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Debatte um Özil
"Der DFB hat Özil zum Sündenbock gemacht"

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hält Mesut Özils Foto mit Erdogan auch nach dessen Erklärung für falsch. Der Fußballer sei seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden, sagte er im Dlf. Gleichzeitig wirft er dem DFB vor, mit seinem Umgang mit der Affäre die Integrationsleistung des Sports zunichte gemacht zu haben.

Cem Özdemir im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.07.2018
    Der Grünen-Politiker Cem Özdemir
    Der Grünen-Politiker Cem Özdemir (picture alliance/dpa - Marijan Murat)
    Özils Erklärung, er habe dem höchsten Amt der Türkei Respekt zollen wollen, überzeuge nicht. Özdemir betonte, man dürfe seine Prominenz nicht nutzen, um autoritäre Herrscher zu stützen.
    Der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes im Umgang mit Özil warf Özdemir Versagen auf ganzer Linie vor. Vor allem DFB-Präsident Grindel habe Özil zum alleinigen Sündenbock für das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Russland gemacht. Das sei nicht hinnehmbar. Grindel habe damit die große Integrationsleistung des deutschen Fußballs quasi zunichte gemacht.
    Özil hatte gestern erstmals Stellung zu den umstrittenen Fotos mit dem türkischen Staatschef Erdogan genommen und diese auch mit Blick auf seine türkischen Wurzeln verteidigt. Gleichzeitig warf er dem DFB vor, ihn nicht unterstützt und diskriminiert zu haben und erklärte seinen Rücktritt aus der Fußball-Nationalmannschaft.

    Jörg Münchenberg: Monatelang hatte er geschwiegen, obwohl der öffentliche Druck riesig war. Doch Fußball-Nationalspieler Mesut Özil wollte nicht Stellung beziehen zu seinem umstrittenen Foto zusammen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Dieses Foto hatte ja auch eine heftige Debatte über die Integration hierzulande ausgelöst.
    Gestern nun hat sich Özil doch geäußert. Er stehe dazu, hat er gesagt, allein schon aus Respekt vor dem höchsten Amt des Landes seiner Familie. Und dann hat er auch gleich mit dem DFB abgerechnet, der ihn zum Sündenbock gemacht habe.
    Vor gut einer Stunde habe ich dazu mit dem Grünen-Politiker Cem Özdemir gesprochen und ihn zunächst nach seiner Einschätzung über die Özil-Stellungnahme gefragt.
    Cem Özdemir: Für mich war das Foto falsch und es ist nach wie vor falsch, und die Erklärung überzeugt mich nicht. Er spricht von Respekt. Aber was ist mit dem Respekt vor denen, die Opfer von Erdogans Unterdrückungspolitik sind? Was ist mit Ihren Berufskollegen, den Journalisten, die einfach nur ihren Job gemacht haben? Was ist mit Oppositionellen? Respekt ist ein großes Wort, aber das zeigt man normalerweise Leuten, die Respekt verdienen, und das sind keine autoritären Herrscher.
    Das gilt allerdings, wenn ich das noch hinzufügen darf, natürlich dann nicht nur für Mesut Özil oder Gündogan; das gilt natürlich dann auch für Ex-Spieler wie Lothar Matthäus, die sich mit dem autoritären Herrscher Wladimir Putin ablichten lassen. Und das gilt vor allem für den DFB und noch mehr für die FIFA, die mit solchen autoritären Herrschern gemeinsame Geschäfte macht – denken Sie an die WM in Russland und denken Sie an die nächste WM in Katar.
    "Prominenz nicht nutzen, um Wahlkampf für autoritäre Herrscher zu machen"
    Münchenberg: Herr Özdemir, das ist ja genau der Punkt. Özil sagt, da wird letztlich mit zweierlei Maß gemessen. Bei Matthäus regt sich keiner auf, bei ihm aber schon.
    Özdemir: Da hat er recht! Da hat er absolut recht. Deshalb geht es auch nicht darum, dass Özil türkischer Herkunft ist, sondern es geht darum, dass er Nationalspieler ist oder Nationalspieler war, nachdem er jetzt sich zurückgezogen hat, und damit auch ein Vorbild für viele Jugendliche, natürlich insbesondere auch Jugendliche deutsch-türkischer Herkunft. Aber es geht erst mal darum, dass ich mir wünsche, dass alle, die Vorbild sind in der Nationalmannschaft, auch damit deutlich machen, dass sie ihre Prominenz nicht nutzen, um Wahlkampf zu machen für autoritäre Herrscher, die Andersdenkende einsperren lassen. Das gilt für jeden Nationalspieler, egal welcher Herkunft, und das gilt auch für jeden autoritären Herrscher, nicht nur für Erdogan.
