Mittwoch, 17. April 2024

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Debatte um Gewalt bei G20
"Es ist kein persönliches Problem von Olaf Scholz"

SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel hat die Einschätzung der Sicherheitslage im Vorfeld des G20-Gipfels durch Behörden und Sicherheitskräfte verteidigt. Mit dem Ausmaß der Gewalt habe man nicht rechnen können, sagte er im Dlf. Rücktrittsforderungen an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete er als "Frechheit".

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Jasper Barenberg | 10.07.2017
    Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, spricht am 15.12.2015 im Hessischen Landtag in Wiesbaden (Hessen) mit einem Abgeordneten.
    Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, spricht am 15.12.2015 im Hessischen Landtag in Wiesbaden (Hessen) mit einem Abgeordneten. (dpa / picture alliance / Alexander Heinl)
    Jasper Barenberg: Politisch kam es wie erwartet beim G20-Gipfel: Uneinigkeit im Klimaschutz, Streit über Handel, Zurückhaltung gegenüber mehr Hilfen für Afrika. Die Bundeskanzlerin hatte ihre liebe Not, die 20 Staats- und Regierungschefs auf gemeinsame Entscheidungen festzulegen. Zähe Verhandlungen also und durchaus als durchwachsen beobachtete Ergebnisse in den Hamburger Messehallen, während draußen Vermummte in einigen Vierteln eine Spur der Verwüstung hinterlassen. – Am Telefon ist der stellvertretende SPD-Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel. Schönen guten Morgen.
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Einen wunderschönen guten Morgen.
    Barenberg: Wie konnte Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz die Gefahr durch die gewaltbereiten G20-Gegner so unterschätzen?
    Schäfer-Gümbel: Der Sicherheitseinschätzung unterliegen ja verschiedene Einschätzungen der Sicherheitsbehörden. Die Einschätzung von Olaf Scholz ist das Ergebnis auch dieser Einschätzungen. Womit offensichtlich niemand gerechnet hat, war die wirklich rohe und sinnfreie Gewaltorgie, die offensichtlich militante Autonome durchgesetzt haben, und die Bilder beispielsweise aus der Aufklärung der Polizeihubschrauber in der Schanzenstraße von Samstagabend sprechen ja nun leider eine wirklich eindeutige Sprache.
    "Viele Attacken wurden eingedämmt"
    Barenberg: Aber weil das auch im Vorfeld schon bekannt war, auch dem Ersten Bürgermeister von Hamburg, ist es doch verwunderlich – Sie kennen diese Zitate, sie werden jetzt immer wieder wiederholt – von Olaf Scholz im Vorfeld, zum Beispiel das: "Seien Sie unbesorgt. Wir können die Sicherheit garantieren und wir werden Gewalttaten und unfriedliche Kundgebungsverläufe unterbinden." Da ist viel schiefgelaufen, oder nicht?
    Schäfer-Gümbel: Es ist viel schiefgelaufen und die Sicherheitsbehörden und auch Olaf Scholz haben sehr klar gesagt, dass man von dieser Aggressivität, Rücksichtslosigkeit und Sinnfreiheit überrascht war. Man war natürlich darauf eingestellt, sonst hätte man nicht 20.000 Polizeikräfte zusammengezogen, darauf eingestellt, dass es militante Autonome gab. Viele Attacken wurden ja auch eingedämmt. Aber dass dann insbesondere in dem Bereich der Schanzenstraße am Samstagabend die Gewalt in dieser Art und Weise eskalierte, dass Autonome bewusst in Kauf nehmen, durch das Werfen von Molotowcocktails, von Bechern, von Bodenplatten und allem mehr, dass Menschen zu Tode kommen, das ist schon etwas, was man in dieser Form nicht erwartet hat, und das wird sicherlich für zukünftige Einsatzlagen eine größere Rolle spielen.
    "Jens Spahn ist ein unanständiger Provokateur"
    Barenberg: Es gibt Rücktrittsforderungen, Sie wissen das, zum Beispiel von der CDU in Hamburg. In welcher Form sollte Olaf Scholz jetzt Verantwortung dafür übernehmen, dass es, wie er selbst ja gesagt hat, nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben?
