Dienstag, 19. März 2024

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Debatte über Abschiebungen
"Es gibt Millionen Menschen in Afghanistan, die normal leben"

Kanzleramtsminister Peter Altmaier hat die umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan verteidigt. Es gebe dort viele Städte, in denen Menschen sicher und normal leben könnten, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Die Abschiebestopps einzelner Bundesländer halte er für falsch.

Peter Altmaier im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 22.02.2017
    Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) wartet am 11.01.2017 in Berlin auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts.
    Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) wartet am 11.01.2017 in Berlin auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts. (dpa-bildfunk / Michael Kappeler)
    Altmaier betonte, alle Asylanträge würden sehr sorgfältig geprüft. Etwa 56 Prozent der Anträge von Afghanen würden anerkannt. Er betonte: "Diejenigen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Schutzanspruch haben, wo auch die Gerichte bestätigen, dass ihnen keine Verfolgung droht, diese Menschen müssen damit rechnen, dass sie zurückgeführt werden."
    Mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan sagte Altmaier, es gebe selbstverständlich Gebiete, in die nicht zurückgeführt werde. "Es gibt Millionen Menschen in Afghanistan, die ganz normal leben." Sie lebten aber sicherlich nicht so gut wie in Deutschland.
    Es sei natürlich schwieriger, Frauen, Kinder und Kranke abzuschieben, so Altmaier. Aber gut ausgebildete Menschen zwischen 20 und 30 hätten eine Chance, in Afghanistan eine Arbeit zu finden. "Ich glaube, dass es kaum ein anderes Land gibt, das sich so intensiv darum bemüht, dass es den Menschen, die man zurückführt, auch zumutbar ist, dort zu leben, wie dies in Deutschland der Fall ist." Der Kanzleramtschef betonte, er halte die Abschiebestopps in einzelnen Bundesländern für nicht nachvollziehbar und falsch.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Peter Altmaier, Kanzleramtsminister von der CDU. Schönen guten Morgen, Herr Altmaier.
    Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Altmaier, wie gut ist es denn mit Ihrem christlichen Menschenbild vereinbar, Menschen nach Afghanistan abzuschieben, wie es für heute offenbar beziehungsweise die kommenden Tage wieder geplant ist?
    Altmaier: Zunächst einmal haben wir in Deutschland in den letzten zwei Jahren gezeigt, dass wir weltweit Menschen in Not bereit sind zu helfen. Es sind sehr viele Menschen zu uns gekommen aus Syrien, aus dem Irak, und die zweitgrößte Gruppe derer, die zu uns gekommen ist, sind Menschen aus Afghanistan. Das sind über 250.000 im Augenblick. Die Asylanträge werden sehr sorgfältig geprüft und immer dann, wenn eine große Gefahr besteht, nicht von staatlicher Verfolgung – die gibt es in Afghanistan nicht -, aber dass man dort, wo man herkommt, nicht sicher leben kann, dann werden diese Anträge anerkannt. Rund 56 Prozent aller Asylanträge von Menschen aus Afghanistan werden in Deutschland anerkannt. Das zeigt, dass das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland respektiert werden. Aber diejenigen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Schutzanspruch haben, wo auch die Gerichte bestätigen, dass ihnen keine Verfolgung droht, diese Menschen müssen auch damit rechnen, dass sie zurückgeführt werden. Das Asylrecht …
    Heckmann: Weil Afghanistan aus Ihrer Sicht als sicher gilt, zumindest es Gebiete gibt, die als sicher gelten.
    Altmaier: Ja.
    "Auch die Bundeswehr leistet in Afghanistan einen Beitrag"
    Heckmann: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, Herr Altmaier, das UNHCR hat aber ganz eindeutig formuliert, im Dezember 2016 erst, also wenige Wochen her, es sei unmöglich, bestimmte Regionen als sicher zu bezeichnen. Und im ersten Halbjahr 2016 habe es über 1600 Tote bei Anschlägen gegeben. Das ist mehr als in jedem anderen Halbjahr seit 2009. Das sagt das UNHCR. Mit welchem Recht gehen wir über diese Einordnungen hinweg?
