Dienstag, 19. März 2024

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Debütroman von Jonathan Galassi
Einblicke in die New Yorker Verlegerszene

Jonathan Galassi ist Verleger in New York. "Die Muse" ist der erste Roman des 65-Jährigen. Darin beschreibt er die New Yorker Verlegerszene in den Sechzigerjahren, in der um jeden Autoren gekämpft wird, junge Lektoren schamlos ausgebeutet werden und Starautoren Vorschüsse in Millionenhöhe bekommen.

Von Simone Hamm | 28.09.2016
    Blick auf den südlichen Teil von Manhattan in New York - Aufnahme vom 05.12.1975.
    Der Debütroman von Jonathan Galassi spielt im New York der Sechzigerjahre. (picture alliance / dpa)
    Als Ida Perkins 2010 starb, ordnete Präsident Obama Staatstrauer an. Niemals zuvor war eine Lyrikerin so geehrt worden. Gleich ihr Debüt im Jahre 1942 "Wieder Jungfrau" war eine Sensation. Sie war hoch angesehen in akademischen und literarischen Zirkeln - und sie war das, was man heute Celebrity nennen würde. Sie war die einzige Lyrikerin, deren Porträt gleichzeitig auf den Titelseiten von "Rolling Stone", "Interview" und "Telquel" zu sehen war. Carly Simon und Carole King vertonten ihr Gedicht: "Broken Man" und bekamen eine Platin Platte dafür. Zu ihren Lebzeiten sind ihre zahlreichen Verehrer zu ihr gepilgert, wo immer sie sich auch aufhielt. Etliche Verlage buhlten um ihre Werke.
    Sie kennen Ida Perkins nicht? Das ist keine mangelnde Bildung. Sie können Ida Perkins gar nicht kennen, denn sie ist eine Romangestalt, eine Fantasiefigur. Ausgedacht hat sie sich der New Yorker Verleger Jonathan Galassi.
    "Ida ist die Seele der Literatur. Sie verkörpert die vollkommene Kraft der Kreativität und der Poesie. Das Ironische daran ist, dass sie Gedichte schreibt und so viel verkauft wie Romanschriftsteller. Ida Perkins ist ein Rockstar, die große Dichterin ihrer Zeit. Sie ist ein bisschen wie Meryl Streep oder Greta Garbo, gar nicht greifbar. Der Nimbus ihres Talents wirkt sehr ironisch und ist gleichzeitig sehr verführerisch."
    Die Verleger kämpfen um Ida Perkins
    Mit Ida Perkins und ihren Werken führt Galassi uns mitten hinein in die New Yorker Verlegerszene, in der um jeden Autoren gekämpft wird, junge Lektoren schamlos ausgebeutet werden und Starautoren Vorschüsse in Millionenhöhe bekommen.
    Von niemandem wird Ida Perkins so verehrt wie von Paul Dukach, dem Jungen vom Lande, der es schafft, einen Job im Verlagshaus zu bekommen. Wie viel Jonathan Galassi steckt in steckt in Paul?
    "Paul ist in derselben Situation, in der Jonathan gewesen ist - zwischen zwei heroischen Vaterfiguren, jemand, der zu Schriftstellern aufschaute und sie dann als ganz reale Personen kennenlernte. Er ist nicht ich, aber hat viele Züge von mir."
    Diese beiden großen Verleger sind Sterling Wainwright, gestaltet nach James Laughlin, dem gut aussehenden Poeten und Gründer des Verlagshauses New Directions und der hemdsärmelige Homer Stern, gestaltet nach Roger Straus, dem Verleger des Hauses Farrar, Straus and Giroux. Das ist das Verlagshaus, dem Galassi heute vorsteht. Mit 65 Jahren hat er seinen ersten Roman veröffentlicht.
    "Meine Charaktere sind nach diesen beiden Männer gestaltet, die ich kannte und verehrte. Sie waren Konkurrenten. Laughlin war der weiße, angelsächsische, protestantische Aristokrat. Er hatte Stil und Geschmack. Er war ein fast militanter Verleger, drückte die Autoren der amerikanischen Moderne auf den Markt. Sein Verlag war und ist sehr einflussreich. Roger Straus, der Homer Stern im Buch, ist ein ganz anderer Verleger, ein Opportunist, er wollte seine Duftmarke in der Welt der Bücher hinterlassen. Er war kein homme de lettre wie Laughlin, aber er hatte gute Leute, die für ihn arbeiteten. Auf die Art, wie Tom Saywer andere arbeiten ließ. Diese beiden Arten, sich der Literatur zu nähern, sind grundverschieden. Und deshalb hassten sie sich."
    Die Verleger kämpfen um Ida Perkins. Einer der Höhepunkte ist ein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse, wo die besten Geschäfte nachts in trunkenem Zustand im Frankfurter Hof gemacht worden sind. Das war vor der Zeit des Internets und der Digitalisierung. Auch E-Books und Onlineverlage thematisiert Galassi. Der Verleger Galassi fürchtet sich nicht davor. Bücher werden immer gelesen werden. Er sieht die Vorteile.
    "Es ist eine großartige Sache: Heutzutage sind alle Bücher erhältlich. In der ein oder anderen Form."
    Ironischer Roman über die Welt der Verlage
    In die 270 Seiten seines Romans packt Jonathan Galassi mehr hinein als andere in eine dickbändige Trilogie. Sein Ton ist immer feinfühlig, leicht ironisch. Die deutsche Übersetzung von Uljana Wolf gibt diese fast galante Atmosphäre genau wieder. Paul Dukach wird die angebetete Ida Perkins erst treffen, als sie über achtzig ist. In Venedig.
    "Wenn sie sich in Venedig treffen, ist das nicht nur Venedig, sondern der Platz ihrer literarischen Zusammentreffens ist geradezu symbolisch aufgeladen, eine Wagnerianische Situation. Das soll etwas Lustiges, Unrealistisches, Ironisches sein."
    Dort vertraut die weltberühmte Schriftstellerin Paul ihr allerletztes Manuskript an und in den Gedichten liegt ein Geheimnis. Und wieder ist alles anders, als der Leser bislang gedacht hat. Pauls Liebe zu Ida Perkins wird endlich belohnt. Denn nicht zuletzt ist die Muse auch ein feinsinniger Liebesroman. Über die Liebe in all ihren Facetten:
    "Es geht um Liebe aus der Ferne, Liebe für das, was man nicht haben kann. Bewunderung, die lähmen kann. Der Held des Buches Paul, bewundert Ida erst wie ein Teenager. Er muss lernen, sie nicht nur zu idealisieren, sondern mit all ihren Fehlern als wirkliche Person zu akzeptieren. Aber das mindert seine Würdigung ihrer Leistung nicht."
    Jonathan Galassi hat einen klugen, sehr ironischen Roman über die Welt der Verlage geschrieben. Es macht Spaß, das wer ist wer zu spielen. Neben imaginären Figuren, die aber stark an Susan Sonntag, Joseph Brodsky, Philipp Roth erinnern, kommen auch reale Figuren wie Truman Capote oder Sylvia Plath vor. Was aber nun real ist und was erfunden, das verrät Galassi klugerweise nicht. Er überlässt es dem Leser.
    Jonathan Galassi: "Die Muse". Aus dem Amerikanischen von Uljana Wolf. Fischer, 272 Seiten, 22 Euro.