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Debatte um Gauck-Äußerung
"Gegen friedliche Missionen hat niemand was"

Bundespräsident Joachim Gauck stößt mit seiner Forderung nach einer stärkeren Rolle Deutschlands in der Welt auf heftige Kritik. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sagte im Deutschlandfunk, Gauck stolpere derzeit durch die "Geschirrläden der Sicherheits- und Außenpolitik".

Hans-Chrian Ströbele im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.06.2014
    Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen)
    Ströbele: "Gauck setzt Zeichen, um uns daran zu gewöhnen, dass in Zukunft deutsches Militär dabei ist bei der nächsten 'coalition of the willing'." (dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld)
    Dirk-Oliver Heckmann: Vielleicht können Sie sich noch daran erinnern. Bundespräsident Köhler, am 31. Mai 2010 ist er Knall auf Fall zurückgetreten. Auslöser war ein Interview mit dem Deutschlandfunk, in dem er sich dafür ausgesprochen hatte, das Militär auch für die Sicherung von Handelswegen einzusetzen, was grundsätzlich eigentlich gar nicht so strittig ist. Er hatte sich aber so ausgedrückt, dass der Eindruck entstanden war, er wolle mehr Militäreinsätze der Deutschen. Jetzt hat der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck ebenfalls eine Debatte losgetreten, und zwar wieder in einem Interview mit Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, und wieder geht es um die Deutschen und ihre Auslandseinsätze.
    Zum Thema begrüße ich Hans-Christian Ströbele, den Bündnis-Grünen. Er sitzt im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten tag, Herr Ströbele.
    Hans-Christian Ströbele: Ja guten Tag!
    Heckmann: Heftige Kritik gibt es also an den Äußerungen von Bundespräsident Gauck. Jan van Aken von den Linken verortet ihn irgendwo zwischen Feldherrn und Weltpolizisten. Man könnte auch sagen, er sieht ihn als Kriegstreiber. Sie auch?
    Ströbele: Nein, Kriegstreiber wäre übertrieben. Aber ich sehe auch, dass Herr Gauck so ein bisschen durch die, muss man ja sagen, Geschirrläden der Sicherheits- und Außenpolitik stolpert. Er hat ja auf der Münchner Sicherheitskonferenz – das haben Sie erwähnt – eine größere Rolle Deutschlands angemahnt. Jetzt wird es konkreter: Er meint ganz offensichtlich ein stärkeres militärisches Engagement, also militärisches Eingreifen. Er sagt nicht, in welchen Fällen in der Vergangenheit Zurückhaltung geübt worden ist, die er jetzt nicht mehr am Platze sieht, und in welchen Fällen in Zukunft oder vielleicht sogar in der Gegenwart Militär eingesetzt werden solle.
    Heckmann: Das wäre vielleicht auch ein bisschen viel verlangt bei dem Bundespräsidenten, wenn er da konkrete Stellung zu nehmen sollte. Er spricht ja von einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen in größerem Rahmen. Das können ja auch friedliche Missionen beispielsweise sein. Und außerdem hat er doch im Prinzip ...
    Ströbele: Gegen friedliche Missionen hat ja niemand was, sondern es kommt darauf an, dass der Bundespräsident so ähnlich wie der Herr Köhler – darüber ist der damals ja gestolpert – einfach Signale setzt, dass wir uns daran gewöhnen sollen, dass Deutschland eine andere Rolle, eben auch eine militärische Rolle spielt. Über die Frage ziviler Konfliktbewältigung, mit Diplomatie, mit allen möglichen zivilen Mitteln, da streitet doch überhaupt keiner, sondern er macht das ganz bewusst und sehr unbestimmt, damit es nicht angreifbar ist. Aber gerade in einer Situation, wo wir erleben, was ein Militäreinsatz, ein Krieg gebracht hat gegen einen Despoten im Irak, wo stehen wir da heute, nach so vielen Jahren Bürgerkrieg und Zehntausenden von Toten jetzt zu sagen, wir müssen da in Zukunft auch militärisch dabei sein, wobei er ja nicht mal sagt, an welcher Seite sollen wir da stehen. Spielt die UNO da überhaupt noch eine Rolle?