    Münchenberg: Aber Özil hat ja in seinem Statement gestern auch betont, er sei kein Politiker. Hat er da nicht aus seiner Sicht recht, auch wenn ihm manche dann vielleicht Naivität unterstellen?
    Özdemir: Da macht er es sich meines Erachtens ein bisschen zu einfach. Aber er hat mit einem anderen Punkt recht – und das ist, glaube ich, das eigentlich Fatale -, nämlich dem Satz, den er in seinem dritten Statement gesagt hat: "Wenn Du Erfolg hast, bist Du Deutscher, und wenn Du verlierst, dann bist Du Migrant." Da spricht er sicherlich sehr vielen Menschen mit Migrationshintergrund, übrigens nicht nur türkischer Herkunft aus dem Herzen. Und wenn das sich nicht als richtig erweisen soll, dann darf es jetzt auch in der DFB-Spitze kein einfaches "weiter so" geben. Denn die DFB-Spitze hat von Anfang an geirrlichtert in dieser Affäre, oder eigentlich muss man ja sagen, in diesem Skandal.
    Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Ich würde ganz gerne noch mal bei Özil bleiben. In der deutschen Debatte, muss man sagen, ist ja eigentlich gleich grundsätzlich die Integration der Kinder von Migranten angezweifelt worden. Will man da nicht einfach auch ein Stück weit wahrhaben oder nicht wahrhaben, dass Özil auch Türke ist und nicht nur Deutscher?
    Özdemir: Dagegen spricht ja nichts. Es geht ja nicht darum, dass man sich assimiliert, sondern es geht darum, dass man sich integriert. Das heißt, dass man die Sprache halbwegs beherrscht. Das gilt ja auch für mich als Schwaben, dass ich in der Lage bin, mit Ihnen halbwegs Hochdeutsch zu reden. Es geht darum, dass man sich in die Gesellschaft einbringt, dass man sich an unsere großartige Verfassung hält. Das muss man machen. Ob Sie eine weitere Muttersprache haben, welche Religion Sie haben, ob Sie überhaupt eine Religion haben, oder welche Konfession, das hat mich alles erst mal nichts anzugehen, und das ist ja das Gute, dass wir in Deutschland eigentlich viel weiter schon mal waren. Denken Sie daran: Vor vier Jahren, da stand auch die Nationalmannschaft bei ihrem Weltmeisterschaftssieg in Brasilien dafür, dass wir die Vielfalt dieser Gesellschaft abbilden. Heute ist das Frankreich. Das Problem ist nicht Vielfalt, sondern das Problem ist Einfalt und das Problem ist, dass dieser Fall natürlich jetzt auch Wasser auf die Mühlen ist von all denen, die ganz anderes im Schilde führen: Auf der einen Seite Erdogan und seine AKP und bei uns die AfD und Pegida und wie sie alle heißen. All die, die gegen Vielfalt sind, all die, die dagegen sind, dass man Menschen nicht danach beurteilt, wo sie herkommen, sondern danach, wo sie hinwollen.
    "Wir sind um Jahre zurückgeworfen"
    Münchenberg: Kann man denn trotzdem zugespitzt einfach das so behaupten und sagen, weil Özil sich mit Erdogan hat ablichten lassen auf einem gemeinsamen Foto, ist letztlich auch die Integration gescheitert?
    Özdemir: Nein, das geht viel zu weit. Denn gerade auch im Fußball gibt es doch großartige Beispiele dafür, dass Jugendliche das Vorbild, eines Tages in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen, als Anreiz sehen, sich weiterzuentwickeln, eine Chance haben, ihr Potenzial auszuschöpfen. Und Özil stand ja auch für dieses Vorbild. Umso schlimmer, dass er selber durch sein Foto dann einen fatalen Beitrag geliefert hat, dass da jetzt ein großes Fragezeichen ist. Aber ich will es doch noch mal sagen: Auch der DFB, denn der DFB hat am Anfang gesagt, das mit dem Foto ist nicht das Problem, die Affäre ist abgeschlossen, hat damit den Konflikt auch in die Mannschaft getragen, und nachdem die Mannschaft gemeinsam gescheitert ist, die Schuld ausschließlich bei ihm abgeladen, auch vom eigenen Versagen abzulenken. Das geht nicht, denn dieses Agieren des DFB wird dazu führen, dass es künftig wesentlich schwieriger wird, junge Leute dafür zu begeistern, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre ist. Wir sind da um Jahre zurückgeworfen.
