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Vor 40 Jahren
DDR-Politiker verunglückte bei Hubschrauber-Absturz

In der verknöcherten DDR-Nomenklatura galt er lange als Hoffnungsträger: Werner Lamberz wirkte jung, offen und aufgeschlossen. Manche handelten ihn sogar als Kronprinzen Erich Honeckers – doch am 6. März 1978 verunglückte Lamberz tödlich in Libyen.

Von Andreas Baum | 06.03.2018
    Staatratsvorsitzender Erich Honecker (links) und Werner Lamberz (Mitte) anlässlich einer Volkskammertagung in Berlin
    Hätte er Erich Honecker (l.) beerbt? Der DDR-Politiker Werner Lamberz (r.) starb 1978 bei einem Helikopter-Absturz in Libyen. (imago stock&people)
    Fast die gesamte Staatsführung der DDR hatte sich versammelt. Am 9. März 1978 wurden die Urnen der vier Toten mit einem Staatstrauerakt in Ostberlin beigesetzt. Die Trauerrede hielt Kurt Hager, Mitglied im Politbüro:
    "Tief erschüttert müssen wir heute Abschied nehmen von unseren Genossen Werner Lamberz, Paul Markowski, Dr. Armin Ernst und Hans-Joachim Spremberg."
    Der Schock saß tief: Mit Werner Lamberz hatte die DDR einen ihrer begabtesten Politiker verloren. Am 6. März 1978 war er mit drei Begleitern in einem Hubschrauber in der libyschen Wüste abgestürzt und ums Leben gekommen.
    Glaubwürdig, kreativ und klug
    Lamberz galt als Ausnahme unter den Funktionären der SED. Er wirkte zugänglich und kreativ - und war ein Freund der Künstler in der DDR, der auch nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann den Gesprächsfaden zu den Intellektuellen nicht abreißen ließ.
    Manche Beobachter, insbesondere in der Bundesrepublik, sahen in Lamberz den Kronprinzen Honeckers. Lamberz war aufgeschlossen neuen Ideen gegenüber und interessierte sich für die wahren Zustände im Land. So soll er sich bei einem Besuch im Stahlwerk von Hennigsdorf gezielt nach dem dreckigsten und heißesten Arbeitsplatz erkundigt haben. Vor allem aber konnte er frei reden. Werner Lamberz:
    "Gewiss ist, dass dieses unser Jahrhundert fortleben wird bis in fernste Fernen als die Zeit des großen Aufbruchs, als die Erneuerung, als die eigentliche Schöpfung der menschlichen Welt. Als die Menschenwelt."
    Seine Referate waren fantasievoller, sie klangen klug - und glaubwürdig. Kein Wunder, dass er im Westen Hoffnungen auf eine Öffnung der DDR schürte. Werner Lamberz:
    "Es ist der erklärte Wille der Deutschen Demokratischen Republik, die Politik der Entspannung und der Normalisierung der Beziehungen zu allen kapitalistischen Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, mit aller Kraft fortzusetzen."
    Sicher auf internationalem Parkett
    Der 1929 geborene Werner Lamberz war in einer kommunistischen Familie in Mayen in der Eifel aufgewachsen. Sein Vater desertierte 1943 aus der Wehrmacht und floh nach Moskau. Nach dem Krieg und dem Tod der Mutter folgte er dem Vater in die Sowjetische Besatzungszone und machte schnell Karriere, zunächst in der FDJ, dann in der SED. Zwar bestand seine formale Ausbildung nur aus anderthalb Jahren Partei- und Komsomol-Hochschule in Moskau. Trotzdem soll er zwölf Sprachen beherrscht haben, und er bewegte sich sicher auf internationalem Parkett.
    Vor seinem Tod war er im Politbüro verantwortlich für Agitation und Propaganda. Werner Lamberz:
    "Dieses Jahrhundert, das mit so großem imperialen Gepränge aufkam und dem Kapitalismus herrliche Zeiten verhieß, endet mit absoluter Sicherheit als das Jahrhundert des Sozialismus."
    Unfall oder gezielter Anschlag?
    Dieses Ende allerdings erlebte Lamberz nicht. Bald nach dem Unfall kursierten in westlichen Medien Gerüchte, Lamberz könnte gezielt ermordet worden sein. Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi hatte ihn in seinem Lager in der Wüste empfangen, 120 Kilometer südlich von Tripolis, und drei Stunden lang mit ihm über Militärhilfen für Libyen und einen Devisenkredit für die DDR verhandelt. Aus nie ganz geklärten Gründen geriet der Helikopter kurz nach dem Start in eine Schräglage und stürzte zu Boden, in unmittelbarerer Nähe zum Zelt des Revolutionsführers. Die Insassen verbrannten bis zur Unkenntlichkeit.
    Zur Legendenbildung trug die Geheimniskrämerei der Libyer beträchtlich bei: Die Unglücksstelle wurde im Radius von zehn Kilometern abgesperrt, Ausländer erhielten keinen Zutritt. Im offiziellen Untersuchungsbericht waren die Verantwortlichen schnell identifiziert:
    "Der erste und der zweite Pilot werden beschuldigt, die geltenden militärischen Instruktionen sowie Regeln der Luftfahrt verletzt zu haben, da sie nachts geflogen sind, obwohl der Flug am Tage durchzuführen war."
    Aber Lamberz war in Eile, am Tag darauf wollte er nach Addis Abeba reisen, um im äthiopischen Bürgerkrieg zu vermitteln. Er bestand darauf, noch in der Nacht zu fliegen. In der DDR war Werner Lamberz' Tod schon bald kein Thema mehr. Im Politbüro übernahm der Hardliner Joachim Herrmann sein Ressort. Als Gaddafi drei Monate später das Land besuchte, wurde das Unglück öffentlich nicht mehr erwähnt. Krude Theorien von einem Anschlag wahlweise der Stasi oder libyscher Rebellen wurden laut.
    Bis heute allerdings gibt es dafür keinen Beweis.