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Debatte um "Mein Kampf" in Frankreich

Das Urheberrecht für "Mein Kampf" liegt seit 1945 beim bayerischen Finanzministerium. Und das hat den Nachdruck im In- und Ausland verboten. Nun fragen sich viele, was geschehen wird, wenn 2015 das Urheberrecht ausläuft, 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Darüber debattieren in Paris nun Juristen, Historiker und Verleger.

Von Bettina Kaps | 19.10.2011
    Kein Verbot und keine Zensur. Mit diesem Leitmotiv hat die "Initiative zur Vorbeugung gegen Hass" in Paris die Arbeit aufgenommen. Potentielle Leser von Hitlers "Mein Kampf" sollen vielmehr aufgeklärt und gewarnt werden, sagt der Gründer der Organisation, Philippe Coen.
    Der Jurist will verhindern, dass sich in Europa wiederholt, was mit der Propagandaschrift in Japan geschehen ist. Ein Artikel in der Tageszeitung "Libération" hat Philippe Coen alarmiert.

    "In dem Artikel hieß es, dass "Mein Kampf" in Japan als Manga veröffentlicht wird und dass es ein Bestseller sei. Ich erfuhr auch, dass dabei die Urheberrechte verletzt wurden. Das versetzte mir einen dreifachen Schock: Zu wissen, dass sich Kinder für diesen Text begeistern können, dass es ein Urheberrecht gibt, welches in Bayern liegt, und dass dieses bald auslaufen wird."

    Coen wurde aktiv. Inzwischen ist es ihm gelungen, namhafte Juristen, Historiker und Verleger für sein Projekt zu gewinnen. Ihr Ziel: "Mein Kampf" soll in einer wissenschaftlich und pädagogisch kommentierten Ausgabe mit historischer Einführung in mehreren Sprachen neu aufgelegt werden. Dadurch würde das Buch endlich wie ein normales historisches Dokument behandelt werden, sagt Coen.

    "Wir wollen alle Herausgeber und insbesondere die Internetbetreiber sensibilisieren. Wir wünschen uns, dass es zu einer Markierung kommt: Die kommentierten Ausgaben von Mein Kampf sollen positiv gekennzeichnet werden. Außerdem wollen wir eine Art Gütezeichen für hassfreie Internet-Websites schaffen, in der Hoffnung, dass möglichste viele Betreiber sich ein solches Label holen werden. Das wäre dann eine Option für sie, ohne dass Zensur ausgeübt würde."

    Philippe Coen will zudem eine Beobachtungsstelle "zur Vorbeugung gegen Hass" schaffen. Diese neue Institution soll Wege aufzeigen, wie man in Zukunft mit Texten umgeht, die zu Hass und Gewalt aufrufen. Der Jurist wünscht sich, dass seine Initiative in Europa und darüber hinaus weltweit Unterstützung findet. Erste Kontakte hat er schon geknüpft: So hat die ehemalige spanische Außenministerin Ana Palacio seinen Aufruf unterzeichnet. Mit der deutschen Edith Raim konnte er für die Konferenz auch eine Historikerin des namhaften Münchner Instituts für Zeitgeschichte gewinnen.

    "Es ist niemandem geholfen, wenn man dieses Buch unter den Teppich kehrt. Weil: Je mehr man da herum geheimnist, und es mit einer Aura des Bösen umgibt, umso interessanter wird es dann auch. Wenn man dagegen eine wissenschaftliche Edition hat, wo man Hitler in seiner völkisches Umfeld einbettet, kann man viel von dieser Aura auflösen."

    Raim arbeitet seit einem Jahr an einer solchen wissenschaftlichen Edition von "Mein Kampf". Bislang ist aber nicht sicher, ob das Institut für Zeitgeschichte das Werk überhaupt veröffentlichen darf, weil es als Hassschrift in Deutschland auch nach 2015 noch verboten werden kann.

    In Frankreich wurde "Mein Kampf" schon 1934 übersetzt und publiziert – allerdings ohne eine Genehmigung. Der Verleger Fernand Sorlot wollte die Franzosen vor Hitlers Kriegsabsichten warnen, denn in "Mein Kampf" wird Frankreich besonders scharf attackiert. Hitler klagte wegen Verletzung des Urheberrechts – und gewann den Prozess: Die Übersetzung wurde verboten.

    Seit Kriegsende ist die Übersetzung erneut im Handel. 1979 reichte die französische Liga für Menschenrechte Klage ein. Die Richter urteilten, das Werk könne aufgrund seines historischen und dokumentarischen Interesses nicht verboten werden. Sie verpflichteten den Verlag jedoch, eine acht Seiten lange Warnung voranzustellen, in der die Verbrechen des Dritten Reichs zusammengefasst werden. Heute werden in Frankreich etwa 1.500 Exemplare pro Jahr verkauft, zum Preis von 36 Euro. Das ist viel, schließlich kann man das Buch im Internet kostenlos lesen, und ohne Warnung.

    Marc Mossé ist Justiziar von Microsoft Frankreich. Er fühlt sich in die Verantwortung genommen und will sich daher in der neuen "Beobachtungsstelle zur Vorbeugung gegen Hass" engagieren.

    "Die Fragen, die wir hier aufwerfen, sind überaus wichtig. Es wird sehr kompliziert sein, Lösungen zu finden, aber ich finde es absolut notwendig, dass Internetprovider und Seitenanbieter sich an diesen Überlegungen beteiligen, damit wir eine brauchbare Antwort finden."