedenheiten gibt, dann wird geredet. Du sprichst! Und das hier war das Gegenteil von Reden."
    Ein anderes Foto dokumentiert die Reste der verbrannten Bilder: Auf hellem Tuch liegen die verkohlten Bruchstücke wie aufgebahrt. Als der akademische Rat der Universität Kapstadt nach den Studentenprotesten beschloss, alle als "problematisch" empfundenen Kunstwerke aus der Sammlung zu verbannen, traf auch Goldblatt eine Entscheidung. Sein Archiv, das er ursprünglich der Uni Kapstadt vermachen wollte, wird stattdessen in den Besitz der Yale University in den USA übergehen.
    (David Goldblatt, Centre Pompidou Paris, 21.2. – 13.5.2018)