Fernab der Zivilisation

Eine Familie zieht in den Wald

Andrea Hejlsjakov mit ihrem Mann
Andrea Hejlsjakov ist mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in den Wald gezogen. © www.mairisch.de
Andrea Hejlsjakov im Gespräch mit Marietta Schwarz · 25.08.2018
Andrea Hejlsjakov lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern im Wald, ohne Strom, ohne fließend Wasser. Eigentlich wollten sie nur ein Jahr dort bleiben, nun sind es fast acht geworden. Was sie vermisst? – "Pommes und Nutella, aber ich halte es aus", erzählt sie.
Marietta Schwarz: Beschreib doch mal, wie Dein Leben aussieht!
Andrea Hejlsjakov: Wir leben in einem sehr alten Haus, mitten im Wald, nah an einem See. Wir haben keinen Strom und kein fließendes Wasser, keine Heizung. Also wir sind "off the grid", wie man so sagt, nicht angeschlossen an die gängige Infrastruktur. Und das mit Absicht. Denn für uns lag der Weg zu mehr Freiheit darin, das Hamsterrad zu verlassen und dafür unseren Lebensstandard radikal zu senken. Jetzt leben wir sehr einfach.
Schwarz: Ihr seid Dänen. Aber es hat Euch in einen schwedischen Wald verschlagen. Warum?
Hejlsjakov: Weil Dänemark ein Land ist, das sehr landwirtschaftlich geprägt ist. Es gibt einfach nicht mehr viele Naturlandschaften hier. Für eine sehr naturliebende Person wie mich war das ein Problem. Ich habe eigentlichen keinen Ort mehr gefunden, wo ich hin konnte. Und hier in Schweden sind gefühlt 80 Prozent des Landes Wald.

"Wir haben fast all unseren Besitz weggeworfen"

Schwarz: Du hast eben gesagt, Ihr lebt "off the grid", also, ihr habt keinen Stromanschluss, keinen Wasseranschluss. Immerhin gibt es ein Handynetz offenbar. Aber inwiefern seid Ihr den wirklich draußen? Also, kaufst du noch im Supermarkt ein, zum Beispiel?
Hejlsjakov: Am Anfang haben wir das hardcore durchgezogen. Wir haben fast all unseren Besitz weggeworfen, sind da raus ohne Internetverbindung, ohne gar nichts. Das hat sich aber mittlerweile stark verändert. Wir haben bewusste Entscheidungen getroffen. Welche Dinge brauchen wir und worauf wollen wir weiterhin verzichten? Das birgt natürlich die Gefahr, dass wir am Ende genauso leben wie zuvor, nur im Wald. Aber wir versuchen, nicht einfach nur zu konsumieren. Das ist das wichtigste.
Schwarz: Wie weit ist es denn bis zum nächsten Dorf?
Hejlsjakov: Das ist ungefähr eine halbe Stunde entfernt. Das erste Jahr haben wir an einem anderen Ort gelebt, in Nordschweden, da waren wir sehr viel isolierter. Dann sind wir hierher gezogen, weil unsere Kinder sich gewünscht haben, auch mal andere Kinder sehen zu können. Jetzt ist es weniger wild, gebe ich zu.
Schwarz: Und ist das besser oder schlechter?
Hejlsjakov: Ich glaube, es ist besser, weil realistischer. Am Anfang waren wir Träumer, Romantiker, wollten so primitiv wie möglich leben und so weiter. Aber wenn du das dauerhaft durchhalten willst, musst du Kompromisse machen. Viele denken, wir leben offline zum Beispiel. Alle Leute, die ich kenne, die im Wald leben, haben natürlich Internet. Weil es einfach ein superwichtiges Werkzeug ist, gerade da draußen. Also die Vorstellungen der Stadtbewohner weicht manchmal schon stark davon ab, wie es bei uns tatsächlich zugeht.

