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Delmenhorst
Ausflug in die unattraktivste Stadt Deutschlands

Delmenhorst soll einer Statistik zufolge die unattraktivste Stadt Deutschlands sein. Das Stadtmarketing wollte sich dazu nicht äußern und auch ansonsten finden sich nur wenige, die diesem Ruf entschieden entgegentreten wollen. Dabei haben die Menschen dort vor einigen Jahren so viel Zivilcourage gezeigt, dass die Stadt international Schlagzeilen machte.

Von Almuth Knigge | 13.11.2015
    Blick in die Fußgängerzone von Delmenhorst, kreisfreie Stadt in Niedersachsen.
    Blick in die Fußgängerzone von Delmenhorst. (imago/Eckhard Stengel)
    Ein Ausflug - von Bremen aus in Richtung Peripherie - auf der B 75 Richtung Westen - im CD-Player die passende Musik:
    "Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist
    und das ist immer Delmenhorst.
    Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut.
    Und wo zu sein, wo du nie warst."
    Ein ganz normaler Vormittag in Delmenhorst - der - laut einer neuen Statistik - unattraktivsten Stadt Deutschlands. Die Innenstadt ist neu gepflastert - und - bis auf ein paar Rentner - leer. Die Liedzeile "wo zu sein, wo du nie warst" spiegelt genau den Zustand der Tourismuswirtschaft in der 80.000-Seelen-Stadt wider.
    "Beschissener geht's nicht." - "Och." - "Delmenhorst ist doch keine Stadt, das ist 'ne Zumutung." - "Aber nee." - "Nichts aber."
    "Die Stadt ist schlimm, die Politik ist schlimm, die Stadtverwaltung ist das Schlimmste."
    "Sie können ab 21 Uhr mit der Maschinenpistole durch die Fußgängerzone schießen - sie treffen keinen, denn da ist kein Mensch."
    Weil hier keiner "tot übern Zaun hängen will" - beziehungsweise über Nacht bleiben - wenn er nicht muss, sagt die Statistik - und die Einwohnerin sagt: "Es tut schon weh muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen." Aber, "womit kann man hier punkten?" - "Fragen sie jemand anders."
    "Die Gäste sind immer ganz hin und weg."
    Die Antwort darauf weiß offensichtlich auch nicht der Leiter des Stadtmarketings, denn auf Anfrage nach einem Interview geht er in Deckung - und ist bis auf Weiteres nicht zu erreichen. Nur Frau Hofer vom City Hotel versprüht Lokalpatriotismus. "Wir haben so viel Grünflächen und viele Seen. Wir haben viel Landwirtschaft. Also meine Gäste sind immer ganz hin und weg von Delmenhorst und daher kann ich das nicht verstehen, dass der Delmenhorster immer sagt, oh, alles so schrecklich."
    "Hinter Huchting ist ein Graben.
    Der ist weder breit noch tief.
    Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann.
    Sag Bescheid, wenn du mich liebst."
    Der Graben ist die Ochtum - und Getränke Hoffmann gibt es nicht mehr und Sarah Connor ist auch weggezogen - ansonsten hat Delmenhorst schon einiges zu bieten.
    Widerstand gegen Neonazi-Anwalt Rieger
    Zum Beispiel den Guinness-Rekordhalter im Schnell-Witze-Erzählen, oder eines der bedeutendsten Industriedenkmäler Europas. Fußläufig vom Rathaus liegen die alten Backsteingebäude. Bis 1981 verarbeiteten hier weit über 3.000 Mitarbeiter fast 25 Prozent der weltweiten Wollproduktion. Jetzt ist von den Erwerbsfähigen jeder zehnte arbeitslos und die Stadt hat hohe Schulden. Aber Delmenhorst war auch mal die mutigste Stadt Deutschlands. Mit der aufrechtesten Zivilgesellschaft - zumindest das Ausland sah es so. Das war 2006.
    Neun Jahre später zeugt davon noch eine Brachfläche an einer viel befahrenen Straße. "Jetzt haben wir da diese olle blöde Wiese. Obwohl man eigentlich mehr draus machen könnte, Abenteuerspielplatz oder so."
    2006 gibt es noch keine Brachfläche, sondern ein Hotel. Der Inhaber will nach langem Streit mit der Stadt verkaufen. Der bekannte Neonazi-Anwalt, der mittlerweile verstorbene Jürgen Rieger, hat ein Angebot über 3,4 Millionen Euro gemacht und will hier ein Schulungszentrum errichten. Die Stadt war paralysiert, erinnert sich Gerd Renker. "Da haben wir uns mal hingesetzt auf 'ne Flasche Wein und haben uns überlegt, was macht man jetzt, was kann man überhaupt tun."
    Gerd Renker hat Erfahrung im kreativen Widerstand. Er, im echten Leben Steuerberater, war Greenpeacler der ersten Stunde, hat sich in Nordenham an ein Schiff mit giftiger Ladung ketten lassen.
    Den demokratischen Rückenwind nicht genutzt
    "Und da hatten wir eine Idee, wir kriegen das nicht zusammen, das haben wir nicht." Falscher Ansatz, denkt sich Renker - wenn man die Summe durch 80.000 teilt, ist das für jeden nicht mehr als 'ne Stange Zigaretten.
    Die Delmenhorster waren begeistert, nach zwei Tagen waren schon 17.000 Euro zusammen. "Da mach ich mit - ich verkaufe jetzt Tomaten gegen rechts - ich brate Würstchen gegen rechts - und ich mache häkeln gegen rechts oder - keine Ahnung." Die Rechtsextremen schäumten. "Rieger hat mal gesagt, die einzige Niederlage hat er in Delmenhorst bezogen." Eine Stadt, die so etwas schafft, die kann man sich doch mal anschauen.
    "Ich mach jetzt endlich alles öffentlich
    und erzähle, was ich weiß.
    Auf der Straße der Verdammten,
    die hier Bremer Straße heißt."
    Aber irgendwie haben die Delmenhorster den demokratischen Rückenwind nicht nutzen können - Streit, Parteiengezänk. "Aber das ist hier auch nicht so die Art - das haben wir erledigt und gut ist."
    Aber das ist ja auch wieder ganz sympathisch - für die hässlichste und offensichtlich auch bescheidenste Stadt Deutschlands.
    "Ich bin jetzt da, wo ich mich haben will
    und das ist immer Delmenhorst.
    Erst wenn alles scheißegal ist,
    macht das Leben wieder Spaß."