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Debatte um Burkaverbot in den Niederlanden
"Finger weg von meinem Niqab!"

Die sozialliberale Koalition von Ministerpräsident Mark Rutte will das Tragen von gesichtsbedeckender Kleidung im staatlichen Bereich unter Strafe stellen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde dem Parlament vorgelegt. In den sozialen Netzwerken machen Trägerinnen von Gesichtsschleiern gegen das geplante Verbot mobil.

Von Kerstin Schweighöfer | 30.05.2016
    Eine vollverschleierte Frau auf einer Straße in Frankreich
    Über das Internet sammeln Niqaabis Unterschriften für eine Petition. In den Niederlanden hätten alle das Recht sich so zu kleiden, wie sie wollen. (picture alliance / dpa / Jean Francois Frey)
    "Ein Burkaverbot?"
    Der junge Verkäufer, der in der Amsterdamer Innenstadt gerade seine Weinhandlung öffnet, ist unschlüssig.
    "Ich habe noch nie eine gesehen, ist das denn wirklich nötig?”
    Eine seiner Kundinnen hat andere Erfahrungen gemacht: "Ich habe schon mehrere Male völlig verschleierte, in schwarz gehüllte Frauen gesehen", erzählt sie. "Neulich erst wieder, im Supermarkt, stand eine neben mir. Da bekommt man schon einen Schreck! Also, überall sollten sie nicht so rumlaufen dürfen, am Arbeitsplatz schon gleich gar nicht.”
    So geteilter Meinung wie die niederländischen Wähler sind auch die Politiker. Zum 5. Mal in den vergangenen zehn Jahren hat Den Haag einen Gesetzesentwurf für ein, wie es im Volksmund heißt, "Burkaverbot” präsentiert - genauer gesagt, ein Verbot, das das Tragen von gesichtsverhüllender Kleidung im öffentlichen Verkehr, in Krankenhäusern, an Schulen und Universitäten und in öffentlichen Gebäuden wie Rathäusern oder Ministerien verbieten soll. Damit die Religionsfreiheit nicht verletzt wird, wurde bewusst ein neutraler Begriff gewählt.
    Maximal 400 Frauen betroffen
    Betroffen sind Schätzungen zufolge maximal 400 Frauen – sogenannte Niqaabi. Weil sie einen Niqab tragen, einen Gesichtsschleier, der nur die Augenpartie frei lässt. Burkas sind in den Niederlanden ohnehin die Ausnahme.
    Auf Facebook machen die Niqaabis gegen das geplante Verbot mobil. "Blijf af van mijn niqab”, heisst ihre Protestkampagne, "Finger weg von meinem Niqab”.
    "Dieses Kleidungsstück schützt mich, ehrt mich, macht mich frei”, stellen sie klar. "Mein Körper gehört mir, nur mir. Befreit zu sein von männlichem Begehren, das ist echte Freiheit."
    In den Niederlanden hätten alle das Recht und die Freiheit, sich so zu äußern und auch so zu kleiden, wie sie wollen, betont die Sprecherin der Niqaabis Karima Rahmani:
    "Das ist nicht nur euer Recht, sondern auch das Meine!"
    Brandbrief an die Regierung
    Über das Internet sammeln die Frauen Unterschriften für eine Petition. Und der sogenannte Brandbrief, den sie an die Regierung geschickt haben, wurde von mehr als 50 Organisationen und Personen unterschrieben, auch von der Amsterdamer Anthropologieprofessorin Annelies Moors. Die 62-Jährige, die im Auftrag der Regierung das Tragen von Gesichtsschleiern in den Niederlanden untersucht hat, spricht von reiner Symbolpolitik.
    "Es geht den etablierten Parteien darum, nicht noch mehr Wähler an die Rechtspopulisten von Geert Wilders zu verlieren."
    Angesichts von maximal 400 betroffenen Frauen das Gesetz zu bemühen, sei erstens übertrieben und zweitens überflüssig. Egal, ob Busfahrer, Ärzte oder Schuldirektoren: Die betroffenen Instanzen hätten selbst die Möglichkeit, Frauen mit Gesichtsschleiern den Zugang zu verwehren, ohne dass dies von oben per Gesetz auferlegt werden müsse.
    "Anstatt Probleme zu lösen, wird das geplante Gesetz neue schaffen", prophezeit Professorin Moors. "Sowohl Ärzte als auch Busfahrer haben bereits wissen lassen, dass ihnen damit nicht gedient ist. Die Ärzte, weil das Verhältnis zu den Patienten gestört wird. Die Busfahrer, weil ihnen die Horden betrunkener junger Männer am Wochenende weitaus mehr zu schaffen machen, als die eineinhalb verschleierten Frauen, die sie pro Monat sehen. Die zeigen beim Einsteigen kurz ihr Gesicht, um sich zu identifizieren, und setzen sich dann wieder verschleiert hin."
    Aufgrund der genannten Argumente hat sich auch der Raad van State, das höchste Beratungsorgan der Regierung, dagegen ausgesprochen, das Tragen von gesichtsverhüllender Kleidung zu verbieten - zum fünften Mal. Ob sich das Kabinett auch dieses Mal danach richtet und wieder einen Rückzieher macht, bleibt abzuwarten. Es kann den umstrittenen Gesetzesentwurf auch ohne den Segen des Raad van State dem Abgeordnetenhaus zur Abstimmung vorlegen. Dort hat Ruttes sozialliberales Kabinett eine Mehrheit. Aber das geplante Verbot muss anschließend auch noch durch den Senat – und da hat die niederländische Koalitionsregierung ihre Mehrheit verloren.