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DDR-Doping
Umstrittene Auszeichnung für Drechsler

Der Leichtathletik-Weltverband hat die früheren Top-Athletinnen Heike Drechsler und Marita Koch in die "Hall of Fame aufgenommen". Der Verein "Doping-Opfer-Hilfe" und der Deutsche Leichtathletik-Verband kritisierten die Entscheidung wegen des Umgangs der Sportlerinnen mit dem DDR-Doping. Jetzt hat Heike Drechsler reagiert.

Von Heike Otto | 14.12.2014
    Nicht zum ersten Mal diskutieren wir über das Thema Doping. Heike Drechsler sitzt in ihrem Haus in Karlsruhe und schüttelt den Kopf.
    "Mit der Geschichte muss ich halt immer leben"
    ...meint die ehemalige Weitspringerin aus Thüringerin und denkt dann lange nach. "Natürlich war ich damals naiv", erzählt sie, "aber ich bin dort aufgewachsen und ich dachte, alle wollen nur das Beste für mich. "Wie ich erzogen worden bin, da wurde alles abgenommen, da wurde das Denken abgenommen. Und dann läuft man so in der Masse mit. Klar ich war erfolgreich, ich hab mich auch wohl gefühlt. Natürlich war ich auch privilegiert. Und wenn man es rückgängig machen würde, dann würde ich nie wieder so ein Vertrauen haben zum Arzt. Und man kann nur hoffen, dass jeder in der heutigen Zeit immer hinterfragt."
    Immer wieder hat sie beteuert, nie wissentlich oder willentlich gedopt zu haben. Arzt-Dokumente aber beweisen, dass in der DDR flächendeckend gedopt wurde.
    Saftkübel mit Dopingsubstanzen?
    "Ich weiß, auch bei uns in der Laufhalle, da stand halt immer so ein Kübel mit so Saft da. Das hat wie nach Vitamin B geschmeckt. Das war normal, und jeder hat sich da genommen. Aber was da nun jetzt konkret drin ist, da hast du doch überhaupt nicht drüber nachgedacht. Die haben geforscht an uns, und da kommst du dir dann vor irgendwie wie ein Versuchskaninchen. Und das ist dann das Schlimme, dass natürlich auch, wenn man nicht aufpasst, Leute dich auch missbrauchen können. Aber soll man den Arzt jetzt verklagen? Wem nützt das?"
    "Die juristische Aufarbeitung des DDR-Sports ist längst vorbei", meint Ines Geipel, früher selbst Spitzen-Leichtathletin in Jena, heute Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins.
    "Das ist eben mit dem Jahr 2000 gelaufen, und theoretisch hätte Heike Drechsler ja Nebenklägerin des Berliner Dopingprozesses sein können. Weil sie als Minderjährige gedopt worden ist. Es geht im Grunde ja immer auch ein bisschen in diesem Sport-Karussell und dem Celebrity-Karussell drin zu bleiben. Und es geht weniger um die Frage, beanspruche ich als autonome Athletin, ehemalige Athletin ein paar klare Sätze im Hinblick auf die eigene Geschichte."
    Auszeichnung "Schlag ins Gesicht der Opfer"
    "Zwei Leugnerinnen des eigenen Dopings" war in der Presse zu lesen, als der internationale Leichtathletik-Verband Heike Drechsler und die ehemalige Sprinterin Marita Koch im November als erste Deutsche in die "Hall of Fame" aufnahm. "Die Ehrung, so wurde Ines Geipel zitiert, "sei wie ein Schlag ins Gesicht."
    Geipel: "Zum einen hatte ich das Gefühl, die IAAF hat die Aufarbeitung, die die Kritiker des deutschen Sport geleistet haben über 20 Jahre, überhaupt nicht in Blick genommen. Mein Blick ging natürlich auch in Richtung des DLV mit der Frage: ‚Wie wird er darauf reagieren?' Und mein Blick ging auch in Richtung der beiden ehemaligen Athletinnen mit dem Gedanken und der Frage: ‚Werden sie das annehmen oder nicht?'"
    Für Heike Drechsler war das gar keine Frage: "Ich war ein Talent", sagt sie, und "ich habe für alles hart gearbeitet."
    "Ich weiß, dass ich zehn Jahre nach der Wende noch erfolgreicher war als in der DDR. Und ich glaube, ich habe viel dazu gelernt. Aber ich habe absolut etwas dagegen, wenn man pauschal verurteilt. Und bin ich auch keine Leugnerin, dass es das nicht gegeben hätte bei uns. Und deswegen verstehe ich nicht, dass man da immer noch angegriffen wird."
    Verletzt von DLV-Kritik
    Noch mehr aber hat die zweifache Weitsprung-Olympiasiegerin die Kritik des DLV-Präsidenten Clemens Prokop getroffen.
    "Ich habe nach der Wende wirklich gekämpft, damit ich wieder an die Leistung kam, die ich zuvor hatte. Und da stellen sie sich dann gern in die Sonne mit uns. Und wenn er dann meint, ich wäre kein Vorbild für die Jugend, ist das schon ein bisschen eine Anmaßung. Und da bin im Moment ein bisschen verletzt auch."
    Prokop: "Ich glaube, da liegt bei der Heike ein Missverständnis vor. Ich habe lediglich das Verfahren bei der Entscheidung kritisiert, nämlich die fehlende Einbindung des nationalen Verbandes. Und habe dann Wünsche formuliert, grundsätzlich für die Vergabe dieses Titels ‚Aufnahme in die Hall of Fame'. Ich kann nur sagen, Heike Drechsler ist eine Ausnahmeathletin, die auch in Deutschland große Vorbildfunktion hat."
    Ines Geipel reicht das freilich nicht. Sie ist selbst eine von rund 200 staatlich anerkannten Dopingopfern.
    Mehr Interesse der Sportler gewünscht
    "Alle gemeinsam haben wir diese Hypothek anzunehmen, diesen sehr belasteten DDR-Sport. Es würde doch schon reichen, wenn Kristin Otto, Heike Drechsler, Marita Koch, Marlis Göhr - das einer dieser sehr erfolgreichen Athleten mal kommt und sagt: ‚Ich will mir das eigentlich mal angucken. Wie funktioniert denn diese Beratungsstelle. Und was sind denn das konkret für Geschichten, die die Opfer haben."
    In der kommenden Woche wird Heike Drechsler 50. Zumindest mit Clemens Prokop, dem Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, dürfte es dann wohl ein klärendes Gespräch geben.
    "Es bietet sich ja nächste Woche ein Anlass an. Und ich glaube, wir werden auch wieder ins Gespräch kommen."