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"Davos ist nicht sehr bedeutend"

Der Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung, Heiner Flassbeck, erwartet angesichts der Wirtschaftskrise vom Weltwirtschaftsforum in Davos keine Impulse. Davos sei ein reines Gesellschaftsereignis. Um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen, bedürfe es einer strikten Bankenregulierung und der Stabilisierung des internationalen Währungssystems, betonte Flassbeck.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Jochen Spengler | 28.01.2009
    Jochen Spengler: Schinken und Käse statt Humor und Kaviar. Die weltweite Wirtschaftsflaute wird auch auf dem heute beginnenden Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Skiort Davos sichtbar werden. Insgesamt 43 Staats- und Regierungschefs, so viele wie nie zuvor, diskutieren dort fünf Tage lang gemeinsam mit Wirtschaftsexperten, Bankern und Politikern über Auswege aus der weltweiten Finanzkrise. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird übermorgen nach Davos reisen.
    Jetzt sind wir alle Keynesianer, heißt es derzeit an der Wall Street und womöglich auch in Davos beim Weltwirtschaftsforum. Mit anderen Worten: Jetzt glauben viele Experten an die Lehre des Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes, dass der Staat in einer Krise mit kräftigen Programmen die Konjunktur ankurbeln sollte. Schon immer ein Keynesianer ist Heiner Flassbeck, unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und zurzeit Chefvolkswirt der UNCTAD, der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung in Genf. Guten Morgen, Herr Flassbeck.

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Spengler: Herr Flassbeck, lassen Sie uns kurz gemeinsam anhören, was Sie anders als viele andere vor ziemlich genau einem Jahr vorhergesagt haben, übrigens hier im Deutschlandfunk.

    Heiner Flassbeck: "Durch den extremen Export-Boom der letzten Jahre ist Deutschland viel verwundbarer, als es jemals vorher war. Das wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Von daher spricht alles dafür, dass es doch einen gewaltigen Rückschlag in diesem Jahr geben wird.
    Man sieht ja in den USA: Die diskutieren sofort ein Konjunkturprogramm. Bei uns ist das Tabu. Natürlich muss man etwas gegensteuern. Man muss. Zum Beispiel kann man darauf vorbereiten, öffentliche Investitionen sehr schnell in Gang zu setzen, was sicher sehr viel direkter und unmittelbarer wirkt als Steuersenkungen oder ähnliche Dinge, die jetzt so am Rande diskutiert werden. Also man kann sich vorbereiten und insofern muss man hier ein vollständiges Umdenken in Berlin einfordern."

    Spengler: So weit Heiner Flassbeck vor einem Jahr, jetzt wieder bei uns am Telefon. Herr Flassbeck, man hat umgedacht in Berlin. Gestern hat das Bundeskabinett das größte Konjunkturpaket der Geschichte der Bundesrepublik verabschiedet. Jubeln Sie jetzt?

    Flassbeck: Jubeln tue ich bestimmt nicht. Es gibt keinen Grund zu jubeln. Die Lage ist so schlimm.

    Spengler: Ich wollte sagen: Es ist eigentlich schade, dass Sie Recht behalten haben, oder?

    Flassbeck: Ja. Dass man sich nicht darüber freuen kann, wenn man Recht behalten hat, stimmt in der Tat. Nein, ich jubele nicht. Immerhin hat das Umdenken in gewisser Weise begonnen, würde ich mal sagen, aber wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten, um wirklich erfolgreich gegenzusteuern. Das Programm ist insgesamt zu klein, es ist zu zaghaft und wir sehen ja, man hätte sich darauf vorbereiten können. Das heißt, die Investitionen müssten jetzt anlaufen. Das ganze wird jetzt noch mal ein halbes Jahr dauern, bevor das erste richtige Geld fließt, und das ist eigentlich schon zu spät.

    Spengler: Das heißt, Sie sagen, das Investitionsprogramm kommt zu spät. Nun gibt es andere, die sagen, wenn man es schon vor einem Jahr gemacht hätte, dann wäre es verpufft.

    Flassbeck: Nein, nein. Es wäre überhaupt nicht verpufft. Ich meine, der Exporteinbruch, den wir jetzt erleben, den ich da vorhergesagt habe, der war ganz klar zu erwarten und der musste auch stark sein. Dass er so dramatisch stark sein würde, hatte ich auch nicht gedacht, aber man hätte wie gesagt das Programm in der Schublade haben können und dann loslegen, sobald es völlig klar war, dass es eine Rezession geben wird, was spätestens Mitte des Jahres schon der Fall war.

