Donnerstag, 28. März 2024

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"Die Merowinger - oder: Die totale Familie"
Der Zorn des Zeitalters ist tief

Ein Aristokrat kompensiert seinen Kleinwuchs mit exzessiven Wutanfällen und dynastischem Größenwahn: "Die Merowinger" ist ein grotesker Roman, dessen absurde Handlung eigentlich perfekt für eine skurrile Serie wäre. Vorerst ist die Geschichte aber am Wiener Volkstheater zu sehen.

Von Paul Lohberger | 12.09.2019
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Inszenierung von "Die Merowinger" am Wiener Volkstheater (lupispuma.com/ Volkstheater)
Mit Mittelalter oder Fantasy hat weder der Roman noch die aktuelle Inszenierung am Volkstheater zu tun. Die Merowinger mögen ein fränkisches Königsgeschlecht im Frühmittelalter gewesen sein, doch schon der Schriftsteller Doderer verwendete bloß den Namen der Dynastie für eine fiktive adelige Familie, die in der Moderne lebt.
In deren Schlössern aber gibt es viele Verwandte, Lakaien und Zeremoniell, wie verpflichtende Einläufe. Hier herrschen eigene Gesetze. Aus den üppigen Schilderungen Doderers greift die zeitgenössische Inszenierung die plakativsten Motive auf, fokussiert auf zentrale Figuren.
Der Protagonist Childerich von Bartenbruch kontrolliert das Familienvermögen, dazu strebt er nach symbolischer Allmacht. Durch strategische Heiraten will er eine Familie in Personalunion werden: Sein eigener Vater, Großvater und so weiter: "Es geht um Titel, die sie geben kann, dass ich es noch erleben kann, dass ich mein eigener Schwager wird, von ihrem Vater adoptiert."
Die Figur des hässlichen kleinen Childerich, der sich zum Übervater aufschwingt, erscheint im Volkstheater verrückt und schillernd zugleich, eigentlich zu hübsch: Bart und schulterlanges Haar erinnern an einen poppigen Jesus Christ, Krone und Rock machen den Darsteller Peter Fasching zum Glam-Rockstar.
Hilfe vom Wutarzt
Aber wenn Childerich seine Wutanfälle packen, krümmt er sich zusammen und muss vom fetten Professor Horn behandelt werden, dem renommierten Wutarzt.
Behörden treiben dem Professor die Patienten zu. Andererseits produziert eine Geheimorganisation gezielt Ärgernisse, durch Artikel und Inszenierungen. Childerichs Streben nach der totalen Familie treibt die Handlung voran, doch das wahre Thema der Merowinger ist die Aggression.
Anna Badora: "Klaus Nüchtern, der Interpret von Doderer erwähnt das, dass in diesem Roman ein Sezieren der Wiener Seele stattfindet."
Wut, Ärger, Zorn - darin sieht Regisseurin Anna Badora den tieferen Sinn des Stücks.
"Die Firma 'Hulesch & Quenzel', die sich darauf spezialisiert hat, dass konstruktive Fantasie abgeschafft wird, die steht für etwas, das schon in dieser Stadt historisch bedingt sehr bekannt ist: Mangel an konstruktiver Auseinandersetzung, und stattdessen kleine 'Hulesch & Quenzels', die, sagen wir, das Leben schwierig machen."
"Geheimfirma für Fake News"
Im Stück erklären die Agenten der Organisation, man wolle den Betreib nun in die Breite tragen und laden das Publikum ein, viral zu gehen.
"'Hulesch & Quenzel' ist eine internationale Geheimfirma, die vielleicht für Fake News - wenn man es in die Gegenwart bringen sollte - zuständig ist.
Franzobel: "Ich glaube, dass die Wut wahrscheinlich in der Gegenwart ein bisschen gestiegen ist, durch diesen radikalen Turbokapitalismus, den wir momentan haben, haben wir eine Neidgesellschaft. Jeder ist irgenwie wütend, weil sein Nebenher ein bisschen mehr besitzt. Und das wird wahrscheinlich durch diese mediale Welt, in der man alles sieht, was möglich ist, verstärkt", so der Autor Franzobel. Er hatte den Auftrag, den Roman zum Stück umzuarbeiten, recht kurzfristig gemeistert. Dass das Ende zunehmend verwirrend ausfällt, ist der Vorlage geschuldet, kann aber auch als postdramatisch gelten.
Gelungen ist jedenfalls die Sprache. Das Premierenpublikum fühlte sich gut unterhalten - und verblieb wohlwollend.