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Debatte um Friedrich Merz
"Den großen Reichen, den traut man bei uns nicht"

Ist Friedrich Merz trotz seines Millioneneinkommens geeignet für den CDU-Vorsitz? Ja, findet der Reichtumsforscher Thomas Druyen. Er sagte im Dlf mit Blick auf die Debatte um Merz, in Deutschland gehöre es zur "psychologischen DNA", vermögenden Menschen mit Skepsis zu begegnen.

Thomas Druyen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.11.2018
    Friedrich Merz (CDU) äußert sich bei einer Pressekonferenz zu seiner Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzenden der CDU. Im Hintergrund sind Kameras und Fotografen zu sehen.
    Friedrich Merz verdient beim Vermögensverwalter Blackrock nach eigenen Angaben rund eine Million Euro brutto im Jahr (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Tobias Armbrüster: Friedrich Merz ist einer von drei Kandidaten, die an die CDU-Spitze wollen. Es wird deshalb in diesen Wochen viel gefragt. Heute Abend wird es auch wieder so sein bei einer weiteren Regionalkonferenz der CDU, diesmal in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz. Aber bei Friedrich Merz steht bei allen Interviews, bei allen Fragerunden seit Tagen vor allem sein Einkommen im Vordergrund. Er verdient mehr als eine Million Euro im Jahr. Das hat er inzwischen bestätigt.
    Aber er sagt auch, er fühlt sich noch immer als Mann der Mittelschicht. Viele haben den Eindruck, sein Vermögen, das ist Friedrich Merz irgendwie unangenehm, und andere sehen tatsächlich einen Widerspruch zwischen dem Beruf des Politikers und dem Leben eines Millionärs mit zwei Privatflugzeugen.
    Wir wollen das besprechen mit einem Mann, der sich auskennt mit Reichtum und mit dem, was das mit sich bringt. Am Telefon ist Thomas Druyen, Soziologe und Reichtumsforscher an der Sigmund-Freud-Universität in Wien. Wir erreichen ihn heute Morgen in Düsseldorf. Schönen guten Morgen!
    Thomas Druyen: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Druyen, können Millionäre gute Politiker sein?
    Druyen: Ja. Ich glaube, da gibt es gar keine Frage. Herr Churchill war auch kein armer Mann und viele andere, und man sieht ja, in allen anderen Ländern, nehmen wir einfach nur die USA - da haben wir jetzt gerade den Trump; das ist vielleicht kein gutes Beispiel -, da sind Reiche in der Politik ganz normal. Bloomberg zum Beispiel, Oberbürgermeister von New York damals. Ein wirklicher Milliardär, der würde über Herrn Merz nur müde lächeln bei dessen Einkommen. Das ist nichts Ungewöhnliches.
    Bei uns in Deutschland ist es anders. Wir haben eine andere Tradition. Wir haben eine andere Klientel, die bei uns auch Politik macht. Das hat Jahrzehnte sehr gut funktioniert. Die Frage ist, ob es nicht an der Zeit ist, dass Leute, die in ihrem eigenen Berufsleben extrem erfolgreich sind, nicht auch mal bei uns mitmischen dürfen. Das ist eine Frage, die kann ich nicht beantworten. Die kann nur die Wirklichkeit selbst beantworten. Insofern finde ich es sehr spannend, wie unsere Gesellschaft mit dieser Frage umgeht.
    Einen Hinweis möchte ich von vornherein geben. Herr Merz würde in unserer Vermögensforschung überhaupt nicht als Reicher geführt, weil die fängt bei 30 Millionen an. Das ist vielleicht schon mal ein interessanter Hinweis. Was ist eigentlich reich? Die Frage kann man gar nicht beantworten. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine Definition, die Reichtum definiert. Genau wie Größe, wo man sagt, bei 1,90 ist einer groß. Das wissen wir alle. Das gibt es bei Reichtum nicht.