    Münchenberg: Nun hat jetzt ja selbst ein Sponsor damals, Mercedes-Benz, Özil aus der Werbekampagne für die Fußball-Weltmeisterschaft genommen, ohne dass der DFB eingegriffen hat. Würden Sie sagen, der DFB hat da auch seine Fürsorgepflicht gegenüber Özil klar verletzt?
    Özdemir: Absolut! Nehmen Sie doch das Beispiel Schweden mit Jimmy Durmaz. Anschließend gab es ein gemeinsames Video der Mannschaft, wo man deutlich gemacht hat, wir klären unsere Geschichten intern, aber für Rassismus gibt es keinen Platz. Eine solche Aussage würde ich mir auch unter Herrn Grindel wünschen, aber ich glaube, unter Herrn Grindel geht eine solche Aussage nicht. Da muss er sich wahrscheinlich selber in Frage stellen, ob er den Satz in dieser Klarheit auch sagen würde und sich deutlich hinstellen würde und sagen würde, die Zusammensetzung dieser Gesellschaft, alle die hier kicken, alle die hier mitspielen, das ist Deutschland, und die will ich in der Nationalmannschaft abgebildet bekommen. Da würde ich mir mal eine klare Aussage von Herrn Grindel wünschen, ob er einsteht zur Vielfalt und damit zur Stärke unseres Landes.
    Özdemir zu Grindel: "Hat eindeutig Özil zum Sündenbock gemacht"
    Münchenberg: Was muss der DFB aus Ihrer Sicht für Konsequenzen ziehen? Muss Grindel zum Beispiel auch zurücktreten?
    Özdemir: Mit Grindel wird das sehr schwer nach seinem bisherigen Agieren. Er hat eindeutig Özil zum Sündenbock gemacht. Das ist nun wirklich absurd. Wir führen hier jetzt kein sportliches Interview über die Gründe des Ausscheidens bei der Weltmeisterschaft. Aber zu sagen, das lag ausschließlich an Özil, da muss man schon jemand sein, der entweder nichts von Fußball versteht – das glaube ich eigentlich nicht, dass man dann Chef des DFB wird -, oder schon böswillig an die Sache herangehen. Jemand der das so gesagt hat und diesen Eindruck erweckt hat – und das gilt ja leider auch für den Manager, der es dann zwar später zurückgenommen hat, aber es offensichtlich erst mal in einem Interview gesagt hat -, der vertritt nicht die Breite des Fußballs in Deutschland und mit dem wird es schwer, dafür zu sorgen, dass junge Deutsch-Türken, übrigens auch Deutsch-Kroaten und andere Migranten sich dafür entscheiden, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre ist. Der Türkische Fußballverband, der wird sich sehr freuen über die Äußerungen von Herrn Grindel. Das wird es ihm leichter machen, künftig Jugendliche in Deutschland zu rekrutieren. Ich, Cem Özdemir will: Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen, sollen sich für unsere, für die deutsche Nationalmannschaft entscheiden. Der Grindel will offensichtlich anderes.
    Münchenberg: Aber noch mal. Sie sagen, Özil hat eine gewisse Vorbildfunktion als Spitzenfußballer. Hat das der DFB letztlich nicht auch und muss dann auch die Konsequenzen ziehen, wenn er diesen Anspruch nicht erfüllt?
    Özdemir: Ich habe das ja gerade gesagt. Die DFB-Spitze nach diesem Agieren, aber insgesamt die gesamte FIFA, das sind doch die Letzten, die über Werte sprechen sollten. Was sind das für Werte, wenn man sich für Putins Propaganda-Show hergibt, oder wenn die nächste Weltmeisterschaft zur Adventszeit in Katar stattfindet? Da wird doch der Fußball kaputtgemacht. Jeder ehrliche Fußball-Fan, der sich freut, wenn seine Mannschaft, zumal seine Nationalmannschaft aufläuft, ihr die Daumen drückt, der fühlt sich doch auf den Arm genommen angesichts dessen, dass es hier vor allem ums große Geld geht, und der Fußball und die Fans bleiben zunehmend auf der Strecke.
    Münchenberg: … sagt Cem Özdemir von den Grünen heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.