    Schäfer-Gümbel: Erst mal: Es ist kein persönliches Problem von Olaf Scholz, sondern es gab Einschätzungen, durchgängig, die zu einem Lagebild geführt haben, die dazu geführt haben, dass man 20.000 Polizeikräfte zusammengezogen hat, wo vieles richtig gelaufen ist und gut gelaufen ist, und es aber auf der anderen Seite Exzesse gegeben hat, die man so nicht abgesehen hat. Olaf Scholz wird am Mittwoch, wenn ich das richtig verstanden habe gestern, eine Regierungserklärung abgeben - und jeder, der ihn kennt, weiß, dass ihn das sehr beschäftigt -, dass er dazu Stellung nehmen wird. Für Rücktrittsforderungen muss ich gestehen, habe ich null komma null Verständnis. Ich finde es geradezu infam, wie im Moment versucht wird, parteipolitisches Kapital aus dieser Situation zu schlagen.
    Ich will daran erinnern: Wir hatten vor anderthalb Jahren eine Situation in Frankfurt bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank, wo es auch zu schwersten Krawallen gekommen ist, wo wir über 120 verletzte Polizeibeamte hatten, in der Spitze ein Einsatzfahrzeug angezündet wurde, wo noch Beamte im Fahrzeug saßen. Auch dort gab es sicherlich falsche Einschätzungen zu dem, was dort passiert ist. Wir haben als hessische SPD damals nicht versucht, mit kleiner politischer Münze der Landesregierung und dem hessischen Innenminister und Ministerpräsidenten von der CDU irgendwie an den Karren zu flicken, sondern wir haben versucht, gemeinsam daraus zu lernen, wie gehen wir mit dieser sinnfreien Gewalt von einigen tausend in Europa um. Deswegen ist die Einführung einer entsprechenden Datei, in der solche Leute registriert werden, damit wir Kontrollen verbessern können, sicherlich sinnvoll. Das sind die Maßnahmen, über die wir reden. Der Versuch, jetzt das Olaf Scholz in Person in die Schuhe zu schieben, den finde ich wirklich infam, eine absolute Frechheit, angesichts der Gesamtsituation. Und dass ausgerechnet jemand wie Herr Spahn da wirklich versucht, in den letzten Tagen die SPD in Gewaltnähe zu rücken, das ist wirklich unsäglich. Und es ist wie immer: Er ist ein unanständiger Provokateur an solchen Stellen und versucht, immer nach demselben Schema, der Klemmer ist für die Bundeskanzlerin: Für alles Schlechte auf dieser Welt sind immer andere verantwortlich.
    "Die Geschädigten müssen entschädigt werden"
    Barenberg: Jens Spahn – Sie meinen das Präsidiumsmitglied der CDU, der sich über Twitter vor allem geäußert hat in den vergangenen Tagen. – Aber noch mal zurück zu den vollmundigen Versprechen von Olaf Scholz. Ein Wort der Selbstkritik aus Ihrer Sicht auch fehl am Platze?
    Schäfer-Gümbel: Olaf Scholz hat in den letzten zwei Tagen häufiger gesagt, wie sehr ihn das beschäftigt und dass man nicht damit gerechnet hat. Ich erlebe ihn selbstkritisch, überrascht und auch betroffen, angesichts dieser sinnfreien Gewalt, die wir dort erlebt haben. Ich kenne ihn ja nun auch lange und wir reden ja auch oft und wir haben auch gerade in den letzten Tagen vor dem G20-Gipfel über die Sicherheitslage miteinander geredet, weil er sehr wohl weiß, dass wenn wir dort Polizistinnen und Polizisten in einen Einsatz schicken, dass die Beamten ihren Kopf und ihre Gesundheit dafür hinhalten, die Regeln durchzusetzen, die wir uns gemeinsam als Gesellschaft gegeben haben. Deswegen hat ihn das sehr betroffen, mit welcher Gewaltorgie dort einige dagegen vorgegangen sind, und deswegen war es auch richtig, dass in der Schanzenstraße zunächst diese Gefährdungssituationen geräumt wurden und gelöst wurden, bevor man dann versucht hat, die Barrikaden abzuräumen.
    Barenberg: Muss es nicht gerade die SPD besonders schmerzen, oder Sie als Sozialdemokraten, sage ich mal, dass es den 21.000 Polizisten gelungen ist, die Staats- und Regierungschefs zu schützen und ihre Delegationen, aber eben nicht die Bürger der Stadt?
