Donnerstag, 28. März 2024

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Debatte um öffentlich-rechtlichen Rundfunk
"Viele Kollegen bei ARD und ZDF denken ähnlich"

"Warum die öffentlich-rechtlichen Sender und die Verlage mehr gemeinsame Interessen als Konflikte haben", schreibt Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue im aktuellen "Spiegel". Ein Gespräch über seine Beweggründe für den Debattenbeitrag und die Reaktionen darauf.

Stefan Raue im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 13.11.2017
    Porträtfoto von Stefan Raue, Intendant Deutschlandradio
    Stefan Raue (© Deutschlandradio/ C. Kruppa)
    Stefan Koldehoff: Wir machen Radio in bewegten Zeiten: Wer in den vergangenen Monaten Zeitung gelesen oder @mediasres gehört hat, dem kann das nicht entgangen sein. In der Politik wird gerade beraten, was öffentlich-rechtliche Sender künftig noch dürfen. Nicht mehr allzu viel, fordern in diese Richtung seit Längerem schon vor allem die privaten Zeitungsverleger - und bedienen sich dabei eines Vokabulars, um auch uns, den "Deutschlandfunk" zu charakterisieren, das jedenfalls nicht aus der allerobersten Sprachschublade stammt: "aufgeblasen" seien wir, "unnütz", "bürokratisch", "träge", "überaltert", "überflüssig" - Staatsfunk à la Nordkorea. Die Redakteursausschüsse der Sender haben sich dagegen bereits verwahrt. Und nun ist am Samstag im "Spiegel" ein zwei Seiten langer Text des Deutschlandfunk-Intendanten Stefan Raue erschienen, der sich als erster Chef eines öffentlich-rechtlichen Senders dazu sehr öffentlich und sehr klar äußert. Warum, habe ich ihn heute Mittag gefragt.
    Stefan Raue: Ja, weil mich zunächst mal stört, nicht der Streit stört mich, sondern dass der Streit so ohne Dialog stattfindet, dass beide Seiten lustig vor sich hin ballern. Jetzt, als Öffentlich-Rechtlicher sage ich: Vor allem die Verleger haben in den letzten Monaten nichts ausgelassen, um ihren Befürchtungen und ihren Angriffen gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen da freien Lauf zu lassen. Aber mich stört grundsätzlich an dieser Art von Auseinandersetzung, dass wir aufgehört haben, miteinander zu reden. Und damit meine ich nicht Podiumsdiskussionen, auf denen wir unsere Vorwürfe alle wiederholen, sondern dass wir uns mal an einen Tisch setzen oder wohin auch immer und sagen: Wo sind eure Interessen, wo sind unsere Interessen? Vielleicht kommen wir ja doch zusammen.
    Sich zueinander hinbewegen
    Koldehoff: Dieser Ball, den Sie jetzt da ins "Spielfeld" geworfen haben, ist der von der anderen Seite schon aufgenommen worden? Hat heute Morgen das Telefon schon geklingelt?
    Raue: Nein, bis jetzt nicht. Ich nehme an, entweder lesen alle noch oder alle überlegen sich eine gute Antwort. Wir sind alle vom Fach. Wir kennen uns eigentlich alle aus den unterschiedlichen Lebensentwürfen und Biografien her. Wir sind ja nicht auf unterschiedlichen Planeten unterwegs gewesen. Es ist ja keine große Entfernung voneinander. Ich glaube, wir müssen jetzt alle uns mal einen 'Däu geben', wie man manchmal so schön sagt. Oder mal einen Tritt in den Hintern, könnte man auch sagen, damit man mal in Bewegung zueinander kommt.
    Koldehoff: Sie argumentieren in Ihrem Text in drei Schritten: Sie sagen: Ja, es gibt in diesem dualen System kommerzielle und öffentlich-rechtliche Medien durchaus Konkurrenz, es gibt Spannungen, es gibt Interessenkonflikte, es gibt auch Streit. Dann in einem zweiten Schritt: Das hat zu dem geführt, was sie gerade noch mal beschrieben haben, nämlich eine Auseinandersetzung auf einem Niveau, die eigentlich kaum würdig war. Und dann der dritte Schritt: Jetzt müssen wir nach Kompromissen suchen. Wie könnten denn solche Kompromisse aussehen, um die Interessen von privaten Zeitungen - denen geht’s einfach nicht gut, unter anderem, weil viele Anzeigen weggebrochen sind - und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder ein bisschen das Gleichgewicht zu finden?
    Kerninteressen finden und verbinden
