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Debatte um das "Schwarzbuch Waldorf"

In der Debatte um das "Schwarzbuch Waldorf" hat der Anthroposophie-Experte Helmut Zander mehr Offenheit von den Waldorf-Schulen gefordert. Die Waldorf-Pädagogen müssten "offensiver und offener" mit den weltanschaulichen Hintergründen ihrer Pädagogik umgehen, sagte Zander.

Moderation: Karin Fischer | 17.09.2008
    Karin Fischer: Ist die Anthroposophie eine Lehre voller esoterischen Irrglaubens, zum Beispiel an die Reinkarnation? Und wird diese okkulte Weltanschauung an Waldorfschulen, die sich auf die Lehre Rudolf Steiners ja schließlich berufen, gelehrt? Etwa in der Version, dass der Mensch eine umgekehrte Pflanze sei, wie Steiner mit Goethe glaubte? Oder dass der Beginn der Menschheit mit der Sage von Atlantis erklärlich wäre? Der Autor Michael Grandt hat, wie er selber findet, genügend Indizien gefunden dafür, dass Theosophie und das Okkulte fester Bestandteil der Lehrerausbildung an Waldorfschulen sind. Im Deutschlandradio Kultur sagt er heute:

    Michael Grandt: Ich würde mir wünschen, dass die Waldorfschulen mehr Transparenz nach außen offenbaren. In dieser Anthroposophie sind Geister, Feen, Kobolde real existierende Wesen. Hier ist notwendig, dass auch die staatlichen Aufsichtsbehörden hier endlich eingreifen. Ich bin eindeutig dagegen, dass diese Art von Schulen von Steuergeldern finanziert werden.

    Fischer: Michael Grandts "Schwarzbuch Waldorf" wird bis auf Weiteres aber nicht zu lesen sein. Der Bund der Freien Waldorfschulen, BFW, hat über eine einstweilige Verfügung die Auslieferung des Buches verhindert. Der BFW moniert 120 Stellen, die als unzutreffend, entstellend oder faktisch falsch zu bewerten seien. Frage an den Experten für Anthroposophie in Deutschland und Autor eines fast 1900 Seiten starken gleichnamigen Buches, Helmut Zander. Herr Zander, wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

    Helmut Zander: Eine Antwort darauf zu geben, ist deshalb schwierig, weil ich jedenfalls über die Praxis an Waldorfschulen wenig weiß. Das Problem liegt eine Nummer tiefer, weil sich im Oeuvre von Rudolf Steiner, und der ist nun schon die entscheidende Bezugsperson für die Waldorfpädagogik, es sehr wohl eine Offenheit gegenüber leichten Prügelstrafen wie Ohrfeigen gibt. Das ist aber Stand der Zeit. Und Steiner ist überhaupt kein Prügelpädagoge.

    Fischer: Stand der Zeit damals?

    Zander: Der damaligen Zeit, ich sage mal Anfang des 20. Jahrhunderts. Und das Verbot von Prügelstrafen in der Schule ist ja auch in der Bundesrepublik erst nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Das heißt, es gibt einen Hintergrund, der so etwas ermöglicht und man hört auch immer wieder, dass so was in Waldorfschulen gegeben habe oder gebe. Aber von dieser Theorie generell auf die Praxis zu schließen, halte ich für nicht zulässig.

    Fischer: Das ist ungefähr so wie der alte Rassismusvorwurf an Rudolf Steiner und die Mutmaßung, deshalb könne die Waldorfpädagogik nichts Rechtes sein?

    Zander: Exakt. Es gibt diese, ich sage mal, rassistischen Äußerungen Rudolf Steiners, von triebhaften Negern und degenerierten Indianern. Und ich glaube, das ist ein wirkliches Problem im Hintergrund, dass man nicht kleinreden darf. Man darf allerdings auch nicht die Folgerung ziehen, das sei nun automatisch Inhalt des Unterrichts an Waldorfschulen.

