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DDR und "Westmedien"
Medien kennen keine Mauer

Wer "Westmedien" konsumierte, konnte in der DDR dafür ins Gefängnis kommen. Trotzdem ließen sich die meisten Ostdeutschen davon nicht abhalten. Das Schauen und Hören von RIAS, ARD und Co. hatte emanzipatorische Wirkung - und führte, so lautet eine These, mit zum Mauerfall.

Von Christoph Richter | 04.04.2018
    Auf dem Dach des Rundfunkhauses in Berlin-Schöneberg ist das Logo des Senders "RIAS" (Rundfunk im amerikanischen Sektor) angebracht. Der Sender ist inzwischen im "Deutschlandfunk Kultur" aufgegangen.
    RIAS Berlin - eines der Westmedien, die in der DDR trotz Verbot empfangen wurden (dpa)
    Die Medien aus der alten Bundesrepublik - also der RIAS, die ARD und ZDF, auch der Deutschlandfunk - waren in der DDR allgegenwärtig. In den etwas ab gelegeneren Regionen rückten die Menschen gar nah an das Radio, um auch per Mittel- oder Kurzwelle verrauschte Programme zu hören, um beispielsweise von Recherchen über die Umweltverbrechen im Chemiedreieck der DDR oder von globalen Ereignissen, wie dem Reaktorunfall in Tschernobyl, ungefiltert zu erfahren.
    "Über die Westmedien haben sich die Bürger informiert. Nur über die Westmedien konnten sie erfahren über die Missstände", so der aus Jena stammende Bürgerrechtler, Journalist und Chef der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn.
    "Man kann es auch als Emanzipationsgeschichte lesen"
    Selbst die SED-Genossen schauten Westfernsehen, auch wenn es immer wieder zu Schikanen kam, indem man Schulkinder fragte, wie die Fernseh-Uhr denn nun aussah, um so zu erfahren, ob man zuhause Westfernsehen guckte. Denn die Tagesschau-Uhr hatte Striche, die der Aktuellen Kamera des DDR-Fernsehens Punkte.
    Die 37jährige Potsdamer Historikerin Franziska Kuschel, hat sich seit ihrem Studium intensiv mit der Medienpolitik des ostdeutschen Staates beschäftigt und hat eine Doktorarbeit zur DDR und den Westmedien vorgelegt. Die vielleicht erstaunlichste Erkenntnis: Der Gebrauch der Westmedien hatte eine emanzipatorische Wirkung. Es gab bei DDR-Bürgern einen tief verwurzelten Wunsch nach freier Information.
    "Ja, so kann man es sagen, es gab diesen tiefen Wunsch nach Pluralismus. Man kann es auch als Emanzipationsgeschichte lesen. Obwohl der Staat mit vielen Mitteln die Mediennutzung zu verbieten, einzuschränken, zumindest zu kontrollieren, suchten Radiohörer, Fernsehzuschauer und heimliche Leser Wege, trotz dieser Einschränkungen, ihren Wunsch nach Vielfalt durchzusetzen."
    Radio Glasnost aus West-Berlin ließ sich nicht blockieren
    Die DDR - sie wollte via Medien die Bürger politisch erziehen, doch das klappte nicht, denn die Radio- und Fernsehwellen ließen sich nicht an der Grenze aufhalten. Selbst das Verkaufsverbot dafür geeigneter Antennen, Störsender, SED-Propaganda-Aktionen änderten nichts daran.
    Noch kurz vor dem Mauerfall glaubte die DDR Radio Glasnost blockieren zu können. Eine Sendung des links-alternativen Westberliner Radio-Senders 100, die sich direkt an Ostdeutsche richtete. Zu hören waren Beiträge, die über die Grenze in den Westen geschmuggelt worden waren und den Alltag der DDR authentisch abbildeten.
    "Radio Glasnost ist als ein unbekanntes Flugobjekt konzipiert, das von den verschiedenen Gruppen und Initiativen in Ostberlin gechartert werden kann. Wir hoffen eine kontinuierliche Berichterstattung über die DDR herzustellen", so Moderatorin Ilona Marenbach in der ersten Sendung im September 1987.
    Der Kampf um Antennen für freie Information
    Die DDR versuchte mit dem Radio "Kolibri" vom VEB Stern-Radio Berlin nach dem Vorbild von Goebbels ihren Bürgern eine Art Volks-Empfänger schmackhaft zu machen. Hier konnte man mit einem Schieber nur zwischen den Programmen von DDR 1 und DDR 2 wählen. Kein Verkaufsknüller - weshalb man die Produktion schnell wieder einstellte.
    Höhepunkt im Kampf gegen Westmedien war die Aktion "Ochsenkopf", benannt nach einer grenznahen fränkischen Sendestation, als FDJler kurz nach dem Mauerbau 1961 völlig entfesselt auf ostdeutsche Dächer kraxelten, um Antennen, die Richtung Westen gerichtet waren, zu zerstören. Einschüchterungsversuche, die die SED-Herrschaft sichern sollten, aber nichts gebracht haben, höchstens das Misstrauen der eigenen Bürger gemehrt hat.
    "Letztlich ist es eine Geschichte, die deutlich macht, mit wie viel Engagement, teilweise mit wie viel Arbeitseinsatz, auch mit wie vielen finanziellen Mitteln Menschen im Alltag versucht haben, sich ihre Antennen zu basteln, technische Baugeräte wie Konverter und Decoder zu besorgen, um ihren Wunsch nach freier Information umzusetzen."
    Mehr noch - 1984 hatten DDR-Bürger in Dresden gar gedroht, öffentliche Gebäude wie den Fernsehturm oder das Lenindenkmal in die Luft zu sprengen, wenn der Empfang der Westprogramme nicht endlich ermöglicht werde.
    Die DDR-Medienpolitik hat nur reagiert
    Die Historikerin Franziska Kuschel hat in ihrer Dissertation deutlich gemacht, wie SED-Genossen ihre eigenen Landsleuten kriminalisierten, selbst wenn die nur Unterhaltungssendungen, wie "Wetten, dass…" oder das "Wort zum Sonntag" sahen.
    "Ich würde die Geschichte der DDR-Medienpolitik nicht als eine aktive, selbstbewusste Politik beschreiben, sondern als eine reagierende. Das hatte nicht zuletzt mit dem Spezifikum der audiovisuellen Medien zu tun, gegen die man einfach keine Mauer bauen konnte."
    Franziska Kuschels Fazit: Die restriktive Medienpolitik des SED-Regimes hatte maßgeblichen Anteil am Untergang der DDR, auch weil sie der freien Information, dem demokratische Potential der Massenmedien, schlicht nichts entgegensetzen konnte.