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Debattenkultur
Neuer Ton im Bundestag

In fast 70 Jahren Bundestag ging es in den Debatten früher oft hoch her. Jetzt sitzen erstmals sechs Fraktionen im Bundestag. Wie sich das auswirkt? Es werde wieder gestritten, stellt Hauptstadtkorrespondent Klaus Remme fest und das könnte den Parlamentarismus beleben.

Ulrike Winkelmann im Gespräch mit Klaus Remme | 21.12.2017
    Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am Rednerpult im Bundestag
    Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, fand deutliche Worte für die AfD (dpa / Monika Skolimowska)
    "Sie wollen sich hier … darum geht es Ihnen. Sie wollen sich hier heute als Opfer inszenieren, aber das werden wir ihn hier nicht durchgehen lassen!"
    "Bevor Sie wach waren, sind wir längst unterwegs gewesen, also bitte, wir hätten Sie im Parlament nicht gebraucht."
    Ulrike Winkelmann: So viele Fraktionen saßen noch nie im Bundestag, sechs an der Zahl rechts außen neben der FDP sitzt jetzt auch die AfD mit ihren rund 90 Abgeordnete, kann man sagen, dass fünf Fraktionen jetzt zusammenrücken, um eine auszugrenzen und wir dadurch nicht auch genau das Geschäft der AfD betrieben?
    Klaus Remme: Wir haben gerade zwei O-Töne aus unterschiedlichen Debatten gehört und das ist glaube ich auch die Antwort auf Ihre Frage. Es ist ein bisschen abhängig von der Tagesordnung. Gerade was die zweite Sitzung anging, hatten wir ja am Anfang viele Entscheidungen über die Verlängerung von Auslandseinsätzen und da war das nicht zu beobachten, da ging es wirklich, was das Abstimmungsverhalten der Fraktionen angeht, quer durch den Garten. Die AfD hat auch nicht alles abgelehnt; sie hat wenigstens einem Einsatz mit zugestimmt.
    Bei anderen da ist es so fünf gegen eins, ganz gewollt. Das war der Fall, als es um die Debatte Linksextremismus ging und die Debatte um die Grenzschließung, ein Antrag der AfD. Da war es in der Tat so, in beiden Debatten war die Frontstellung klar, dass die AfD Außenseiter war.
    Winkelmann: Vor der Bundestagswahl wurde ja viel erörtert, welcher Umgang mit der AfD im Bundestag denn wohl angemessen sei. Antje Vollmer von den Grünen riet dabei zu knochentrockner Nüchternheit. Was nun die Öffentlichkeit zuletzt erreicht hat, wirkte nicht gerade so knochentrocken und nüchtern, hier hören wir Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, die der AfD den Marsch blasen möchte.
    "Und da werden heute die Backen so aufgeblasen, wie scheinheilig ist das denn!? Und dann zuletzt, ja, dann höre ich von Journalisten, mein Gott, die AfD hätte sich auch noch drum kümmern müssen, dass das überhaupt zur Sprache kommt. Was für ein Blödsinn, meine Damen und Herren. Die haben noch nicht mal einen Antrag auf Aussprache gestellt, der kam von der CDU/CSU. So ist die Lage. Wer meint hier im Parlament, uns vorführen zu können, der muss früher aufstehen, meine Damen und Herren."
    Remme: Ja, da haben wir sie gehört und ich bin nicht sicher, ob sie einer Provokation auf den Leim gegangen ist, oder ob sie wirklich und ehrlich empört und entrüstet war. Wenn es geschauspielert war, dann hat sie das sehr gut gemacht. Die Frage des Umgangs hängt so ein bisschen ab, wenn ich mit Abgeordneten spreche, vom Setting her. Es gibt einzelne Abgeordnete, die ringen in der Tat damit. Ein SPD-Bundestagsabgeordneter sagte zu mir, das fällt mir so schwer dazu eine Haltung zu entwickeln, als Kollegen, die wir ja auch sind. Ich gehe im Parlament, bald in den Ausschüssen - das sind doch intensive Arbeitssitzungen, viele Stunden, die man da gemeinsam verbringt. Da wird sich normalerweise geduzt, unter den Abgeordneten unterschiedlicher Fraktion, das kann ich mir ja überhaupt nicht vorstellen hieß es. Und dann gibt es natürlich auch den unterschiedlichen Umgang von Fraktionen, zum Beispiel mit der AfD. Ich erinnere daran, dass der AfD-Abgeordnete Glaser ja immer noch ins Präsidium gewählt werden will, dass sich keine andere Fraktion entschließen will, ihn zu unterstützen. Aber die FDP-Fraktion hat ihn immerhin eingeladen beziehungsweise seinem Wunsch stattgegeben sich vorzustellen, um ihn daraufhin zu überprüfen, ob er wählbar ist. Die anderen Fraktionen haben das bisher nicht getan. Also unterschiedliche Linien. Ich vermute, es ist eine Frage der Einübung, was jetzt in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich geschehen wird.
    Winkelmann: Lässt sich nach diesen ersten Eindrücken vielleicht sagen, dass der Neuzugang im Bundestag den Parlamentarismus sogar ein wenig ungewollt belebt?
    "Hier sitzen nicht nur Antidemokraten. Es gibt hier eine Partei, die kämpft für die Demokratie und das ist die AfD. Vielen Dank."
    Remme: Zum einen sind es ja Neuzugänge. Auch die FDP-Fraktion war ja in der letzten Legislaturperiode nicht vertreten. Und zum anderen bin ich nicht sicher, ob das ob das ungewollt war. Dieses Parlament, das wir da nun beobachten, das ist Ausdruck des Wahlergebnisses. Da sitzen sie nun, und sie werden sich streiten, immer wieder wurde in den vergangenen vier Jahren, in den Zeiten der Großen Koalition, wo eine Debatte Stunde beherrscht wurde von, ich weiß es nicht, knapp 50 Minuten Redebeiträgen der Großen Koalition, wurde immer wieder beklagt Langeweile Politikverdruss, das muss aufhören. Jetzt wird gestritten, insofern in der Tat glaube ich, dass das den Parlamentarismus belebt.
    Winkelmann: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte auch, dass die AfD, alle Finanzen der Geschäftsordnung versuchen werde zu nutzen, um den parlamentarischen Betrieb aufzuhalten, und dadurch auch zu diskreditieren. Stichwort Schwatzbude, zeichnet sich das ihrer Meinung schon ab.
    Remme: Nein, es ist zu früh. Da müssen wir abwarten. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass dieser Bundestag, so wie er im Moment arbeitet, in Anführungsstrichen, immer noch in einer Art Ausnahmezustand aktiv ist. Die Ausschüsse, das ist ja das Rückgrat des Arbeitslebens im Parlament, die sind noch nicht gebildet. Der Hauptausschuss, der gebildet wurde, um das Nötigste zu klären, das ist wirklich ausgesprochen provisorisch. Das heißt, die Rollen im Parlament der einzelnen Fraktionen sind noch nicht gefunden. Die sind im Übrigen auch abhängig von der Regierungsbildung, ich darf doch daran erinnern, dass das, worauf zumindest die Union jetzt Hoffnungen setzt, nämlich die Bildung einer Großen Koalition, dazu führen würde, dass die AfD Oppositionsführerin im Parlament ist. Damit sind Rechte verbunden. Ich sage mal, Ausschussvorsitz im Haushaltsausschuss. Das alles wird das Miteinander und die Möglichkeiten der Einflussnahme der AfD auf so etwas wie Geschäftsordnung und möglichen Tricks, die da eine Rolle spielen, das wird wichtig werden.