Donnerstag, 18. April 2024

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Debatte um Förderung
Welche Festivals braucht das Land?

Deutschland hat mit 1600 Festivals und Festspielen noch nie so viele Events wie heute: Das Künstlerprogramm ist austauschbar geworden, die ersten Großveranstalter verzeichnen Besucherrückgänge. Auch über das Reeperbahn Festival wird diskutiert - erfolgreich: Es hat einen Millionenzuschuss eingesackt.

Von Adalbert Siniawski | 20.09.2018
    Ein Passant schiebt am 20.09.2017 in Hamburg vor dem Theater "Schmidtchen" sein Fahrrad vor dem Logo des Reeperbahn Festivals entlang. Das Festival findet vom 20. bis 23. September 2017 in der Hansestadt statt.
    Jedes Jahr im September findet das Reeperbahn Festival in Hamburg statt (Axel Heimken/dpa)
    "Vielen Dank Southside, wir wünschen Euch noch sehr, sehr viel Spaß."
    Get Well Soon beim Southside Festival.
    "Macht weiter so."
    Get Well Soon beim Haldern Pop.
    "Meine Band findet meine Ansagen so blöd, dass sie immer weiterspielt."
    Und beim Summer’s Tale.
    "Totale Boom-Festivallandschaft"
    Konstantin Gropper ist einer der gefragtesten deutschen Musiker. Wie viele andere tingelt er im Sommer von Festival zu Festival. Das ist gut für die Künstler. Denn Geld verdienen sie heutzutage vor allem mit Konzerten. Doch die Line-ups der deutschen Festivals sind weitgehend austauschbar. Überall dasselbe.
    "Wir haben die letzten Jahre eine totale Boom-Festivallandschaft", sagt Axel Ballreich, Vorstandsmitglied des Deutschen Musikspielstättenverbandes LiveMusikKommission. "Das geht vielleicht eine Zeit lang gut, aber irgendwann wird der Abstand zwischen den Veranstaltungen - der räumliche und zeitliche - zu gering, und dann leiden alle d‘runter."
    Rund 1600 Festivals und Festspiele buhlen pro Jahr um den Platz im Eventkalender. Das allein in Deutschland. Der Markt ist gesättigt. Warum dann noch Festivals fördern, wie es die Politik vom Bund bis zu den Kommunen will?
    Eine Nische bedienen
    "Sicherung der kulturellen Vielfalt", ist ein wichtiger Grund, sagt Ina Keßler, Geschäftsführerin der bundesdeutschen Initiative Musik. "Unter dieser Fahne bekommt das ein oder andere Festival Geld. Weil gesagt wird: Na gut, die bringen nicht die Main-Acts, die Pop-Acts, die 100.000 Leute ganz schnell ziehen. Die bedienen eine Nische, die ansonsten innerhalb der kulturellen Vielfalt nicht mehr sichtbar wäre."
    Vor allem auf dem Land und in den Kleinstädten, wo von Vielfalt keine Rede ist, im Gegensatz zu den etablierten und kommerziellen Events in den Metropolen. Dafür bekam die Initiative Musik von Kulturstaatsministerin Monika Grütters kürzlich zusätzliche 4,2 Millionen Euro in die Fördertöpfe. Daneben gibt es seit wenigen Jahren Initiativen auch auf Länderebene. In Niedersachsen etwa, Bayern und Brandenburg. Doch die wichtigsten Unterstützer in der deutschen Festivallandschaft sind die Kommunen.
    Ina Keßler: "Wenn eine Stadt ein Festival mitfinanziert, was Musiker auf die Bühne bringt, was neue Genres, neue Ideen präsentiert, die sonst nirgendwo zu sehen wären: klasse! Das ist absolut förderwürdig: Das sind strukturelle Maßnahmen, die helfen, multiplikativ zu wirken. Aber einfach irgendein Festival zu fördern, nur weil der Name geil ist oder nur weil die Beziehung gut ist - das muss man kritisch hinterfragen."
    Beim Neustart von Festivals ist aber auch der Austausch von Erfahrungen wichtig, sagt Bernhard Chapligin vom Verband für Popkultur in Bayern: "Auch die juristische Erstberatung - das hilft auch schon mal, wenn man größere Probleme hat. Wir bieten auch Seminare und Workshops, wo es mit Experten in Detail geht, wo es von Versicherung, über GEMA, alle Sicherheitskonzepte geht. Gerade die verstärkten Auflagen, das stellt uns vor Probleme. Und damit können wir schon unterstützen - genauso wie mit einem Netzwerk, das enger zusammenarbeitet und sich enger unterstützt."
    Nachhaltig und ohne Rückzahlung
    Eine gute Förderung? Sie sollte langfristig angelegt sein. Die Festivalmacher sollten das Geld nicht zurückzahlen müssen, sobald sie ein Plus erwirtschaften. Denn wer weiß: Vielleicht brauchen sie das Polster im nächsten Jahr? Und wer die kulturelle Vielfalt mit jährlichen Festivals unterstützen will, sollte auch die Musikklubs nicht vergessen, so Axel Ballreich von der LiveMusikKommission.
    "Jede Veranstaltung hat ihre Berechtigung, sofern sie sich am Markt durchsetzt. Aber wenn der eine stark gefördert ist, während der andere Klub das ganze Jahr kämpft um sein Programm - Probleme haben die hier auch beim Reeperbahn Festival in Hamburg, das ist ja bekannt - dann kann das schon zu Verwerfungen führen. Weil: Wer will jetzt hier in Hamburg ein großes Geschäft machen, in der Woche, wo Reeperbahn Festival ist. Das fällt ihm einfach weg, die Zeit."
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    Hamburg zieht an Köln und Berlin vorbei
    Zumal das Hamburger Megaevent, das nach dem South by Southwest im texanischen Austin zu den weltweit wichtigsten Musikfestivals gehört, gerade noch mehr aufgepumpt wird. Kurz vor Beginn der aktuellen Ausgabe schoss Grütters 3,2 Millionen Euro zu den bisherigen schon zwei Millionen Fördergeldern dazu. Damit zieht Hamburg an der c/o pop in Köln und dem Pop-Kultur Festival in Berlin vorbei. "Wir blicken nicht neidisch zum Reeperbahn Festival", hieß es von den Berlinern. Während die Hamburger Festivalmacher schon träumen davon, künftig für das Musikgeschäft einen ähnlichen Rang einzunehmen, wie die Frankfurter Buchmesse für Literatur und die Berlinale für den Film.
    Aber Geld allein reicht nicht. Es braucht schon ein exklusives Line-up. Musiker Get Well Soon wird auch in Hamburg auftreten. Aber extra für die Hansestadt hat er die Songs seines Albums "Horror" neu arrangiert und wird sie mit Gastmusikern im Hamburger Michel aufführen - darunter: sein Vater, Walter Gropper, an der Kirchenorgel.