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Debatte um Mindestlohn
"Plädieren für Altersgrenze von 25 Jahren"

Jugendliche sollten ausgebildet werden und nicht in Helferjobs landen, sagte der Vorsitzende des Zentralverbandes des deutschen Handwerks Hans Peter Wollseifer im Deutschlandfunk. Man fordere daher die Anhebung der Altersgrenze von 18 auf 25 Jahre.

Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Bettina Klein | 20.03.2014
    Bettina Klein: Andrea Nahles, die Bundesarbeitsministerin, meldete gestern Vollzug. Der Mindestlohn kommt, und zwar nur mit wenigen Ausnahmen, die wir gerade gehört haben, und ohne weitreichende Sonderregelungen. Doch auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks hatte sich mehr Ausnahmen beim Mindestlohn gewünscht, und den Präsidenten begrüße ich am Telefon. Guten Morgen, Hans Peter Wollseifer.
    Hans Peter Wollseifer: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wie unglücklich sind Sie damit jetzt?
    Wollseifer: Ja, wir sind nicht glücklich. Wir können auch nicht glücklich sein. Um das klarzustellen: Das Handwerk ist für Mindestlöhne, aber für tarifliche Mindestlöhne. Wir wollen eine Tarifautonomie behalten, die wir hatten. Wir wollen auch die Berücksichtigung der Branchenunterschiede und der regionalen Unterschiede. Und dazu gibt es natürlich dann auch noch Dinge, die wir am Mindestlohn nicht gut finden. Das ist natürlich einerseits das Alter 18 Jahre, die Ausnahmegrenze für junge Leute. Da sagen wir, diese Grenze, die ist viel zu niedrig. Wir plädieren für 25 Jahre, weil man muss wissen: Die jungen Leute, die heute in eine Ausbildung kommen, die sind über 18 Jahre alt in der Regel, und es kann nicht sein, dass ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro mit der Ausbildung konkurriert. Das wollen wir nicht. Wir wollen die jungen Leute ausbilden.
    Klein: Aber das sind Vermutungen Ihrerseits jetzt, dass sich Jugendliche tatsächlich für einen Job mit Mindestlohn eher entscheiden als für eine Ausbildung?
    Wollseifer: Ach schauen Sie, da braucht man nur zu rechnen. Wenn man rechnet, 170 Stunden im Monat mal 8,50, dann kommt man fast bei 1500 Euro brutto raus. Das ist für manch einen Jugendlichen ohne beruflichen Abschluss oder ohne akademischen Abschluss sicher auch zumindest für eine Zeit reizvoll. Und ich glaube dann schon, dass einige Jugendliche sich davon dann anziehen lassen. Aber das ist ein falscher Anreiz, sagen wir. Das ist ein vergifteter Köder, denn das sind die Ersten, die nachher arbeitslos werden, wenn die Konjunktur etwas schlechter wird. Das wollen wir nicht, wir wollen sie ausbilden.
    Klein: Aber unterschätzen Sie da nicht vielleicht junge Leute, die schon klug genug sind zu wissen, dass eine Ausbildung ein Fundament ist für ihr weiteres Leben?
    Wollseifer: Ja, das hoffen wir, dass die das denken, und sie sind auch herzlich willkommen im Handwerk.
    Klein: Welche Branchen sind denn jetzt besonders betroffen vom Mindestlohn, wenn Sie sagen, dass Sie auch immer noch grundsätzliche Bedenken dagegen haben?
    Wollseifer: Grundsätzliche Bedenken haben wir, weil wir ja doch eine Tarifautonomie haben und diese Tarifautonomie auch behalten wollen. Die Tarifautonomie haben wir dann, wenn wir starke Tarifpartner haben, starke Sozialpartner, die die Tariflöhne miteinander verhandeln, weil das sind die Fachleute, die kennen sich aus, die kennen die regionalen Unterschiede. Schauen Sie: Die Lebenshaltungskosten in Frankfurt/Oder und Frankfurt am Main sind grundsätzlich unterschiedlich. Das muss berücksichtigt werden. Andererseits haben verschiedene Branchen auch unterschiedliche Wertschöpfungen. Zum Beispiel Bau hat eine andere Wertschöpfung als zum Beispiel Friseure. Das sollte man berücksichtigen. Dafür haben wir die Fachleute auf beiden Seiten, bei den Gewerkschaften und bei den Arbeitgeberverbänden. Die sollten das dann auch wie bisher weiter fortführen.
    Klein: Aber so wird es ja nicht kommen.
    Wollseifer: So wird es nicht kommen. Wir haben aber die Hoffnung, dass im parlamentarischen Prozess sich noch etwas verändert, und wir wollen mal sehen, ob das dann auch umgesetzt wird.
    Wollseifer: Langzeitarbeitslose qualifiziert weiterbilden
    Klein: Aha. Bekommen Sie denn Signale von etwa der CDU? Aus dieser Partei haben sich ja einige Politiker auch durchaus für mehr Ausnahmen ausgesprochen. Bekommen Sie Signale, dass man versucht, jetzt doch noch mehr durchzudrücken als das, was die SPD hier vorgeschlagen hat und auch in diesem Kompromiss ausgehandelt hat?