    Heckmann: Aber, Herr Ströbele - Pardon, wenn ich da einhake -, im Prinzip sind das doch Selbstverständlichkeiten, die der Bundespräsident da angesprochen hat, denn dass Deutschland Verantwortung übernehmen muss und ja schon seit Jahren ja auch bereits übernommen hat, auch militärisch, auch mithilfe der Grünen, also Ihrer Partei, das ist nun schon seit Jahren der Fall. Ich nenne nur mal die Stichworte Kosovo und Afghanistan.
    Ströbele: Ja, daraus sollten wir lernen, was daraus geworden ist. In Afghanistan sind wir jetzt 13 Jahre im Krieg und es gibt, glaube ich, nur noch ganz wenige, die sagen, das war richtig.
    Wenn damals der Bundeskanzler Schröder gesagt hätte, das dauert über zwölf Jahre, dann hätte er wohl keine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommen. Und beim Irak-Krieg sehen wir noch mal ganz, ganz dramatisch, wozu das führt. Der Bundespräsident behauptet auch, wir stehen an der Seite der Unterdrückten und wir kämpfen um die Menschenrechte. Aber wo sind wir, wenn es um Saudi-Arabien, wenn es um Bahrein geht, wenn es um Katar geht? Fragen Sie mal die unterdrückten Frauen in Saudi-Arabien oder die Arbeitssklaven in Katar, ob wir an ihrer Seite stehen und wie sie das fühlen? Wir liefern da Waffen hin. Das ist alles sehr wenig überlegt, aber ich fürchte, es ist gezielt.
    "Falsch daran ist, dass wir woanders ansetzen müssen"
    Heckmann: Herr Ströbele, ich möchte noch mal genau zitieren, was Joachim Gauck gesagt hat. Er hatte gesagt hier im Deutschlandfunk und in Deutschlandradio Kultur, wir bräuchten international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, stoppen, und dann ist als letztes Mittel, also als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggressionen erforderlich und deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen - so Joachim Gauck. Was daran ist falsch?
    Ströbele: Falsch daran ist, dass wir woanders ansetzen müssen, dass wir sagen müssen, wir dürfen uns mit Despoten nicht gemein machen. Wir dürfen sie nicht, solange sie sicher im Sattel zu sitzen scheinen, unterstützen, wie das in Nordafrika gewesen ist, wie das bei Saddam Hussein gewesen ist, wie das bei Gaddafi gewesen ist. Wir dürfen sie nicht hofieren, wir dürfen sie nicht mit militärischem Know-how und Waffen ausrüsten. Da muss man ansetzen, aber nicht sagen, wir machen das alles so weiter, oder dazu sagt er ja nichts, sondern wir greifen dann anschließend zu militärischen Mitteln. Es ist doch absurd, was wir jetzt erleben. Wir standen vor einem Jahr kurz vorm Krieg gegen den Iran und jetzt wird überlegt, dass man den Iran zum Verbündeten macht im Irak.
    Das ist eine inkonsequente Politik, die da betrieben wird, und das ist die falsche Politik, und Herr Gauck legt sich ja nicht fest, sondern Herr Gauck setzt Zeichen, um uns daran zu gewöhnen, dass in Zukunft deutsches Militär dabei ist bei der nächsten "coalition of the willing".
    Heckmann: Ich halte fest, Herr Ströbele: Sie werfen dem Bundespräsidenten vor, einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik Vorschub zu leisten. Ist aus Ihrer Sicht deshalb Joachim Gauck noch der richtige Präsident? Er wurde ja auch mit Ihren Stimmen gewählt.
    Ströbele: Mit meiner Stimme ist er nicht gewählt worden.
    Heckmann: Der Grünen.
    Ströbele: Ich will die Kollegen nicht kritisieren, aber ich fühle gerade nach vielen Äußerungen – das sind ja nicht nur diese beiden Äußerungen von Herrn Gauck zum militärischen Engagement Deutschlands – meine Entscheidung als begründet und gerechtfertigt.
    Heckmann: Hans-Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Ströbele, danke Ihnen für das Gespräch!
    Ströbele: Auf Wiedersehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.