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Debatte um Flugsicherheit
"Piloten sind keine Supermenschen"

Der Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt warnt vor voreilig gezogenen Konsequenzen aus dem Germanwings-Unglück. "Schnellschüsse" führten lediglich zu Scheinsicherheit, sagte er im DLF. Und psychische Krankheiten könne man nie ausschließen - zumal bisher nicht sicher sei, ob der Pilot Suizid begangen habe.

Heinrich Großbongardt im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.03.2015
    Zwei Piloten arbeiten am 05.06.2014 auf dem Flughafen in Hamburg im Cockpit eines Lufthansa-Airbus A380.
    Germanwings-Piloten wollen am Freitag streiken. (dpa / picture-alliance / Daniel Reinhardt)
    Jasper Barenberg: Mit drei Maschinen hat Germanwings bisher Angehörige der Opfer an den Absturzort in den französischen Alpen gebracht. Eine weitere startet heute in Barcelona, während die Bergungsarbeiten der Einsatzkräfte in dem schroffen Gelände in den vierten Tag gehen. Sie suchen weiter auch nach dem zweiten Flugschreiber. Er könnte zusätzliche Erkenntnisse bringen über das, was sich in den letzten Minuten im Cockpit abgespielt hat. Denn auch in Frankreich wird weiter darüber diskutiert.
    Air Berlin und Condor haben es schon angekündigt, ebenso Fluggesellschaften wie Easyjet, Norwegian oder Air Canada. Kein Pilot soll sich künftig mehr während des Fluges allein im Cockpit aufhalten dürfen. Darum vor allem dreht sich auch die Diskussion über neue Sicherheitsregeln.
    Am Telefon ist der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Schönen guten Tag.
    Heinrich Großbongardt: Schönen guten Tag.
    Barenberg: Wir haben es gerade gehört: Die ersten Fluggesellschaften ändern ihre Verfahren. Wir werden möglicherweise heute schon in Flugzeugen erleben, dass neben einem Piloten möglicherweise eine Flugbegleiterin, ein Flugbegleiter im Cockpit ist, wenn der andere Pilot das Cockpit verlassen hat. Was ist damit gewonnen?
    Großbongardt: Das mag ein, ich sage mal, Quick-Fix sein. Man muss sich genau angucken, was bringt er denn tatsächlich. Es sind ja überhaupt nur Ausnahmesituationen, kurze Momente, in denen dann ein Pilot das Cockpit verlässt. Wie immer, wenn man in der Luftfahrt an der Technologie, an Verfahren, an allem etwas ändert, muss man sich immer ganz genau anschauen: Erreiche ich die beabsichtigte Wirkung tatsächlich? Gibt es andere Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen? Und welche möglichen anderen Risiken, Sicherheitsrisiken handele ich mir womöglich ein? - Was wir jetzt eben gehört haben, dass von politischer Seite Forderungen nach gesetzlichen Regelungen und sonst irgendwas kommen, das sind einfach Schüsse aus der Hüfte. Luftfahrt setzt sich nach einem solchen Unfall ganz kritisch mit dem auseinander, was ist, und sucht nach Wegen, das zu lösen.
    "Schnellschüsse führen zu Scheinsicherheit"
    Barenberg: Sie sind also an der Seite des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, wo der Geschäftsführer, Matthias von Randow, ja darauf hingewiesen hat oder betont hat, dass Schnellschüsse so ziemlich das Falscheste ist, was man machen kann?
    Großbongardt: Ja. In der Luftfahrt führen Schnellschüsse zu Scheinsicherheit, führen zu Scheinverbesserung, und wir haben ja gerade jetzt ein Beispiel, wo sich so ein verstecktes Risiko manifestiert hat. Es sind ja letzten Endes in der guten Absicht oder in der wichtigen Absicht nach 9.11, das Cockpit total abschirmen zu können, in diese Cockpit-Türen die Schließmechanismen et cetera eingeführt worden. Wir haben jetzt erlebt, dass dieses damit auf einmal Risiken hat, die sich jetzt manifestiert haben, und genau da muss man bei jedem, bei allem, was man im Flugzeug verändert, was man an Verfahren verändert, sich immer überlegen, was bedeutet das in der Praxis, was kann das denn eigentlich an anderer Stelle heißen.
    Barenberg: Wir können uns das ja alle relativ plastisch vorstellen. Ich habe versucht, das zu skizzieren: Da ist jetzt möglicherweise eine Flugbegleiterin mit im Cockpit. Was kann das denn bringen? Es gibt ja die, die darauf hinweisen, dass eine solche Person gar nichts ausrichten könnte.