    Fischer: Michael Grandt fordert, dass die Waldorfpädagogik mehr unter Aufsicht des Staates gestellt werden müsse. Sie haben die Schwierigkeit dabei erwähnt, es gibt keine verbindlichen Lehrpläne an Waldorfschulen, deshalb auch keine wirkliche Evaluation. Was ist Ihre Einschätzung zu diesem oben genannten Problem? Ist die Pädagogik der Waldorfschulen weltanschaulich gefärbt? Und wenn ja, wird da eine Grenze überschritten?

    Zander: Ja, natürlich ist sie weltanschaulich gefärbt. Es gibt keine Pädagogik, die nicht weltanschauliche Elemente besäße. Und auch die esoterischen Dimensionen, die theosophischen, die gibt es, definitiv. Und Waldorfpädagogen sind etwa fest der Meinung, dass Reinkarnation in das pädagogische Profil der Waldorfschulen gehört. Das Problem liegt an einer anderen Stelle.

    Fischer: Darf man seinen Kindern so etwas zumuten in einer aufgeklärten und wissenschaftlich orientierten Gesellschaft?

    Zander: Na, das müssen die Eltern entscheiden. Ich denke, das ist erst mal das Recht der Eltern zu entscheiden, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken wollen. Und wenn dazu Reinkarnation gehört, dann müssen Eltern das tun, wenn sie das wollen.

    Fischer: Das heißt, in diesem Bezugsrahmen wäre eine esoterische und eine christliche Lehre für Sie gleichzustellen?

    Zander: Sie haben mich danach gefragt, was ist mit der Weltanschauung. Und mein Punkt ist, es gibt keine Schule ohne Weltanschauung. In diesem Sinne ist das gleichzustellen, in dieser Struktur, dass wir nicht Pädagogik betreiben können, ohne Bezüge auf weltanschauliche normative Grundlagen.

    Fischer: Vor einiger Zeit gab es die Forderung einer Kultusministerin, die die christliche Lehre in den Biologieunterricht mit aufnehmen lassen wollte und einen Sturm der Entrüstung als Reaktion darauf. Was für ein Weltbild vertreten denn Anthroposophie und Waldorfpädagogik zum Beispiel über die Entstehungsgeschichte der Welt?

    Zander: Ja, dieses Weltbild, soweit es Rudolf Steiner formuliert hat, kommt aus dem späten 19., frühen 20. Jahrhundert und da spielt Evolution eine starke Rolle. Steiner ist der Meinung, die Welt habe sich von einem geistigen in einen materiellen Zustand entwickelt und werde wieder respiritualisieren, wieder ins Geistige zurückkehren. Und in diesem Kontext ist fast alles, was es gibt, evolutionär eingefärbt. Steiner wäre in etwa das Gegenteil eines kreationistischen Weltverständnisses evangelikaler Provenienz. Er ist radikaler Evolutionstheoretiker bis zu einem Punkt hin, wo es uns heute extrem fremd vorkommt, wie wenn er Völker als vergangene Evolutionsprodukte bezeichnet.

    Fischer: Noch mal zurück zu diesem praktischen Streitfall. Was muss jetzt folgen? Eine gesellschaftliche Debatte über Waldorfpädagogik oder eine Debatte unter Waldorfpädagogen?

    Zander: Na ja, wir brauchen diese Debatte an allen Stellen. Ich glaube, Waldorfpädagogen müssen offensiver und offener mit den weltanschaulichen Hintergründen ihrer Pädagogik umgehen. Aus gesellschaftlicher Perspektive, Außenperspektive wünsche ich mir, dass wir sehr viel genauer über die Praxis, die Unterrichtsinhalte an Waldorfschulen Bescheid wissen. Die Waldorfschulen haben große Distanz gegenüber diesen PISA-Messverfahren, was ich gut verstehen kann. Aber damit werden ganz grundlegende Vergleichbarkeiten hergestellt. Und ich fände es extrem hilfreich, wenn die Waldorfschulen in diese PISA-Studien offensiv mit eintreten würden, dass wir besser wüssten, was wirklich an diesen Schulen passiert.

    Fischer: Herzlichen Dank, Helmut Zander! Das war der Autor der "Anthroposophie in Deutschland" für diese Einschätzungen im Streit um das "Schwarzbuch Waldorf".