    Wollseifer: Ja, wir bekommen Signale aus der Politik und wir sind da sehr zuversichtlich. Wir brauchen eine Altersgrenze bei den Jugendlichen bis 25 Jahre. Das ist unser Standpunkt. Wir brauchen aber auch bei den Langzeitarbeitslosen nicht das halbe Jahr an Übergangsfrist. Wir brauchen ein ganzes Jahr an Übergangsfrist, damit wir wirklich Langzeitarbeitslose in unsere Betriebe, in den Arbeitsprozess integrieren können. Wir wollen sie qualifiziert weiterbilden, auch das ist wichtig, nicht nur in die Betriebe nehmen, sondern auch weiterbilden, damit sie auch eine berufliche Perspektive in der Zukunft haben. Und die brauchen individuelle Betreuung, und das kann man nicht einfach in sechs Monaten machen. Da braucht man schon ein Jahr für und da sollte man den Betrieben und den Menschen, die in die Betriebe kommen, dann auch die Zeit lassen.
    Klein: Wenn ich jetzt Ihre Worte richtig interpretiere, Herr Wollseifer, und das, was Sie auch gerade von Signalen aus der Politik beschrieben haben, dann wird das, was wir jetzt bekommen haben, worüber sich viele Menschen in Deutschland freuen, worüber die SPD auch sehr froh ist, nämlich Mindestlohn wirklich ab 18 Jahre und nur wenige Ausnahmen dabei, nicht der letzte Stand sein, und am Ende, verstehe ich richtig, rechnen Sie damit, dass der doch erst ab 25 Jahre losgehen wird, weil sich die CDU noch durchsetzen wird?
    Wollseifer: Wir hoffen das, ja.
    Klein: Das sind aber Hoffnungen und die Signale sind wiederum auch nicht so stark, dass man davon ausgehen kann, dass das so kommt?
    Wollseifer: Wollen wir es abwarten, Frau Klein.
    Klein: Dennoch bleibt es ja dabei, das sind grundsätzliche Argumente der Debatte aus den vergangenen Jahren, die wir hier geführt haben, die Sie gerade noch mal angeführt haben. Deutschland bleibt auch weiterhin nach Litauen wohl das Land mit dem größten Niedriglohn-Sektor in Europa. Jeder vierte deutsche Arbeitnehmer wird weiter auch künftig Niedriglöhner sein. Es ist doch vollkommen richtig, dass die Politik sich dagegen wendet und versucht, das zu verändern.
    Wollseifer: Frau Klein, wir müssen da die richtige Sichtweise anwenden. Das Handwerk ist, glaube ich, die Wirtschaftsgruppe mit der meisten Erfahrung beim Mindestlohn. Wir haben ja in sehr vielen Branchen Mindestlöhne und wir haben auch weitaus höhere Mindestlöhne. Zum Beispiel in meinem Betrieb, da habe ich den Mindestlohn von 11,10 im Moment. In manchen Baubranchen haben wir Mindestlöhne über 12 Euro. Also da sollte man doch die richtige Sichtweise anwenden.
    Klein: Aber es gibt auch viele andere Beispiele, wo es deutlich darunter liegt, viele andere Branchen.
    Wollseifer: Ja, sicher. Wir haben natürlich ein Spektrum, und das liegt dann auch an der Wertschöpfung der einzelnen Branchen. Da haben Sie recht.
    Klein: Und soweit die Argumente richtig sind, die Gewerkschaften zum Beispiel anführen, und die Studien, die sie vorlegen, stimmt es ja eben auch nicht, dass die Arbeitsplätze tatsächlich gefährdet wären. Man kommt da offenbar zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Wirkung angeht, und das Argument, man vernichtet damit Arbeitsplätze oder zwingt Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit, ist ja demnach auch nicht erwiesen.
    Wollseifer: Man muss sich die Wettbewerbsfähigkeit mal anschauen der Betriebe. Die ist natürlich höchst unterschiedlich. Die ist branchenmäßig unterschiedlich, die ist regional unterschiedlich und darauf kommt es an. Ich könnte mir vorstellen, dass es in wirtschaftsschwachen Regionen in unserem Land schon zu einem Problem kommen kann. Aber das wollen wir mal nicht in den Vordergrund stellen. Uns ist zunächst mal wichtig, dass wir junge Leute in die Ausbildung bekommen und nicht in Helferjobs, weil wir wollen qualifizierte Jugendliche haben, die dann auch eine Berufsperspektive haben, die sich eine Existenz aufbauen können. Wir wollen Facharbeiter in die Betriebe haben. Deshalb wollen wir bei den Langzeitarbeitslosen auch ein Jahr und nicht ein halbes Jahr.
    Klein: Und wir werden abwarten, ob diese Änderungen tatsächlich sich noch im Gesetz dann wiederfinden werden, wie offenbar auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks hofft. Das war der Präsident, Hans Peter Wollseifer, heute Morgen hier im Deutschlandfunk zur neu gefundenen Regelung beim Mindestlohn. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Wollseifer: Ja danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.