    Großbongardt: Sie ist nicht qualifiziert, so etwas auszurichten, und man muss sich die Frage stellen, nimmt sie eigentlich dann auf dem Beobachtersitz, auf dem Jump Seat hinter dem anderen Platz, setzt sie sich auf den Pilotensitz, sie muss sich anschnallen. Ich stelle mir auch mal praktisch vor: Wie ist denn das, wenn dann der Kapitän wieder reinkommt, der Platzwechsel stattfindet. Dann befinden sich zwei Personen, die im Moment nicht angeschnallt sind, im Cockpit. Wenn dann absichtlich oder durch Turbulenz verursacht es zu einer heftigen Bewegung des Flugzeugs kommt, dann habe ich da auf einmal ganz andere Risiken. Das sind Dinge, die man sich ganz genau anschauen muss: Sind die praktikabel, führen sie zu mehr Sicherheit? Da gibt es keine einfachen Antworten, nirgendwo in der Luftfahrt.
    "Staatsanwaltschaft ist die am wenigsten qualifizierte Behörde"
    Barenberg: Nun haben wir in den letzten Tagen ja auch gelernt, dass in den USA dieses Verfahren, kein Pilot darf allein sein im Cockpit, schon Anwendung findet, flächendeckend. Können Sie uns erklären, warum es diese unterschiedlichen Einschätzungen gibt?
    Großbongardt: Nun, es sind Einschätzungen. Dahinter steckt sicherlich ein Menschenbild. Dahinter steckt, wie gehe ich als Airline mit meinen Piloten um, wie sehe ich die Menschen um mich herum. Man muss ja einfach sagen: Das Thema Amoklauf in den USA spielt eine größere Rolle als bei uns. All das, kann ich mir vorstellen, sind Dinge, die eine Rolle spielen. Wir haben uns bislang ein solches Ereignis nicht vorstellen können, niemand in Europa.
    Barenberg: Ist eigentlich unser Bild vom Hergang dieser Katastrophe schon ausreichend vollständig? Darauf weisen ja auch einige jetzt hin, die sagen, es gibt diese ausdrücklichen Aussagen der französischen Staatsanwaltschaft, aber bitte wartet ab, bis wir alle Details haben.
    Großbongardt: Da haben Sie vollkommen recht. Was wir jetzt haben, ist aus dem Blickwinkel der Unfalluntersuchung eine Arbeitshypothese. Die Staatsanwaltschaft - und das muss man ganz klar sagen - ist die am wenigsten qualifizierte Behörde, Aussagen zu treffen. Wir kennen das von dem Concorde-Absturz. Da gibt es auch Spannungen in Frankreich, weil natürlich: Die Staatsanwaltschaft sucht nach Schuldigen. Unfalluntersuchung, Luftfahrt-Unfalluntersuchung sucht nicht nach Schuldigen, sondern sucht nach Ursachen, nach Erklärungen. Da gibt es eine ganz schwierige Idealkonkurrenz. Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt eine Arbeitshypothese. Die These, dass es sich um Suizid gehandelt hat, erklärt alles, was wir bisher wissen, am besten. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.
    "Psychologische Gesundheit kann ich nicht messen"
    Barenberg: Zu dieser Arbeitshypothese gehört ja auch die Frage, wie Fluggesellschaften mit möglichen psychischen Belastungen oder Erkrankungen ihrer Mitarbeiter, ihrer Piloten zumal umgehen. Da wird auch darüber diskutiert, ob da zu wenig bei der Auswahl, während des Trainings und möglicherweise auch im Verlauf des Berufslebens getan wird. Welche Einschätzungen haben Sie dazu?
    Großbongardt: Zur Auswahl: Ich glaube, bei der Auswahl wird schon sehr, sehr genau geschaut. Aber es wird natürlich auch auf Dinge geschaut wie Belastungsfähigkeit, auch wie eine gewisse mentale Stabilität et cetera. Wir müssen aber sehen: Auch Piloten sind Menschen, sind keine Supermenschen. Bei denen können sich auch Lebenskrisen ereignen, die sie destabilisieren. Auch unter Piloten gibt es - da wird nicht drüber gesprochen, das ist einfach so - beispielsweise durch Lebenskrisen ausgelöst das Problem Alkohol. Auch Piloten machen Trennungen durch, die sie in schwere psychische Krisen stürzen. Ich kann deshalb Piloten auch nicht jede sechs Monate, flapsig gesprochen, auf die Couch legen. Ich kann Blutdruck messen, ich kann Herzschlag messen, ich kann alle möglichen physiologischen Dinge messen. Psychische Gesundheit kann ich nicht messen. Was ich machen kann, ist, in einer Fluggesellschaft ein Umfeld schaffen, indem ich auf der einen Seite die Kollegen ermuntere, offen miteinander umzugehen, die Piloten untereinander, und, ich sage mal, den anderen anzusprechen, wenn es irgendwelche Anzeichen gibt. Ich kann ein Umfeld schaffen, ein vertrauensbildendes Umfeld schaffen, in dem ich es Betroffenen leichter mache, Hilfe zu suchen, die ich im Unternehmen anbiete. Aber wir alle wissen auch: Die Hürde, über eigene psychische Probleme, über eigene Schwierigkeiten zu reden, ist sehr hoch. Untersuchungen helfen da gar nichts.
    Barenberg: ..., sagt der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen heute Mittag.
    Großbongardt: Bitte sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.