Samstag, 20. April 2024

Archiv


Dem Familienleben abgeschaut

Seit seinem größten Erfolg "Die arabische Nacht" schreibt sich Roland Schimmelpfennig kontinuierlich nach oben. "Die Frau von früher" war Schimmelpfennigs 15. Stück. Der Regisseur Jürgen Gosch hat es für das Schauspiel Köln inszeniert und liefert einen Theaterabend, der Spaß macht.

Von Christiane Enkeler | 11.06.2006
    Romy V.: "Dieser Mann war vor 24 Jahren meine große Liebe. Wir waren ein Paar, damals, und wir sind es noch heute."

    Claudia: "Was?"

    Romy V.: "Er und ich – wir waren ein Paar, damals, und wir sind es noch heute."

    Und - zack! - schlägt Claudia ihrem Mann, Frank, ins Gesicht und der fremden Frau die Tür vor der Nase zu, und das gleich zum zweiten Mal an diesem Abend im Kölner Schauspielhaus, denn "Die Frau von früher" von Autor Roland Schimmelpfennig spielt mit der Wiederholung von Szenen, mit Rück- und Vorblenden und mit herangezoomten Ausschnitten. Dadurch werden die Zuschauer mal mit weniger, dann mit mehr Informationen versorgt und wechseln hin und wieder den Blickwinkel: die erste Szene zum Beispiel einmal aus der Sicht der langjährigen Ehefrau, die nur Stimmen gehört hat und nachgucken geht, dann noch einmal mit der Vorgeschichte, in der Frank einigermaßen lange braucht, bis er die Jugendliebe, die vor der Tür steht, überhaupt erkennt und ihr schließlich erschrocken selbst die Tür vor der Nase zuknallt. Das Problem ist, dass Romy immer noch da wartet, als Claudia die Tür wieder aufreißt, und außerdem ziemlich überzeugt ist von ihrem Vorhaben.

    In der Inszenierung von Jürgen Gosch wird nicht ausdrücklich angekündigt, was vorher, nachher oder gleichzeitig stattfindet, dafür besorgen die Schauspieler den zum Teil recht schweißtreibenden Umbau selbst, wozu auch gehört, dass die "Tags" von Sohn Andi, der mit schwarzem Filzer sein Namenssymbol an die Wände malt, bevor die Familie das Haus verlässt und umzieht, nach Übersee, dass diese "Tags" zwischendurch auch mal wieder entfernt werden müssen.

    Schimmelpfennig hat sein Stück kunstvoll arrangiert: Die Zeichenebene schwingt immer mit, auch das Auslöschen dieser Zeichen, das sich problemlos auf die Forderung der "Frau", Romy Vogtländer, übertragen lässt, die Frank nur dann will, wenn dieser die gesamten Ehejahre samt Kind leugnet. Und dieses Kind, Andi, wiederholt parallel die Handlung des Vaters: Andi verspricht seiner Freundin Tina, dass er sie immer lieben werde, obwohl klar ist, dass sie sich an diesem Abend zum letzten Mal sehen, und auf dem Weg von Tina zu Andi hinterlassen sie überall ihre Namen.

    Die Gesamthandlung ist eine Variation des Medea-Mythos: Romy, die Ex-"Frau", wird den Sohn töten - allerdings ist es hier nicht ihr eigener - und die neue Frau mit einem Geschenk verbrennen lassen (was man nicht sieht).

    Nun ist Jürgen Gosch eigentlich ein Meister darin, seine Schauspieler auch mit Stille und dem In-psychischen-Frakturen-versunken-Sein der Figuren spielen zu lassen und so zu rhythmisieren, aber viele Gelegenheiten dafür werden hier verschenkt.

    Am deutlichsten sieht man das bei Andi, der von seinem Überdruck gar nicht mehr herunterkommt: Gut, in seiner ersten Szene glaubt er noch, Romy Vogtländer bei ihrem Weggang aus Versehen mit einem geworfenen Stein getötet zu haben, trägt sie ins Haus und leidet dann aber über der vermeintlichen Leiche so sehr und so laut, dass man kaum versteht, worum es geht. In der nächsten größeren Szene beschreibt Andi Romy, wie er seine Freundin malen würde, und das könnte durchaus eine poetische Stelle werden - warum Andi hier immer noch derart unter Druck steht, bleibt unverständlich.

    Eine weitere Schwachstelle ist auch, dass Romy wie eine dieser Figuren wirkt, die ab und zu plötzlich in einer U-Bahn auftauchen und mit abgenutzter Aggressivität über ihr Leben, ihre Meinung und das Wichtigste auf der Welt monologisieren. In anderen Worten: Romy überwiegend als "verrückt" darzustellen, lässt eine irgendwie verstehbare Dimension der Figur außer Acht - trotz ihrer, zugegeben, völlig irrealen Forderung.

    Und trotzdem ist das ganz und gar nicht ein völlig verschenkter Theaterabend, denn viele der kleinen, alltäglichen Ehe- und Familienszenen, auch der stummen Szenen, in denen die Schauspieler sich Zeit lassen, sind geschickt dem Leben abgeguckt und mit viel ironischem Witz gespielt, was hier durchaus nicht immer "witzig" meint. Aber es macht Spaß, Markus John als schuldbewusstem Ehemann zuzusehen, der seine Frau in einem letzten Moment noch ablenken will, oder als Vater, der seinen Sohn hauptsächlich deswegen ohrfeigt, weil er einfach erleichtert ist, dass dieser nicht zum Mörder geworden ist. Es macht Spaß zuzusehen, wie die Eltern packen, der Sohn stumm hereinkommt, ewig mit seiner Kiste herumsteht, um sie schließlich abzustellen, draufzuklettern, an die Wand zu kritzeln und wieder zu verschwinden, zuzusehen, wie die Eltern sich Blicke zuwerfen, der Vater aufsteht, sich die Augen wischt, vor der Zimmertür des Sohnes steht, anklopft und mit den Händen in den Hüften wartet: Auch solche Szenen, in denen sich ein wiedererkennbares Leben entrollt, gibt es, auch wenn Claudia herumstichelt, weil sie gar nicht mehr weiß, welche Haltung sie ihrem Mann gegenüber einnehmen soll. Wenn man die Medea-Parallele nicht kennt, wirkt auch Romy in ihrer Art nicht störend, sondern eben wie der Einbruch eines "Anderen" in die Familienwelt.

    Welche Haltung es dem Abend gegenüber einnehmen sollte, darin spaltete sich auch das Premierenpublikum in zwei Lager, als der Regisseur die Bühne betrat. Hätten hier auch die poetischen Text-Stellen aufgeleuchtet, wäre es vielleicht umfassender möglich gewesen, bei der Wendung des Dramas ins Tragödienhafte mitzukommen.