    Altmaier: Herr Heckmann, ich sehe überhaupt gar keinen Widerspruch. Das Auswärtige Amt erstellt regelmäßig Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan so wie in anderen Ländern auch. Und selbstverständlich gibt es Gebiete, in die wir niemals zurückführen würden, weil die Menschen dort nicht sicher leben können. Es gibt aber Millionen von Menschen in Afghanistan, die ganz normal zur Schule gehen, die ganz normal zur Arbeit gehen, die ganz normal mit ihren Familien leben, sicherlich nicht so gut wie in Deutschland, aber es gibt viele Regionen und Städte, wo man sicher leben kann. Dazu leistet übrigens auch die Bundeswehr in Afghanistan einen Beitrag unter nicht einfachen Voraussetzungen. Und wenn in Deutschland …
    Abschiebestopp in Schleswig-Holstein
    Heckmann: Es gibt viele Regionen, wo man sicher leben kann. Pardon, Herr Altmaier. Das hat ja auch Innenminister Thomas de Maizière in der ARD vor zwei Tagen gesagt. Wir hören mal kurz rein:
    O-Ton Thomas de Maizière: "Wir sprechen nicht davon, dass ganz Afghanistan ein sicheres Land ist. Wir wissen natürlich, dass die Sicherheitslage kompliziert dort ist. Das sagt auch die Weltflüchtlingsorganisation. Aber es gibt sichere Orte."
    Heckmann: Es gibt sichere Orte, sagt Thomas de Maizière, sagen auch Sie, Herr Altmaier. Fünf Bundesländer aber, rot-grün regierte Bundesländer, sehen das völlig anders. Schleswig-Holstein hat sogar einen Abschiebestopp verhängt. Jetzt frage ich Sie: Wo bitte, wo sind diese sicheren Orte in Afghanistan?
    Altmaier: Ich bitte sehr um Verständnis, dass wir über diese Frage diskutieren müssen. Das Auswärtige Amt, dessen Außenminister Frank-Walter Steinmeier war und dessen Außenminister Sigmar Gabriel ist, wo Menschen mit sehr hohen Skrupeln daran arbeiten, in Zusammenarbeit mit dem UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und anderen Stellen, einen genauen Blick der Situation zu bekommen, ist zum Ergebnis gekommen, dass es solche Regionen gibt, in die zurückgeführt werden kann.
    "In einzelne Provinzen wird nicht zurückgeführt"
    Heckmann: Und wo sind die? Wo sind die Regionen, die sicher sind?
    Altmaier: Die gibt es überall in Afghanistan. In einzelnen Provinzen wird nicht zurückgeführt, in andere Provinzen wird zurückgeführt. Das wird jedes Mal im Einzelfall entschieden und auch immer vor dem Hintergrund einer neuen Bewertung der Situation. Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass es viele Tote bei Terroranschlägen gegeben hat. Ja, das ist richtig. Aber es hat im letzten Jahr mehrere hundert Tote bei Terroranschlägen in Frankreich gegeben und trotzdem würde kein Mensch auf die Idee kommen und sagen, man kann nirgendwo nach Frankreich zurückführen.
    Heckmann: Wobei die Lage ja doch etwas unterschiedlich ist zwischen Afghanistan und Frankreich. Das würden Sie sicherlich konzedieren.
    Altmaier: Ja, das ist sie.
    Heckmann: Aber der Innenminister Thomas de Maizière, der hat auch gesagt, auch Kabul wäre eine Region, in die man zurückführen könne. Ich schlage vor, wir hören noch mal kurz rein, was er in der ARD dazu gesagt hat:
    O-Ton Thomas de Maizière: "Der Terrorismus der Taliban unterscheidet sich von dem, der jetzt in Europa viele Opfer hat, dadurch, dass das Ziel in irgendeiner Weise Repräsentanten des staatlichen Systems sind: Polizisten, Botschaften, westliche Hotels. Normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber ist nicht Ziel von Anschlägen der Taliban."
    "Menschen, die eine gute Ausbildung haben, werden zurückgeführt"
    Heckmann: Die normale Bevölkerung ist zwar Opfer, aber nicht Ziel der Taliban. Ist das nicht eine zynische Haltung?
    Altmaier: Nein, überhaupt gar nicht, weil wir nämlich in jedem Einzelfall prüfen, ob man jemand zurückführen kann. Selbstverständlich ist es schwieriger, Frauen und Kinder und Menschen, die krank und in Not sind, zurückzuführen, und das geschieht dann in vielen Fällen auch nicht. Aber es gibt auch Menschen, die sind 20, 25, 30 Jahre alt, die haben eine gute Ausbildung, die haben eine Chance, Arbeit zu finden. Die werden zurückgeführt. In der Vergangenheit sind die Flüge übrigens in Kabul gelandet und wir haben in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen und mit der afghanischen Regierung dafür gesorgt, dass diese Menschen dann auch vor Ort aufgenommen wurden, dass ihnen geholfen worden ist. Ich glaube, dass es kaum ein anderes Land gibt, das sich so intensiv darum bemüht, dass es den Menschen, die man zurückführt, auch zumutbar ist, dort zu leben, wohin sie zurückgeführt werden, wie dies in Deutschland der Fall ist.