Mit zwei Teenagern in den Wald

Schwarz: Du hast vier Kinder und die gehen wahrscheinlich auch zur Schule, oder?
Hejlsjakov: Ja das stimmt. Am Anfang gingen sie nicht. Aber dann stelle sich heraus, dass Home Schooling in Schweden illegal ist. Außerdem wollten zumindest auch die älteren Kinder gerne in die Schule. Man muss bedenken, wir sind mit zwei Teenagern in den Wald gezogen. Unsere ältesten waren 15. Für die war das eine riesige Umstellung, die sind ja ganz anders aufgewachsen.
Andrea Hejlsjakov mit Kind beim Schaukeln
Draußen spielen nach der Arbeit. © www.mairisch.de
Schwarz: Das heißt, Ihr seid nicht zu Jägern und Sammlern geworden.
Hejlsjakov: Ich denke im metaphorischen Sinne schon. Ich gehe manchmal in die Stadt und versuche ein bisschen Geld zu erbeuten. Ich halte Vorträge oder schreibe Bücher, solche Dinge. Und lebe dabei von der Hand in den Mund, habe kein festes Einkommen, keine Versicherungen, also eine Art moderne Jägerin und Sammlerin. Das passt schon.
Schwarz: Und gab es keine bedrohlichen Situationen bislang? In diesem Sommer zum Beispiel mit den Waldbränden?
Hejlsjakov: Wir hatten tatsächlich einige Waldbrände in Schweden und das war für uns schon existenziell. Zum Glück ist alles gut gegangen. Aber ich hatte noch nie zuvor solche Angst. Auch in meinem alten Leben habe ich mir natürlich manchmal einen Kopf gemacht um Dinge. Aber so eine konkrete Angst um mein Haus, um meine Kinder. Das war mir neu. Und das war auch der gefährlichste Moment für uns hier draußen, würde ich sagen.

"Wir rackern, wissen nicht mehr, wofür"

Schwarz: Und was waren die großartigsten Momente im Wald?
Hejlsjakov: Ich kann eigentlich nur ein religiöses Vokabular dafür verwenden. Es sind diese Momente, wo man sich eins mit der Natur fühlt, sich verbunden fühlt, würde ich sagen. Von denen gab es viele. Und die sind auch der Grund, warum wir das alles hier machen. Weil es diese "goldenen Momente" gibt, die das alles wert sind.
Schwarz: Also momentan kein Grund wieder zurück in die Zivilisation zu ziehen?
Hejlsjakov: Nein! Manchmal vermisse ich Pommes und Nutella, aber ich halte es aus.
Haus von Andrea Hejlsjakov und ihre Familie
Kein Strom, kein fließendes Wasser: die Hütte von Andrea Hejlsjakov und ihrer Familie.© www.mairisch.de
Schwarz: Es gibt inzwischen auch eine Bewegung, "Human Rewilding" nennt sich das. Was ist die Idee dahinter?
Hejlsjakov: Das steht für diesen speziellen kapitalismuskritischen Ansatz, würde ich sagen, der uns zu Arbeitskräften oder Arbeitsrobotern degradiert. Wir rackern, wissen nicht mehr, wofür. Sehen unsere Kinder nicht mehr. Und unser Lebensstil zerstört unsere Umwelt. Und bei der Rewilding-Bewegung geht es darum zu fragen, was wirklich essenziell ist für unser Leben und mit wie wenig wir eigentlich auskommen können. Man sieht diese Bewegung "zurück zur Natur" ja überall im Moment – und für mich ist das schön zu sehen.

"Pläne sind ein sehr modernes Konstrukt"

Schwarz: Ich stelle mir das Leben im Wald aber auch ein bisschen einsam vor. Bekommt Ihr Besuch?
Hejlsjakov: Es ist sehr einsam. Einsam und langweilig. Und hart und unkomfortabel. Das ist ganz klar die Kehrseite dieses Lebensstils! Ich würde gerne mit anderen hier leben, in so einer Art Stammesgemeinschaft. Aber das ist auch nicht so einfach, also fange ich mal mit meiner Familie an.
Schwarz: Ihr habt Euren Lebensstil monetarisiert, mit Hilfe des Internets, der sozialen Medien – also Instagram, Blogs, ein Buch ist auch entstanden. Warum, glauben Sie, träumen so viele Menschen von diesem einfachen Leben?
Hejlsjakov: Ich glaube aus dieser Sehnsucht nach Natur spricht ein menschliches Bedürfnis, ein seelisches Bedürfnis, nach Verbindung zur Natur, Sinn, Handfestigkeit. Ich sehe aber auch, dass die Monetarisierung dieses Lebensstils ein Problem darstellt. Ich habe viel damit gehadert. Viele Follower sind zu uns gekommen, um uns zu besuchen. Das fanden wir am Anfang sehr schön. Dann habe ich gemerkt, wie ich da offenbar eine Maschine füttere und irgendwelche Sehnsüchte bediene von Leuten, die einfach ein bisschen herumträumen. Das ist unglaublich schwer, das zu vermeiden bei dem Thema. Aber ich habe versucht, immerhin auch die negativen Seiten ausführlich zu beschreiben in meinem Buch.
Schwarz: Habt Ihr Pläne für die Zukunft?
Hejlsjakov: Nein. Denn wenn ich im Wald etwas gelernt habe, dann, das Pläne ein sehr modernes Konstrukt sind, das sich hier nicht umsetzen lässt. Ich habe keine Ziele, ich passe mich dem an, was passiert. Diese Ungewissheit zu akzeptieren, war für mich die wahrscheinlich wichtigste Lektion von allen.
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