    Spengler: Sie sagen, das ist zu wenig, was jetzt beschlossen worden ist, 50 Milliarden. Dann gab es ja schon das erste Konjunkturpaket im November. Was denn noch?

    Flassbeck: Ja, das klingt immer so gewaltig. Aber die 50 Milliarden muss man erst mal verteilen auf zwei Jahre. Wir haben ja einen Einbruch von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Prognose der Regierung von ein bisschen über zwei Prozent Einbruch, sogar 2,25 Prozent oder so etwas, beruht auf der Annahme - das ist aber eine reine Annahme -, dass im zweiten Quartal die Wirtschaft schon wieder nach oben geht. Wenn sie das nicht tut, sondern noch drei Quartale stagniert oder weiter runtergeht, dann haben wir viel mehr als 2,5 Prozent Rückgang und dann bewirkt ein Prozent, das der Staat dagegen hält, eben nicht genug, sondern wir müssen mindestens zwei Prozent dagegen halten, das heißt 50 Milliarden pro Jahr.

    Spengler: Deswegen trotzdem: was denn noch?

    Flassbeck: Was noch?

    Spengler: Inhaltlich, also nicht nur Geld, sondern wofür soll das Geld dann dienen?

    Flassbeck: Das Geld? - Investitionsbedarf ist immer noch in unglaublichem Maße da. Wenn man das vorbereitet hätte, wäre es überhaupt kein Problem gewesen. Allein im Bereich Schulen und so weiter - das ist ja bekannt - schätzt die Bundesregierung selbst, dass es 70 Milliarden Rückstand gibt. Das hätte man alles in Gang setzen können, planen können. Darüber hinaus kann man natürlich die Menschen entlasten. Es gab gestern ein Urteil, das sagt, die Kinder von Hartz-Empfängern bekommen viel zu wenig. Man hätte die Menschen entlasten können, die sehr wenig haben und die das ganze Geld auch sofort wieder ausgeben.

    Spengler: Und die Verschuldung, die ja exorbitant ansteigt, die ist Ihnen egal?

    Flassbeck: Die Verschuldung kann man ohnehin nicht verhindern. Das hat inzwischen ja auch Frau Merkel verstanden. Sie hat es gestern im Bundestag jedenfalls, glaube ich, so gesagt. Verschuldung kann man nicht verhindern, sondern die Verschuldung kommt durch die Rezession. Die kommt nicht durch die Programme. Deutschland hat in den letzten Jahren sozusagen auf Pump der anderen gelebt, also hat sich auf der Verschuldung des Auslandes ausgeruht, und dieses Modell ist nun zusammengebrochen. Deswegen gibt es nur eigene Verschuldungen, die man dagegenhalten kann.

    Spengler: Wenn ich Ihnen folge und auch Ihrem politischen Freund Oskar Lafontaine, dann weiß ich gar nicht, wann der Staat Schulden abbauen kann.

    Flassbeck: Der kann die abbauen. Wir haben nur das Problem, dass wir in den letzten Jahren, weil wir eine schlechte Wirtschaftspolitik gemacht haben, zu kurze Aufschwünge immer nur hatten. Bei uns fallen die Aufschwünge immer nur vom Himmel, per Zufall wie Manna vom Himmel. Insofern haben wir nicht dafür gesorgt, dass wir lange genug und auch aus dem Innern heraus, nicht nur vom Export abhängig, sondern aus dem Innern heraus lange genug wachsen können. Wenn man vier, fünf Jahre Aufschwung hat, kann man selbstverständlich abbauen. Selbst in diesem Miniaufschwung, den wir jetzt hatten, zweieinhalb Jahre, ist ja die Verschuldung deutlich abgebaut worden. Wir haben seit 30 Jahren ein massives Versagen der Wirtschaftspolitik - das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen - und sind weit zurückgefallen gegenüber anderen Ländern und Regionen, die da erfolgreicher waren.

    Spengler: Stichwort Bankenrettungspaket: Das war alternativlos?

    Flassbeck: Die Art und Weise, wie es gemacht wird, das kann man im einzelnen schwer beurteilen, aber da habe ich doch große Fragezeichen. Ich meine, dass man so viel Geld in Banken hineinsteckt, die jetzt an der Börse nur noch ein Zehntel oder ein Hundertstel dessen wert sind, was man hineingesteckt hat, ich glaube nicht, dass das alternativlos war.