    Im Übrigen: Wir haben mit 15 Bundesländern und der gesamten Bundesregierung vor wenigen Wochen über das Thema Rückführung einen ganzen Nachmittag und Abend lang diskutiert. Dort hat niemand die Forderung erhoben nach einem generellen Rückführungsstopp nach Afghanistan, auch kein Ministerpräsident einer rot-grün geführten Landesregierung. Deshalb halte ich solche regionalen Abschiebestopps in einzelnen Bundesländern, die halte ich für nicht nachvollziehbar. Ich halte sie auch für falsch.
    Konsens in Ministerpräsidenten-Runde
    Heckmann: Die Forderung nach einem Abschiebestopp, die wird aber jetzt erhoben, und zwar von Katrin Göring-Eckardt unter anderem. Und wenn jetzt diese Forderung auf dem Tisch liegt, wie stehen Sie dazu? Die lehnen Sie ab?
    Altmaier: Noch einmal: Wir haben mit 15 Ministerpräsidenten – Herr Ramelow hat nicht teilgenommen aus Thüringen -, mit 15 Ministerpräsidenten darüber gesprochen. Kein einziger, weder der grüne Ministerpräsident, noch die SPD-Ministerpräsidenten, auch nicht die CDU-Ministerpräsidenten haben diese Forderung erhoben.
    Dass Katrin Göring-Eckardt diese Forderung erhebt, das ist Sache der Grünen im Deutschen Bundestag. Aber es gibt quer über die politischen Parteien und quer über die Bundesländer einen Konsens, dass wir unsere großzügige Haltung gegenüber Flüchtlingen, die in Not sind und die wir aufnehmen, nur dann auf Dauer werden weiterverfolgen können, wenn wir auch diejenigen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Schutzanspruch haben, dann wieder in ihre Heimatländer zurückführen.
    Schon heute können Ausländerbehörden Handy-Daten auszulesen
    Heckmann: Herr Altmaier, heute im Kabinett soll ein Gesetzespaket verabschiedet werden zur leichteren Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern. Da gibt es eine Menge von unstrittigen Punkten, zum Beispiel eine verlängerte Abschiebehaft für Gefährder, für gefährliche Menschen. Unter anderem geht es aber auch darum, dass die Handy-Daten von Asylbewerbern ausgelesen werden können. Pro Asyl sagt unterm Strich, dabei gehe es um eine brutale Entmutigungs- und Vergrämungspolitik. Zeigt Deutschland jetzt sein hässliches Gesicht, weil die AfD droht, stark zu werden?
    Altmaier: Überhaupt nicht. Sie wissen, dass die Tagesordnung des Kabinetts immer erst nach der Kabinettssitzung öffentlich wird. Aber richtig ist, dass wir über diesen Punkt in der Koalition gesprochen haben. Und heute ist es schon so, dass die Ausländerbehörden die Möglichkeit haben, bestimmte Handy-Daten auszulesen, wenn es darum geht festzustellen, woher ein Asylbewerber kommt, das heißt welche Identität er hat. Viele Menschen machen falsche Angaben. Viele Menschen versuchen, über ihre Herkunft zu täuschen, weil sie hoffen, dass sie dann eher in Deutschland bleiben können.
    Gleiche Möglichkeiten auch fürs BAMF
    Heckmann: Aber wer täuschen möchte, der wird doch sein Handy gar nicht mitbringen zum BAMF zum Beispiel.
    Altmaier: Aber lassen Sie mich doch mal erklären, wie es ist. Heute können die Ausländerbehörden bereits diese Handy-Daten auslesen. Und es geht jetzt darum, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die gleichen Möglichkeiten hat, wie sie die Ausländerbehörden der Bundesländer heute schon haben. Das halte ich für rechtsstaatlich absolut vertretbar, zumal mit den Daten dieser Menschen sehr sorgfältig umgegangen wird. Datenschutz wird in Deutschland nicht nur für deutsche Staatsbürger praktiziert. Wir haben in den letzten Jahren keinerlei Beschwerden gehabt, dass die Ausländerbehörden damit missbräuchlich umgegangen sind, und deshalb halte ich es für gerechtfertigt, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Daten auslesen kann.
    Heckmann: Der Kanzleramtsminister Peter Altmaier von der CDU war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Altmaier, danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
    Altmaier: Ich danke Ihnen.
    Heckmann: Und Ihnen einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.