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De Bruyns neues Buch
Außenseitertum als prägendes Thema

Günter de Bruyn schreibt immer häufiger über die preußische Geschichte. In seiner jüngsten Veröffentlichung geht es um "Das ungewöhnliche Leben des Dichters Zacharias Werner". Dieser Zeitgenosse Goethes, der nach Erfolgen mit religiös-pathetischen Theaterstücken zum Katholizismus konvertierte, ist einer dieser typischen, vergessenen Randgestalten ganz nach De Bruyns Geschmack.

Von Ralph Gerstenberg | 31.10.2016
    Günter de Bruyn
    Der Schriftsteller Günter de Bruyn. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Er hat sie alle bekommen, die Literaturpreise, die nach denen benannt sind, die er liebt und schätzt, in deren Tradition er sich sieht: Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann, Jean Paul, Heinrich Böll und natürlich Theodor Fontane. Sein Selbstbild stimmt offenbar mit dem überein, wie er in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Günter de Bruyn ist ein bürgerlicher Autor, dessen Bücher schon lange vor dem Mauerfall in ganz Deutschland erschienen sind. In einem Interview, das er vor 20 Jahren gegeben hat, äußerte er sich rückblickend zu seiner durchaus exotischen Position als Schriftsteller im Arbeiter-und-Bauernstaat:
    "Ich habe mich immer so in deutscher Tradition stehend als Autor empfunden und habe auch zu DDR-Zeiten bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt: Ich bin ein deutscher, in der DDR lebender Autor. Dass mein Leben für DDR-Verhältnisse repräsentativ ist, glaube ich nicht. Ich weiß andererseits aus meiner schriftstellerischen Erfahrung, dass Probleme, die ich in meinen Büchern behandelt habe, die kamen mir immer sehr spezifisch vor. Ich hatte immer ein bisschen Angst, dass das nur wenige Leute betreffen würde. Und habe die sehr schöne Erfahrung gemacht, dass das doch nicht so war, dass auch mein relatives Außenseitertum doch irgendwas bringen konnte, was man übersetzen konnte in andere Leben und andere Verhältnisse."
    Die Außenseiter haben Günter de Bruyn immer angezogen. Keine Goethe-Biografie legte er vor, sondern ein viel beachtetes Buch über "Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter". In der Historie Preußens, in der er sich auskennt wie kaum ein zweiter, entdeckte er immer wieder vergessene Lebensgeschichten wie die der emanzipierten Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die mit dem preußischen Generalmajor von Lützow verheiratet war, zeitgleich eine Liebesbeziehung mit dem Schriftsteller Karl Immermann pflegte und in Berlin einen Salon betrieb.
    In seinem jüngsten Buch widmet sich de Bruyn einem weiteren Außenseiter der Literaturgeschichte, dem Dichter Zacharias Werner. Werner, 1768 in Königsberg geboren, war einer der meistgespielten und umstrittensten Bühnenautoren seiner Zeit. Von Iffland gefördert, selbst von Goethe anfangs geschätzt, verstrickte er sich jedoch in einen religiösen Mystizismus, mit dem er seine Sünden zu läutern suchte. Zacharias Werner war nämlich, wie Günter de Bruyn anhand von Tagebuchaufzeichnungen und Briefen sehr schön herausarbeitet, ein sexuell Getriebener, einer, der als junger Mann mit einer Prostituierten verheiratet war und in jedem Gasthof auf seinen ausgedehnten Reisen durch Europa dem weiblichen Personal nachstellte.
    "Die innere Unruhe, die er in Versen "Die wilde Gier, mich pilgernd zu betäuben" nannte, trieb ihn wie einen Flüchtenden weiter, sich selbst aber und seinen Begierden konnte er nicht entgehen. Der Kampf, der ständig in ihm tobte und die dichterischen Fantasien von Unschuld und Enthaltsamkeit erzeugte, hinterließ auch Spuren in Vers und Tagebuch. "Gehetzt, der alten Sünden treu, von Reu' zur Gier, von Gier zur Reu'", heißt es in den Gedichten. Und auch im Tagebuch wird seine Triebhaftigkeit nicht versteckt. Fast auf jeder Seite wird an "hübsche Töchter", "coquette Bauernmädchen", "hübsche Dienstmädchen", "dicke Wirtstöchter" erinnert."
    Zacharias als "Sünder und Heiliger"
    Als "Sünder und Heiliger" beschreibt de Bruyn den ruhelosen Romantiker, der mit Dramen über den Hunnenkönig Attila und Martin Luther von sich Reden machte. Und zeichnet das Bild eines Zerrissenen, der schließlich das Schreibpult gegen die Kanzel tauscht. Als geweihter Priester hielt Zacharias Werner in Wien von 1814 bis zu seinem Tod im Januar 1823 Predigten, die zum Gesprächsstoff in der ganzen Stadt wurden. Günter de Bruyn zitiert den Chronisten Karl August Varnhagen, der bei einem Wienbesuch eine Predigt Werners besuchte.