    "Den ganz großen Reichen, den traut man bei uns nicht"
    Armbrüster: Sie werfen da schon direkt sehr viele Fragen auf, Herr Druyen. Die können wir alle versuchen zu beantworten. Zunächst mal möchte ich gerne auf dieses Phänomen kommen, was Sie beschrieben haben. Woran genau liegt das, dass man, wie Sie das sagen, gerade in Deutschland Probleme hat mit Politikern, die es zu, sagen wir mal, einem gewissen Vermögen gebracht haben?
    Druyen: Ich glaube, da muss man weiter zurückgehen. Ich denke, unser Wirtschaftswunder ist eine tolle Nachkriegsgeschichte, aber sie hat dennoch ihre Ursachen in einer großen Schuld, die das Dritte Reich mit sich gebracht hat, und da waren ja auch große Unternehmungen in irgendeiner Weise mit Rüstungsproduktion gefordert.
    Ich glaube, wir haben versucht, wirklich von vornherein eine mittelschichtsorientierte Gesellschaft aufzubauen, in der es überschaubar ist, in der man erfolgreich ist, aber in dem Sinne auch transparent. Den ganz großen Reichen oder den großen Unternehmern, auf irgendeine Weise traut man ihnen bei uns nicht, was mittlerweile natürlich absurd ist, aber es gehört immer noch ein bisschen in unsere psychologische DNA.
    , Vermögensforscher
    Der Vermögensforscher Thomas Druyen (imago/stock&people)
    Armbrüster: Macht es da einen Unterschied, ob jemand möglicherweise ein Unternehmen selbst gegründet hat und dadurch reich geworden ist, oder ob jemand so wie Friedrich Merz einfach gut bezahlte Posten angenommen hat, oder ob er vielleicht einfach das Geld auch geerbt hat? Wir erinnern uns an Karl-Theodor zu Guttenberg. Das ist auch kein unbedingt armer Politiker gewesen.
    Druyen: Absolut. Die drei Beispiele, die Sie genannt haben, spielen alle eine große Rolle. Dem Unternehmer, der selber etwas geschaffen hat mit eigener Arbeit, mit eigener Hände Arbeit, mit eigener Idee, und das über Jahrzehnte, dem traut man natürlich eine ganz andere Kompetenz zu. Das heißt aber nicht, dass jemand, der zum Beispiel für eine der wichtigsten Vermögensberatungen wie Blackrock gearbeitet hat, der muss eine Kompetenz haben. Der muss außergewöhnlich sein. Der muss absolut über dem Durchschnitt liegen. Sonst würde das überhaupt nicht funktionieren. Bei Erben ist man natürlich besonders kritisch, weil man da unterstellt, die haben es ja gar nicht selbst geleistet.
    Aber vielleicht noch zum zweiten Beispiel ein Hinweis: Blackrock, die verwalten Billionen, also ein unfassbar großes Unternehmen, und da stellt sich natürlich die Frage, gibt es da unter Umständen Verbindungen und Netzwerke, die vielleicht gar nicht zum Vorteil des Landes sind, oder eben doch zum Vorteil. Schwierige Fragen, die keiner ad hoc beantworten kann.
    "Wenn man selber nicht mehr einkaufen geht, dann verliert man natürlich eine bestimmte Nähe"
    Armbrüster: Das ist möglicherweise ein Problem. Das ist natürlich eine kritische Frage, die sich Friedrich Merz in diesen Tagen immer gefallen lassen muss. Die andere lautet ja – und da kommen Sie noch mal als Reichtumsforscher ins Spiel: Kann es sein, dass jemand, der viele Millionen verdient hat, dass der auch irgendwie die Bodenhaftung verloren hat, dass der eigentlich gar nicht mehr weiß, was die allermeisten Menschen in diesem Land an Problemen haben, was sie beschäftigt?