    Spengler: Hätte man eine Bank Pleite gehen lassen sollen?

    Flassbeck: Ja. Man hätte durchaus hier mal ein Exempel statuieren können und zeigen können, dass nicht nur alle immer darauf warten können, dass der Staat kommt. Ich halte diesen Lehman-Fall für nicht so dramatisch. Viele sagen ja, das war der eigentliche Auslöser der Krise. Das halte ich für falsch. Es gab insgesamt eine viel größere Spekulationsblase, die nicht an Lehman hing, und die ist in sich zusammengebrochen.

    Spengler: Lehman ist eine internationale Bank. Damit sind wir bei dem internationalen Problem, das diese Weltwirtschaftskrise ja auch ist. Nun haben wir heute das Weltwirtschaftsforum in Davos. Was kommt da raus? Kann das Forum etwas dazu beitragen, aus der Krise herauszufinden?

    Flassbeck: Nein. Aus Davos kommt nichts heraus. Es geht auch wenig hinein, würde ich mal sagen, dann kommt wenig heraus. Das ist ungefähr so, wie Franz Beckenbauer sagte, als wenn in China ein Rad umfällt. Davos ist nicht sehr bedeutend, weil man muss ja nicht denken, dass die Leute, wie das am Anfang ein bisschen klang, dort fünf Tage sitzen und brüten. Selbst wenn sie das täten, wären fünf Tage zu wenig, aber sie tun das ja nicht, sondern sie fliegen rein und fliegen wieder raus und ansonsten ist es ein großes Gesellschaftsereignis, aber nichts von Bedeutung.

    Spengler: Wo kann denn was rauskommen?

    Flassbeck: Man muss sich ernsthaft in ernsthaft ausgebildeten Stäben sozusagen hinsetzen und versuchen, die Probleme zu analysieren und dann politische Vorschläge zu machen. Wir machen das zum Beispiel hier gerade in Genf, woanders wird das auch vorbereitet. Und dann muss man diese Vorschläge gründlich prüfen und schnell in Aktion treten, denn das in der Tat fehlt vollkommen. Es gibt ja bisher im Bereich Finanzmarktregulierung noch überhaupt nichts Fassbares.

    Spengler: Ich wollte sagen: Die vielen Reformen, die angedacht wurden, die Reformen des Weltfinanzsystems, was von denen ist denn eigentlich bislang umgesetzt?

    Flassbeck: Da ist ja noch überhaupt nichts. Nicht mal richtungweisende Kommuniques gibt es. Es gab zwar ein G20-Treffen, also 20 Länder im November in Washington, aber auch das Kommunique ist viel zu kurz, greift nicht weit genug. Die Frage zum Beispiel Währungsspekulation, an der Island gescheitert ist und viele andere Länder in ganz großen Schwierigkeiten jetzt im Moment sind, in Osteuropa vor allem, diese Frage ist noch überhaupt nicht aufgegriffen worden. Manche reden zwar über Bretton Woods, aber anscheinend ohne zu wissen, wovon sie reden.

    Spengler: Könnte natürlich auch daran liegen, dass wir den Machtwechsel in Washington hatten, dass also erst mal die Obama-Administration ins Amt kommen musste. Was erwarten Sie denn von dem Weltfinanzgipfel Anfang April in London? Könnte es da zu ersten Entscheidungen kommen?

    Flassbeck: Na ja, das ist die Fortsetzung des Gipfels, den ich gerade erwähnt habe. Ich hoffe, dass es da etwas substanzieller wird und dass man da sich ernsthafter überlegen wird, was zu tun ist. Bis dahin wird es auch erste, glaube ich, vernünftig ausgearbeitete Vorschläge geben.

    Spengler: Herr Flassbeck, jetzt haben Sie noch eine halbe Minute mir zu sagen, was die wichtigsten Maßnahmen wären.

    Flassbeck: Die wichtigste Maßnahme ist, die Bankenregulierung jetzt anzufassen, das Kasino zu schließen, wesentlich höhere Eigenkapitalvorschriften durchzusetzen und das internationale Währungssystem zu stabilisieren, also zu verhindern, dass Länder, jetzt noch mehr Länder über die Klippe fallen.

    Spengler: Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UNCTAD, der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung in Genf. Danke für das Gespräch.