    Schäfer-Gümbel: Die Bürger der Stadt – der Sicherheitsauftrag gilt für alle unterschiedslos. Und dass das eine besondere Situation ist, wenn man auf der einen Seite 20 Staats- und Regierungschefs mit 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat und auf der anderen Seite die Gesamtstadt im Blick hat, und wir es dann mit hoch mobilen, kleinen autonomen Gruppen zu tun hatten, die teilweise paramilitärisch agiert haben, dass das nicht an allen Stellen sicherzustellen war, das haben, glaube ich, jetzt alle schmerzvoll gesehen. Ich kann es nur noch mal wiederholen: Es gab ein Stück weit auf einem etwas niedrigeren Level aber auch in Frankfurt eine ähnliche Situation, wie dort Autonome agiert haben. Und natürlich betrübt das, und das hat Olaf Scholz in den letzten Stunden auch mehr als einmal zum Ausdruck gebracht. Das kann uns nicht egal sein, ist es uns auch nicht, und deswegen ist es auch richtig, dass Olaf Scholz sehr schnell gesagt hat, die Geschädigten müssen jetzt auch in einer Gesamtverantwortung des Staates entschädigt werden, weil es nicht sein kann, dass diejenigen jetzt auf den Kosten sitzen bleiben.
    "Gewalt ist niemals ein Mittel der Politik"
    Barenberg: Herr Schäfer-Gümbel, mit der Gewerkschaft der Polizei zusammen verlangen auch Sie ein konsequenteres Vorgehen der Politik gegen Linksextremisten. So habe ich Sie jedenfalls verstanden. Gehört auch dazu, dass man autonome Zentren wie die Rote Flora in Hamburg schließen muss?
    Schäfer-Gümbel: Das kann ich von hieraus nicht beurteilen. Da bitte ich um Verständnis. Dass man sich jedes dieser Zentren angucken muss, das ist völlig richtig. Ich will auch darauf hinweisen – es gibt ja die ersten, die jetzt einen Untersuchungsausschuss fordern -, dass man sich auch sehr genau angucken muss, wer hat im Umfeld und im Vorfeld logistische Hilfe geleistet dafür, dass das möglich war, was dort am Wochenende stattgefunden hat. Das sind keine spontanen Exzesse gewesen, sondern ist teilweise offensichtlich intensivst vorbereitet gewesen. Auch das ist etwas, was wir teilweise schon aus der Frankfurter Situation gekannt haben. Deswegen war ja auch die Polizei vor Ort in Hamburg in den letzten Wochen sehr intensiv in der Aufklärung unterwegs. Das heißt, man muss sich das in jedem Einzelfall angucken. Wir müssen einen Blick darauf nehmen, wer sind die Unterstützer, wo ist die Logistik, wie kann das überhaupt stattfinden. Das muss alles in den Blick genommen werden und dann im Einzelfall entschieden werden, zu welchen Konsequenzen wir es führen. Aber dulden können wir das auf keinen Fall, wenn informelle Strukturen solche Attacken unterstützen.
    Barenberg: Politiker der Union, aber auch der FDP beklagen jetzt eine falsche Liberalität in der Vergangenheit gegenüber solchen Milieus. Würden Sie das unterstützen? Hat die Linke auch ein Gewaltproblem?
    Schäfer-Gümbel: Ganz sicherlich, wenn ich mir den einen oder anderen Akteur der letzten Tage auch anhöre, muss man schon fragen, ob die eigentlich klar sortiert sind. Und auch das ist kein ganz neuer Umstand. Ich kann nur noch einmal zurückspringen auf Herrn Spahn, der ja nun wiederum versucht hat, in den letzten Stunden das in unsere Richtung zu drehen, was ich wirklich unanständig wie selten etwas gefunden habe. Und ich kann auch da nur noch einmal auf die hessische und Frankfurter Situation verweisen, wo die klarste Positionierung, gerade auch die der Sozialdemokratischen Partei war, angesichts der Umstände, die wir dort erlebt haben, Gewalt ist niemals ein Mittel der Politik. Und ich will das ausdrücklich sagen: Ich teile auch die Unterscheidung, die mancher macht, nach dem Motto, Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen, diese Unterscheidung teile ich überhaupt nicht. Gewalt ist niemals ein Mittel der Politik.
    Barenberg: … sagt der Parteivize der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, hier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch.
    Schäfer-Gümbel: Ich mich auch. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.