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DDR-Bürgerrechtler kritisieren Pegida
"Jesus hätte gekotzt"

Mehr als 50 ehemalige DDR-Bürgerrechtler haben gemeinsam die Vereinnahmung der friedlichen Revolution durch die sogenannte Pegida-Bewegung kritisiert. Die Freiheitsparole "Wir sind das Volk" werde auf ihren Demonstrationen verkehrt. Dort gibt es immer mehr Zulauf - und der Ton wird schärfer.

23.12.2014
    Anhänger des "Pegida"-Bündnisses demonstrieren vor der Dresdner Oper.
    Anhänger des "Pegida"-Bündnisses demonstrieren vor der Dresdner Semperoper. (dpa / Kay Nietfeld)
    Die Bürgerrechtler erklärten, ihre Freiheitsparole habe im Jahr 1989 für Freiheit, Toleranz und Weltoffenheit gestanden. Statt wie damals für "Visafrei bis Hawai" und "Die Mauer muß weg" fordern die sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) heute "Visafrei nur für uns" und "Die Mauer muss her am Mittelmeer". Das Eintreten von Pegida gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes stehe für ein "Dunkeldeutschland". In der Erklärung der Bürgerrechtler heißt es: "Ihr sprecht nicht für '89, ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung, ihr seid deren Schande".
    "Jesus hätte gekotzt, hätte er euch getroffen", heißt es in der Erklärung "Weihnachtsgruß von Neunundachtzigern", die taz.de und Neues Deutschland vorliegt. Die Pegida-Demonstranten würden gegen die Schwachen protestieren, aber "an die Mächtigen traut ihr euch nicht heran". Weiter heißt es: "In Sachsen sind Muslime nur mit der Lupe zu finden Aber ihr bekämpft die Islamisierung des Abendlands Euer Abendland heißt Dunkeldeutschland."
    Zu den Unterzeichnern gehören Mitbegründer verschiedener Organisationen der Bürgerbewegung wie Reinhard Schult (Neues Forum), Hans-Jürgen Fischbeck (Demokratie Jetzt) und Thomas Klein (Vereinigte Linke). Auch der Jenaer Pfarrer Lothar König hat die Erklärung unterzeichnet.
    "Politisch Enttäuschte und auch Verblödete"
    Der Theologe Friedrich Schorlemmer, aufgenommen am 19. Oktober in Magdeburg.
    Der DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer sagte im Deutschlandfunk, der Freiheitsruf "Wir sind das Volk" habe sich 1989 gegen die Mächtigen gerichtet und "Dialog mit grundlegender Veränderung eingefordert" und diesen dann auch geführt. "Wenn das jetzt politisch Enttäuschte und auch Verblödete nachbrüllen und wenn sich das jetzt gegen die Schwächsten, die Hilfsbedürftigen (...) gewandt wird, (...) also ich bin ziemlich erregt."
    In jedem Fall dürfe man nicht um einen Dialog mit den Pegida-Anhängern betteln. Sie seien nicht an Dialog interessiert. "Hier sammelt sich der aufgerührte Sud der Gesellschaft, und der muss wieder zum Bodensatz werden. Aufklären lässt sich das kaum."
    Man dürfe jetzt auch nicht alle Ostdeutschen pauschal verurteilen, wie das Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) getan habe. "Eine Grund-Ausländerfeindlichkeit kann ich auch in Ostdeutschland nicht bemerken."
    Journalisten am Pranger
    An der bislang größten Demonstration der Pegida hatten am Montagabend in Dresden laut Schätzungen der Polizei 17.500 Menschen teilgenommen - so viele wie noch nie. Zu einer Gegenkundgebung in der sächsischen Landeshauptstadt kamen 4.000 Menschen. Die Pegida-Demonstranten machten erneut ihrem Ärger gegenüber der Presse Luft. Dabei prangerten sie namentlich Journalisten an, die kritisch über die Bewegung berichtet hatten.
    Der Deutsche Journalisten-Verband reagierte empört auf die Vorfälle. "Der tausendfach skandierte Ruf 'Lügenpresse' ist schon schlimm genug, stellt er doch die Grundwerte des kritischen Journalismus in Frage", sagte DJV-Sprecher Hendrik Zörner. "Wenn jetzt auch noch die Namen von unbequemen Journalisten verlesen werden, stellen die Pegida-Demonstranten damit alle Journalisten an den Pranger, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen."
    Pegida-Demonstranten halten ein Tranparent hoch, auf dem "Wir sind das Volk" steht.
    Anhänger der Pegida-Bewegung demonstrieren in Dresden gegen eine angebliche Überfremdung Deutschlands durch Flüchtlinge. (picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld)
    "Tatbestand der Volksverhetzung"
    Auch die Aussagen werden schärfer. Insbesondere eine Rede habe in Dresden an mehreren Stellen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt der Deutschen Presse-Agentur. Bei der Kundgebung hatten Redner unter großem Beifall auch Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel und Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich attackiert. Dabei "merkt man wirklich, wie gigantisch die Kluft zwischen vielen auf der Straße und unserem politischen System ist", sagte Patzelt.
    Unionsfraktionschef Volker Kauder begrüßte, dass bei der Demonstration Weihnachtslieder gesungen wurden. "Wer Weihnachtslieder singt, wird etwa daran erinnert, dass Jesus Christus im Stall geboren wurde, weil er keine Herberge gefunden hat", sagte der CDU-Politiker dem Onlineportal der "Welt". "Ich hoffe, dass sie beim Singen der Weihnachtslieder gespürt haben, was der richtige Weg ist."
    Widerstand formiert sich
    Bundesweit formiert sich der Widerstand gegen die Pegida-Bewegung. In mehreren deutschen Städten gingen am Montagabend Zehntausende auf die Straße, um ein Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit zu setzen. Allein in München versammelten sich nach Schätzungen der Polizei mindestens 12.000 Menschen, die Veranstalter sprachen von 25.000.
    Eindrucksvolles Zeichen gegen die antiislamische "Pegida": Auf dem Münchner Opernplatz versammelten sich am Montagabend (22.12.2014) bis zu 25.000 Menschen.
    Auf dem Münchner Opernplatz versammelten sich am Montagabend bis zu 25.000 Menschen. (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    Auch international wächst die Sorge vor dem weiteren Zulauf für Pegida, zeigt ein Blick in unsere Presseschau. Die türkische Zeitung "Evrensel" schreibt: "Dass die Pegida-Sympathisanten in einer Reihe mit Neonazis laufen und 'Wir sind das Volk' rufen, lässt aufhorchen. Dabei klingt es wie Ironie, dass mit Lutz Bachmann ausgerechnet ein Vorbestrafter Pegida anführt. Auf politischer Ebene bemühen sich die Christdemokraten, die Forderungen der Rechtspopulisten aufzugreifen."
    (sdö/ach)