Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

DDR
Studieren in einer Diktatur

Die Hochschulen der DDR waren nicht nur Institutionen von Wissenschaft und Lehre. Noch mehr waren sie Orte, an denen stromlinienförmige Sozialisten ausgebildet wurden. Schon die Zulassung zu einem Studium war ein Mittel, um junge Leute zu disziplinieren. Nachzulesen ist das im Sammelband "Zwischen Humor und Repression".

Von Henry Bernhard | 16.10.2017
    Das Rechenzentrum der Universität Jena am 29.03.1972. ( Mängel in der Bildqualität vorlagebedingt). Foto:
    An der Universität Jena in den 70er Jahren. (picture alliance / dpa / FSU-Fotozentrum)
    Die Studienzeit eignet sich hervorragend zur nachträglichen Verklärung. Die lustigen Abende, die Partys, die gemeinsamen Fahrten. All das kommt auch vor in dem umfangreichen Band "Zwischen Humor und Repression – Studieren in der DDR". Aber dem Leser vergeht das Lachen nur allzu schnell.
    Studieren in der DDR war ein Privileg, das die Machthaber der SED von Anfang an gezielt vergaben: Soziale Herkunft, gesellschaftliches Engagement, Religionszugehörigkeit, Bekenntnis zum Sozialismus waren oft wichtiger als die intellektuelle Eignung zum Studium. Mit der Auswahl der Studenten wollte die SED einerseits jeden "bürgerlichen" Einfluss ausschalten und ihre eigene akademische Elite schaffen. Andererseits war die Zulassung zum Studium ein wirkmächtiges Mittel, um ganze Generationen von Abiturienten zu disziplinieren.
    Ideologische Indoktrination
    Das vorliegende Buch zeigt dies äußerst facettenreich anhand von 80 Zeitzeugenberichten. Ehemalige Studenten hauptsächlich der heutigen Technischen Universität Dresden, aber auch einiger anderer mitteldeutscher Hochschulen, berichten von ihren Erfahrungen – beginnend mit dem Studienjahrgang 1951 bis hin zum Studium am Ende der DDR. Dabei wird deutlich, dass die ideologische Indoktrination schon zu Beginn der DDR wesentlicher Bestandteil des Studiums war, wie zum Beispiel Günter Hermann berichtet. Er war ab 1951 Chemiestudent an der TH Dresden:
    "Die ersten vier Semester erlebte ich als belastend durch die Vorlesungen und Seminare in Marxismus-Leninismus mit dem wöchentlich vorgeschriebenen Riesenpensum an Pflichtliteratur. Die Prüfungen glichen eher einem Verhör und der Erforschung des "Bewusstseins". Der Zwang zur Pflichtliteratur hatte natürlich Methode: Das Bewusstsein wurde damit angefüllt, quasi hypnotisch überfüllt; bei der geschickten Vernetzung von Propaganda mit wissenschaftlichen Quellen musste sich mancher Zweifler fragen, ob der dialektische Materialismus nicht vielleicht doch in richtiger Weise die Welt und ihre Gesetze widerspiegelt?"
    Politischer Druck auf Studenten
    Jeglicher Widerspruch in ideologischen Fragen konnte zur Exmatrikulation führen, ebenso die Weigerung der Männer, den anfangs noch freiwilligen Wehrdienst zu leisten oder später, sich als Reserveoffizier zu verpflichten. Michael Proksch, ab 1979 Student der Gerätetechnik in Karl-Marx-Stadt, erinnert sich:
    "Bei der Einweisung in das Studentenwohnheim sagte mir die nette Leiterin, dass es gut wäre, wenn wir pro Zimmer die "Junge Welt" und das "Neue Deutschland" abonnierten, um dann hinter vorgehaltener Hand zu ergänzen: Sie müsse eine Liste mit diesen Angaben weiterreichen."
    Der politische Druck und die Schamlosigkeit, mit der die SED ihn ausübte, nahm nach dem Mauerbau noch einmal erheblich zu. Der Physikstudent Roland Mey erlebte 1961 an der Universität Jena, wie ein beliebter Mathematik-Professor als "NATO-Professor" diffamiert und ihm der Lehrauftrag entzogen wurde:
    "Wir hatten damals noch nicht vollständig begriffen, wie schnell und umfassend sich die 'harte Zugriffsmöglichkeit' auf uns nach dem Bau der Berliner Mauer änderte. Als ich 2010 zum 45-jährigen Diplomjubiläum in Jena in geselliger Runde an unsere gemeinsame Studentenzeit erinnern wollte, interessierte sich keiner in der Gesprächsrunde für diese Fakten. Der Grund dafür: Mehrheitlich wurden meine Kommilitonen die Nachfolger ihrer damaligen akademischen 'Gefängniswärter'. Ohne den Bau der Mauer hätten viele von uns nach dem Studium die DDR verlassen; hinter der Mauer wurden sie in großer Mehrheit SED-Mitglieder mit universitären Doktoren- und Professorenkarrieren und wollen heute nicht mehr an die eigene politische Vergangenheit erinnert werden."
    Dieses Beispiel illustriert, dass es der SED gelungen war, eine neue akademische Elite heranzuziehen, die zum Ende der DDR hin immer unkritischer wurde und den Bezug zum freien universitären Denken endgültig verloren hatte.
    Friedliche Revolution ohne Studenten
    So zieht denn auch Matthias Rößler, der 1975 das Studium der Energieumwandlung an der TU Dresden begonnen hatte, ein bitteres Fazit.
    "Bei einer dieser damaligen großen Demonstrationen in Dresden von manchmal 100.000 Menschen zogen wir auch einmal auf mein Drängen an den Studentenheimen der TU Dresden vorbei. Jedenfalls skandierten die Demonstranten immer wieder: "Kommt heraus und schließt euch an, wir brauchen jeden Mann!" Die Studenten glotzten [...] aus den hell erleuchteten Zimmern des Wohnheims, angeschlossen hat sich keiner. Es war ein Phänomen der friedlichen Revolution in der DDR und wohl einmalig in der europäischen Geschichte, dass die Studentenschaft nicht zu den Triebkräften einer revolutionären Bewegung gehörte."
    Einig sind sich zumindest alle im Sammelband vertretenen ehemaligen Studenten der Ingenieurwissenschaften, dass die fachliche Qualität der Ausbildung sehr hoch war. Wenn auch Roland Mey einwirft:
    "Hinter vorgehaltener Hand hieß es unter den Lehrern der naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, dass wir auf dem Weg seien, anstelle von bautechnisch gebildeten Ingenieuren 'Bauphilosophen mit militärischer Kampfbahnerfahrung' auszubilden."
    Bei den geisteswissenschaftlichen Studienrichtungen, die nur am Rande vorkommen, sah es anders aus. Der Band zeigt neben der Hochschulpolitik der SED ein Füllhorn menschlichen Verhaltens, von moralischer Aufrichtigkeit über bedenkenlosen Opportunismus bis hin zu selbstbeschämenden Kniefällen und widerlicher Rücksichtslosigkeit um des eigenen Vorteils willen. Die Zeitzeugen schildern, dass die Hochschulen der DDR sich fast widerstandslos in das Machtgefüge der SED einfügten und bereit waren, jeden ideologischen Winkelzug mitzugehen.
    Machtgefüge der DDR
    Gerade an einem besonders brisanten Beispiel an der Pädagogischen Hochschule Erfurt zeigt der Band wohldokumentiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet die Exmatrikulation mehrerer politisch kritischer Studenten unter Einbeziehung von Hochschule, SED, Staatssicherheit, FDJ und auch der Kommilitonen.
    In den knappen biographischen Skizzen der Autoren wird außerdem deutlich, dass fast nur parteitreue Akademiker aufsteigen konnten, während oftmals fähigere, aber politisch weniger Zuverlässige im Mittelbau der Hochschulen blieben. Nach 1989 konnten noch einige von ihnen im fortgeschrittenen Alter promovieren, sich habilitieren und mitunter auch zu Professorenwürden gelangen.
    Die einzelnen Beiträge sind von durchaus unterschiedlicher stilistischer und inhaltlicher Qualität. Der nüchterne, sachliche Stil der ehemaligen Studenten meist technischer Fächer ist wohltuend, manchmal auch etwas sperrig, dann aber wieder humorvoll. Etwas mehr Lektorat, ein paar beherzte Streichungen und ein strenger Blick auf Redundanzen hätten dem Band gutgetan. Diese Mängel jedoch schmälern dessen Gesamtqualität nicht. Wer wissen will, wie es war, in der DDR zu studieren, ist mit diesem Buch gut beraten.
    Rainer Jork und Günter Knoblauch (Hg.): "Zwischen Humor und Repression – Studieren in der DDR. Zeitzeugen erzählen"
    Mitteldeutscher Verlag, 552 Seiten, 19,95 Euro.