    Druyen: Hier müssen wir aus dem Bereich der Vernunft in den Bereich der Intuition und des Bauches gehen. Wenn man selber nicht mehr einkaufen geht, oder wenn man einmal im Monat einkaufen geht, wenn man sich tatsächlich mit der Problemlage und dem Existenzkampf - ich nenne es noch mal wie früher - des normalen Menschen nicht auskennt, dann verliert man natürlich eine bestimmte Nähe. Keine Frage.
    Aber wenn man sich nur noch aufgrund seines Berufes mit großen Entscheidungen, mit großen Themen, mit internationalen Themen beschäftigt, dann verliert man - Wenn wir sagen Bodenhaftung, dann klingt das, als sei das etwas Schuldhaftes. Aber es ist kein Schuldhaftes; man lebt in einem anderen gedanklichen Milieu, und das ist sicherlich bei Leuten, die solche Positionen besetzen, der Fall.
    Das beste Beispiel: Herr Kaeser von Siemens hat das vor einigen Wochen selbst artikuliert auf die Frage hin, warum er dann ausscheiden will. Er merkt, dass er die Bodenhaftung verliert. Er hat auch Bodenhaftung gesagt. Ich würde sagen, man verliert den Bezug zum realen Leben. Aber bitte, das ist kein charakterlicher Makel. Die Frage ist, ob man dann die Interessen des normalen Menschen wirklich noch angemessen vertreten kann.
    Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
    Armut bei Kindern ist leider auch in einem Land wie Deutschland Realität. (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    "Die Leute, die in prekäreren Situationen leben, werden mehr oder weniger von den politischen Interessen repräsentiert"
    Armbrüster: Genau! Kann es sein, dass diese Leute dann einfach so weit weg sind von, wir reden mal über Hartz-IV-Empfänger, über Menschen, die jeden Morgen ihre Kinder in den Kindergarten bringen müssen, dass sie eigentlich für solche Politikfelder überhaupt nicht mehr geeignet sind?
    Druyen: Schwierige Frage. Soll denn das Thema der Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Problematiken dann von einem Ministerium, was von einem Hartz-IV-Empfänger geleitet wird, umgesetzt werden? Schwierig! Muss man das alles kennen? Ich kann es auch schwer beurteilen.
    Tatsache ist natürlich, dass die Leute, die in prekäreren Situationen leben, mehr oder weniger repräsentiert werden von den politischen Interessen, weil das große Spiel findet auf anderen Ebenen statt. Das ist eine Tragik, die ist aber meiner Ansicht nach nur ganz schwer zu verhindern.
    Armbrüster: Jetzt sagt Friedrich Merz: Ja, er verdient diese Million. Er bekommt sie als Gehalt jedes Jahr. Aber er zählt sich dennoch als Mitglied der deutschen Mittelschicht. Ist das glaubwürdig?
    Druyen: Das ist glaubwürdig. Ich habe ja viele Superreiche interviewen können, weltweit auch, und da muss man einfach feststellen: Bestimmend ist die charakterliche Anlage. Es gibt Leute, die haben Milliarden, die haben aber nie ihr Milieu letztendlich verlassen. Die haben auch ihre Lebenseinstellungen kaum geändert.
    Insofern glaube ich, bei Merz, Arnsberg, dass eine gewisse Kultur, auch eine gewisse Bodenständigkeit, dass man sich von innen so fühlt, auch wenn man mit einem Privatflugzeug fliegt und die Prominenz der Welt kennt. Ich halte das nicht jetzt für eine vorsätzliche Irreführung. Das kann durchaus sein.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das der Soziologe und Reichtumsforscher Thomas Druyen, und wir haben mit ihm gesprochen über Friedrich Merz und die Debatte um sein Vermögen. Vielen Dank, Herr Druyen, für Ihre Zeit.
    Druyen: Okay. Ich hoffe, es war in Ordnung.
    Armbrüster: War es, absolut! Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.