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Debatte mit Hindernissen

Unter den Bedingungen gesperrter Lufträume über 700 Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten nach Straßburg zu bringen, ist eine logistische Aufgabe, an der man scheitern muss. Vielen Abgeordneten gelang es nicht, rechtzeitig zur Sitzungswoche des Parlaments nach Straßburg zu kommen.

Von Doris Simon | 20.04.2010
    14 Uhr gestern Mittag, 150 Kilometer vor Straßburg: Mit hoher Geschwindigkeit zieht ein dunkelblauer BMW mit gelbem CD-Kennzeichen auf der linken Autobahnspur vorbei. Jerzy Buzek hat es eilig: Der Präsident des Europäischen Parlamentes war am Samstag noch bei der Beisetzung des polnischen Präsidentenehepaares in Krakau, jetzt muss er zur Eröffnung der Parlamentswoche. Alles per Auto, denn Flugzeuge fliegen an diesem Montag noch nicht nach Straßburg.

    So wie Buzek haben sich viele Europaabgeordnete mit dem Wagen auf den Weg gemacht: Der sozialistische Vizepräsident des Parlamentes ist 1800 Kilometer aus Spanien durchgefahren, mehrere schwedische Sozialdemokraten haben sich zusammengetan, sie wollen morgen früh da sein. Andere haben Tagesreisen mit der Bahn gemacht aus Frankreich, der Slowakei oder aus Ungarn, um zur Sitzungswoche in Straßburg da zu sein. Viele Anwesende kritisieren allerdings, dass bis zuletzt unklar war, ob die Sitzung in Straßburg überhaupt stattfinden würde. Der österreichische Sozialdemokrat Jörg Leichtfried:

    "Schön, dass sie uns gratulieren, dass wir da sind. Ich hätte nur gerne angeregt, dass sie uns Aufgabe etwas leichter machen. Danke."

    Da klatscht auch Michail Tremopoulos Beifall. Der grüne Abgeordnete aus Thessaloniki sitzt im Plenum wie die meisten seiner griechischen Kollegen und ärgert sich gewaltig, als Parlamentspräsident Buzek ankündigt, dass alle Abstimmungen in dieser Sitzungswoche gestrichen sind und auf Anfang Mai verlegt werden. Zwar sind wohl mehr als die erforderlichen 246 Abgeordneten nach Straßburg gekommen, aber die Parlamentsspitze führt das geografische Ungleichgewicht als Argument ins Feld: die Flugverbote haben dazu geführt, dass im Verhältnis zum normalen Schlüssel diesmal zu viele Deutsche, Österreicher, Tschechen und Abgeordnete aus Beneluxländern in Straßburg sind und zu wenige aus den Randländern der EU. Der griechische Grüne Michail Tremopoulos hält nichts von diesem Argument: Die Parlamentsspitze wisse doch überhaupt nicht, wer da sei:

    "Theoretisch war es uns griechischen Abgeordneten unmöglich, heute zur Parlamentssitzung nach Straßburg zu kommen. Praktisch aber sind wir wegen des Flugverbots fast alle über das Wochenende in Brüssel geblieben und sind jetzt natürlich in Straßburg. Die Parlamentsspitze hätte fragen müssen, wer kommen kann. Aber bei mir und meinen Kollegen hat keiner angerufen."

    Auch andere Europaabgeordnete halten die Verschiebung der Abstimmungen für einen Fehler. Am meisten erregte sich der britische Konservative Charles Tannock im Plenum:

    "Sie haben die Abstimmungen auf den fünften und sechsten Mai verlegt, aber am sechsten wählen die Briten ein neues Parlament, und das bedeutet, dass die britischen Abgeordneten aus allen Fraktionen dann nicht im Europaparlament sein können. Das verzerrt dann auch das geografische Gleichgewicht!"

    Hoch kocht die Diskussionen seit einigen Tagen auch im internen E-Mail-Verkehr des Parlaments. Liberale Abgeordnete aus den Niederlanden nutzen die Debatte, um einmal mehr auf den auf den aus ihrer Sicht unsinnigen Reisezirkus des Europaparlamentes zwischen Straßburg und Brüssel hinzuweisen. Der deutsche CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler findet die Klagen übertrieben, niemand könne pünktlich nach Straßburg kommen. Er schrieb seinen Kollegen eine E-Mail, in der er akkurat die Zugverbindungen auflistet aus Rom, Budapest und London nach Straßburg.

    "Wo ein Wille ist, sind auch viele Wege."

    Einen Tag früher als geplant wird die Straßburger Sitzungswoche schon morgen am Mittwoch zu Ende gehen. Michail Tremopoulos aus Thessaloniki hofft, dass er dann nach Hause fliegen kann. Aber das Flugverbot hat dem grünen Europaabgeordneten aus Griechenland auch überraschend angenehme Momente beschert.
    "Ich habe die Gelegenheit genutzt und Brüssels verborgene Schönheit erkundet. Es war wunderbares Wetter, das war durchaus wie Frühling in Europas Süden. Und ich hatte endlich mal wieder Zeit zu lesen. Aber so schnell brauche ich das trotzdem nicht wieder."