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Debatte über Fluglärm
Dobrindts vage Zusagen

Im südlichen Baden-Württemberg herrscht Unruhe: Viele Menschen fühlen sich durch den Fluglärm vom nahen Flughafen in Zürich gestört. Sie fordern Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt auf, was zu tun. Der hat sich in Tiengen einem Bürgerdialog gestellt.

Von Michael Brandt | 07.03.2015
    Die Uhr eines Kirchturms in Großaufnahme, daneben weit hinten ein Flugzeug im Landeanflug vor blauem Himmel.
    Ein Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen Zürich hinter dem Kirchturm in Hohentengen im südlichen Baden-Württemberg. (dpa / Patrick Seeger)
    Es ist ein makellos blauer Abendhimmel über dem Südschwarzwald, in der Abendsonne glitzern die Flieger, die ein paar Minuten später und ein paar Kilometer südlich auf dem Flughafen Zürich-Klothen landen werden, den Krach hinterlassen sie hier. In Tiengen, in Klettgau oder in Hohentengen, alles Gemeinden an den Hängen des Schwarzwalds in Richtung Rhein. Und jetzt sitzen sie hier, die lärmgeplagten Menschen, in der Stadthalle in Tiengen und warten.
    Frau: "Der Lärm macht krank. Und zwar ist es so, das der Lärm... Im Drei-Minuten-Turnus ist es manchmal ganz heftig, dass Sie sich nicht unterhalten können."
    Mann: "Als ich angefangen habe, drüber zu kämpfen, waren meine Kinder im Garten, und die haben Angst gehabt. Eine meiner Töchter kam dann und hat mir erklärt: Papa, Donner."
    Die Menschen sitzen. Sie warten auf Alexander Dobrindt, den Bundesverkehrsminister, denn der ist am Ende zuständig für die Verträge mit der Schweiz, mit denen die Überflugrechte geregelt werden. Alle 600 Bürger, die zu diesem Dialog gekommen sind, können beten, um was es geht: einen Staatsvertrag, den Dobrindts Vorgänger Ramsauer 2012 mit der Schweizer Verkehrsbundesrätin Leutardt geschlossen hat, und über den selbst der örtliche Landrat Martin Kistler sagt:
    "Wir sind froh, dass eine Ratifizierung bisher nicht stattgefunden hat. Und ich gehe auch weiterhin davon aus, dass eine Ratifizierung nicht stattfindet und dieser Vertrag tot ist."
    "Wir wollen den Staatsvertrag nicht"
    Aus Sicht der Südbadener öffnet der Staatsvertrag Tür und Tor für zusätzliche Flüge über dem Schwarzwald. Handwerklich schlecht, nicht akzeptabel, heißt es hier: Ramsauer hat sich von den Schweizern über den Tisch ziehen lassen.
    Frau: "Der Ramsauer, das darf ich ja gar nicht laut sagen..."
    Mann: "...der hat uns in Blumberg angelogen nach Strich und Faden."
    Frau: "Eigentlich habe ich ja nichts erwartet von dem Ramsauer, und das hat er ja auch erfüllt."
    Veranstalter des Bürgerdialogs mit dem neuen Bundesverkehrsminister ist die örtliche CDU - die Gegend ist fest in schwarzer Hand. Und in diesem Fall haben sich die Bundestagsabgeordneten von vor Ort dafür stark gemacht, dass der Staatsvertrag nicht in Kraft tritt. Und sie haben dafür gesorgt, dass Dobrindt kommt und mit den Leuten redet. Der Konstanzer Abgeordnete Andreas Jung:
    "Wir haben eine klare Position. Die Position heißt: Wir wollen den Staatsvertrag nicht. Die Position heißt: Wir brauchen Entlastung, wir wollen keine zusätzliche Belastung, und über diese Position werden wir mit dem Minister sprechen."
    Aber, Ironie des Abends: Der Verkehrsminister steckt im Stau. Denn die Überflüge sind nicht das einzige Problem der Region, auch der Autoverkehr zwischen Lörrach und dem Bodensee ist eine Katastrophe, und die Bahnlinie müsste schon lange elektrifiziert werden.
    Der Saal ist unruhig, die Rückseite ist mittlerweile mit Transarenten tapeziert: "Touristen verwöhnen, mit Fluglärm dröhnen", ist zu lesen. Oder:
    Frau: "Lärm, Gestank, der Bürger voll Wut – Hauptsache, die Gewinne sind gut."
    Alexander Dobrindt bei seiner Rede vor einem CDU-Logo.