    "Einmal, so kann man in Varnhagens 'Denkwürdigkeiten' lesen, redete Werner vom 'allersündigsten und ärgerlichsten Teile des menschlichen Körpers', erörterte dessen Eigenheiten und Unarten, um dann 'in unerhörter Dreistigkeit' zu fragen, 'ob er ihn nennen oder gar zeigen' solle – wobei unter den Zuhörern eine Mutter ihren beiden Töchtern angstvoll zuflüsterte: 'Seht nicht hin! Seht nicht hin!' Er aber rief aus: 'Die Zunge ist es!'"
    Am Beispiel Zacharias Werners zeigt Günter de Bruyn, wie ein Dichter Halt und Trost in einer Heilslehre findet und dabei seine künstlerische Begabung verspielt. Mit Ideologien kennt de Bruyn sich aus. In der Weimarer Republik geboren, in der Nazidiktatur erwachsen geworden, prägte ihn zunächst als Bibliothekar, später als Schriftsteller die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Experiment in der DDR.
    Als Katholik und Nichtparteimitglied galt er von vornherein als unsicherer Kandidat, auf den man ein Auge haben musste. In Romanen wie "Buridans Esel", "Preisverleihung" und "Neue Herrlichkeit" thematisierte er Konflikte, die Menschen im realsozialistischen Alltag auszutragen hatten, in dem das Ideologische und das Private kaum voneinander zu trennen waren.
    Mit kritischer Stimme, unaufgeregt und integer
    Damals galt er als kritische Stimme, unaufgeregt, integer, jemand, der sich vor keinen Karren spannen ließ, aber auch keine Karriere als professioneller Regimekritiker anstrebte. In seiner 1996 erschienenen Autobiografie "Vierzig Jahre" gab er dann zu, wie Christa Wolf und andere der Staatssicherheit als Informant gedient zu haben. Eine Einsicht, die ihm offenbar erst beim Lesen seiner Stasiakte gekommen ist
    "Auch bei wiederholter Lektüre kommen Angst und Scham wieder, und es quält mich das Misstrauen in mein Erinnerungsvermögen, das offensichtlich in den inzwischen vergangenen Jahren schönfärbend und entlastend tätig gewesen war. Ohne Kenntnis der Akten hätte ich diese Episode anders berichtet. Ich wäre guten Gewissens schonender mit mir umgegangen, weil einiges, was mich belastet, verdrängt oder vergessen war. In meiner Erinnerung hatte ich mich standhafter verhalten, und das endgültige Nein hatte ich früher gesagt."
    de Bruyn: "Ich hab die Zusammenarbeit mit denen ja abgelehnt. Und ich habe das immer für mich als stillen Widerstandsakt empfunden. Und habe nachher erst in den Akten gemerkt, dass meine Erinnerung da ganz falsch war, dass die nämlich doch von mir was erfahren haben. Die zwar sehr böse waren, als ich das abgelehnt habe, als ich das durchschaut habe, aber ich habe einfach aus Angst tatsächlich mit denen geredet. Das ist eine Sache, die ich mir schon sehr übel nehme."
    Der glaubwürdige Umgang mit der eigenen Person und die Resistenz gegen Indoktrination und Vereinnahmung haben Günter de Bruyn zu einem Schriftsteller werden lassen, der bis zum heutigen Tag sein Publikum findet. Das Predigen und Missionieren sind seine Sache nicht, waren es nie gewesen. Sehr sachlich, fast ohne Kommentar beschreibt er nun in seinem Buch über Zacharias Werner eine höchst widersprüchliche Figur, die aus einem moralischen Dilemma heraus zu einem religiösen Eiferer wurde. Eine Figur, die gut in de Bruyns Kosmos der bemerkenswerten Randgestalten und Außenseiter der preußischen Kulturgeschichte passt. Die alleenreiche märkische Heimat, das Brandenburgisch-Preußische, ist für Günter de Bruyn auch im Alter von 90 Jahren noch ein Quell, aus dem er schöpfen kann.
    "Ich habe Brandenburg in der Weimarer Republik und unter der Hitlerzeit erlebt. Die ist vorbeigegangen. Und ich habe es als DDR erlebt. Und die ist auch vorbeigegangen. Und die Alleen stehen glücklicherweise immer noch. Und ich hoffe, die überleben auch noch die moderne Zeit jetzt."
    Günter de Bruyn: "Sünder und Heiliger. Das ungewöhnliche Leben des Zacharias Werner",
    S. Fischer, 224 Seiten, Preis: 22,00 Euro