    Raue: Ja, das ist schon eine komplizierte Übung. Das muss man natürlich sehen. Unser Mediensystem ist auf Konkurrenz aufgebaut. Das ist auch richtig so in einem pluralistischen System. Die Konkurrenz heißt auch: Offentlich-Rechtlich gegen Privat. Das ist durchaus im Sinne derjenigen gewesen, die dieses Mediensystem geschaffen haben vor vielen Jahrzehnten. Nur kommt es jetzt darauf an, wie diese Konkurrenz ausgetragen wird. Und diese Konkurrenz ist nicht so gedacht, dass die Privaten die Zeitungen machen und die Öffentlich-Rechtlichen Hörfunk und Fernsehen. Wir wissen alle, dass es seit vielen Jahren, Jahrzehnten auch private Anbieter im Fernseh- und Hörfunkbereich gibt. Und jetzt haben wir eine neue Spielfläche - was heißt jetzt schon - seit einigen Jahren eine neue "Spielfläche": das Netz.
    Und da bewegen wir uns alle in irgendeiner Weise. Und da kommt es zu Interessenskonflikten. Das Problem ist natürlich, dass das Ganze in einen Moment von großer wirtschaftlicher Krise, was die Medien angeht, trifft. Und dass die Printkollegen natürlich erheblich Auflagenverluste, erhebliche Verluste an Werbung auch zu verzeichnen haben in den letzten Jahren. Vor allen Dingen die Zeitungen. Die Zeitschriften sind etwas weniger betroffen. Und jetzt versuchen die natürlich - und das verstehe ich völlig - auch sich im Netz zu refinanzieren. Das ist in allen Ländern der Welt so, dass das versucht wird. Und jetzt, glaube ich, müssen wir aufeinander zugehen und überlegen, wo sind die besonderen Kerninteressen der privaten Verleger, der Unternehmen und wo sind die Interessen der Öffentlich-Rechtlichen? Und kann man da nicht zu einer Definition der Interessenbereiche kommen? Und dann auch zu einem Profil, das beiden Seiten nutzt.
    Koldehoff: Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass öffentlich-rechtlich auch darüber nachdenken müsste: was lassen wir denn jetzt mal? Würde es dadurch aber den Zeitungen besser gehen?
    Raue: Das weiß ich nicht. Aber es könnte die Situation hier in Deutschland doch deutlich entkrampfen. Es gibt ja schon solche Dinge, die sind ja nicht nur freiwillig eingeräumt von Seiten der Öffentlich-Rechtlichen, sondern sie sind vom Gesetzgeber, von den Ländern auch vorgeschrieben, beispielsweise was die lokale Berichterstattung im Netz angeht. Da hat man schon darauf geachtet, dass dort auch die besonderen finanziellen Interessen der regionalen Zeitungsanbieter sind. Und da hat man gesagt: Öffentlich-Rechtliche - da haltet ihr euch raus. Das kann man unter Umständen auch noch mal genauer fassen. Man kann aber auch Kooperationen natürlich - die gibt es ja schon in manchen Bereichen zwischen Bewegbild-Produzenten auf der öffentlich-rechtlichen Seite und den Verlegern auf der anderen Seite. Aber man kann sich auch andere Bereiche überlegen, wo besondere finanzielle Interessen auch Ertragsmöglichkeiten für die Verleger sind. In den Nachrichten und in den politischen Hintergründen oder kulturellen Hintergründen, wie die, die beispielsweise das Deutschlandradio macht. Da ist ja überhaupt gar keine Konkurrenz für die privaten Verleger, denn das ist nicht der Markt mit dem im Netz Geld verdienen kann.
    Koldehoff: Sie sind der erste öffentliche-rechtliche Intendant, der sich so deutlich äußert und auch sagt, wir müssen Kompromisse suchen. Haben Sie das vorher mit Ihren Kollegen und Kolleginnen in Ihren Landesrundfunkanstalten eigentlich abgesprochen?
    Raue: Nein, Deutschlandradio ist ein selbstständiger Sender. Er gehört weder zur ARD noch zum ZDF. ARD und ZDF sind unsere Väter und Mütter gewissermaßen. Ich habe einige Kolleginnen und Kollegen informiert. Es ist jetzt auch nichts Sensationelles und Brisantes darin. Meine Position ist bekannt. Ich habe sie mehrfach in Interviews und an anderer Stelle auch vertreten. Ich weiß von vielen Kollegen im ZDF- und ARD-Bereich, dass sie eigentlich ähnlich denken. Die ersten Reaktionen von denen lauten auch: Ja, sehen wir ganz genauso. Insofern glaube ich, dass ich da jetzt nicht einen isolierten, eigenen, avantgardistischen Kurs eingeschlagen habe oder einschlage, sondern, dass der von der Vielzahl der Kolleginnen und Kollegen aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich so geteilt wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.