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat in Waldshut-Tiengen keine konkreten Zusagen für weniger Fluglärm gemacht. (dpa / Patrick Seeger)
    Ein Bürgerdialog ohne Bürger
    Eine halbe Stunde zu spät kommt dann der Minister, und dann zeigt die CDU, was sie unter Bürgerdialog versteht: Begrüßung durch den Bundestagsabgeordneten, dann je fünf Minuten für die drei Landräte der betroffenen Kreise, dann die Regierungspräsidentin, dann der Herr Minister, der in der Zwischenzeit alle Transparente gelesen hat.
    Dobrindt: "Da steht: Lieber Herr Dobrindt, Sie sind kein Schweizer Bundesrat. Ja, meine Damen und Herren, ich bin kein Schweizer Bundesrat, ich bin deutscher Verkehrsminister, und als deutscher Verkehrsminister nehme ich Ihre Interessen wahr, ganz einfach."
    Dobrindt spricht fast eine halbe Stunde, ist sichtbar bemüht, den Ball flach zu halten, durch lange Pausen, durch Exkurse über die Vorteile der PKW-Maut, durch Zusagen an die Menschen.
    "Ich werde keinem Konzept zustimmen, das zu einer Lärmmehrbelastung der südbadischen Bevölkerung führt, das wird es nicht geben."
    Es folgen drei Sprecher von Bürgerinitiativen, ein Ex-Landrat, drei Bürgermeister, zwei Bundestagsabgeordnete, und es zeigt sich einerseits: Hier sind wirklich alle sauer, so sauer, dass selbst Honoratioren gelegentlich die guten Manieren gegenüber dem Nachbarn in der Schweiz vergessen:
    Mann: "Die Ausgangslage ist ganz einfach, dass seit ich weiß, die Schweiz mit allen Mitteln versucht, die Lasten ihres Flughafens in unsere Region zu verlagern."
    Mann: "Die verantwortlichen schweizerischen Stellen exportieren seit Jahrzehnten rücksichtslos Belastungen von ihrem Land zum Schutz ihrer Bevölkerung auf unser Gebiet."
    Dobrindt will nichts versprechen
    Nach reichlich zwei Stunden hat dann auch einmal eine ganz normale Bürgerin das Mikrofon in der Hand, und sie verweist auf die sogenannte Stuttgarter Erklärung, auf die sich 2009 die gesamte Region geeinigt hat, und zwar eine absolute Obergrenze von 80.000 Flügen pro Jahr:
    "Und da das ja ein Bürgerdialog ist, würde ich mir zum Abschluss des Tages doch noch am Ende wünschen, eine klare Aussage dazu, ob sie hinter die Forderungen der Stuttgarter Erklärung zurückweichen werden oder ob sie sie voll umfänglich in einem Staatsvertrag als Minimum durchetzen werden. Danke."
    Die meisten Menschen sitzen seit dem späten Nachmittag in der Mehrzweckhalle, und so leeren sich allmählich die Reihen. Die ersten Fluglärmgegner rollen ihre Transparente ein, und die Aufmerksamkeit sinkt spürbar, als Dobrindt nach fast vier Stunden zu seiner Antwort auf die inzwischen gut 30 Fragen kommt. In Kurzform klingt sie so:
    "Ich kann heute auch kein Versprechen abgeben und sagen, ab morgen wird es besser."
    Immerhin erklärt er sich bereit, einen der Wortführer der Fluglärmgegner bei sich im Ministerium in Berlin zu empfangen. Zur Nachfrage, ob er sich für die Einhaltung der Stuttgarter Erklärung, also maximal 80.000 Flüge pro Jahr einsetzen wird, sagt er:
    "Ich habe keinen Zweifel, dass die Stuttgarter Erklärung Ausgangspunkt für Verhandlungen sein muss. Überhaupt keinen."
    Kaum sind die Fluglärmgegner draußen, werden Stühle gestapelt und die Tiengener Mehrzweckhalle wird fürs Sportraining am Wochenende vorbereitet. Aber beim Rausgehen zeigt sich: So unzufrieden sind die Zuhörer gar nicht mit den spärlichen Zusagen, die der Minister gemacht hat. Lieber erst mal zuhören und nachdenken als etwas versprechen, was man dann nicht halten kann, sagen zumindest die einen.
    Mann: "Lieber so und einen glaubwürdigen Eindruck, wie dass er irgendwas erzählt und dann nicht einhält. Das haben wir in der Vergangenheit genug erlebt."
    Mann: "Es wird so bleiben, wie es ist."
    Frau: "Nein, ich bin nicht zufrieden, sorry. Weil wir haben wirklich tagaus tagein Lärm, von früh bis spät sieben Tge die Woche, das ist echt eine Katastrophe."
    Nach dem Bürgerdialog leuchtet der Mond über dem Hochrhein, geflogen wird um diese Zeit nicht mehr, aber am nächsten Morgen ab sechs geht er wieder los, der Flugbetrieb in Zürich-Klothen.