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Dem Salafismus auf der Spur
Wie die islamistische Szene um Frauen wirbt

Was bringt ausgerechnet junge Frauen dazu, die Nähe zu militanten Salafisten und zum IS zu suchen? Wie gelingt es Dschihadisten, weiblichen Nachwuchs anzulocken? Die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage hat dazu europaweit 175 Interviews geführt - und dabei Viele vor einer Reise ins Unglück bewahrt.

Von Alexander Budde | 04.11.2016
    Drei vollverschleierte Frauen stehen am 20.10.2016 zum Prozessauftakt gegen Safia S. vor dem Oberlandesgericht in Celle (Niedersachsen), in dem sich die inzwischen 16-jährige IS-Sympathisantin Safia S. nach einer Messerattacke auf einen Polizisten wegen versuchten Mordes und Unterstützung der Terrormiliz IS verantworten muss.
    Auch die Gruppe um die in Celle u.a. wegen versuchten Mordes angeklagten IS-Sympathisantin Safia S. hat die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage interviewt. (dpa / Holger Hollemann)
    Nina Käsehage, lang gewachsen, rote Locken, macht nicht den Eindruck, als sei sie leicht zu erschüttern. Im Ruhrgebiet ist sie aufgewachsen: Ihre Masterarbeit schrieb die Religionswissenschaftlerin an der Uni Göttingen über Konvertiten. Schon damals, 2011, trifft sie auf Menschen, die sich gegen die etablierte Religion wenden und ihre eigene Enklave bilden:
    "Mir geht es nach wie vor auch darum, die Innenperspektive zu verstehen – und wenn man vielleicht von dem Gegenüber bemerkt hat, dass es mir sehr wichtig ist, dass es den Menschen gut geht, unabhängig davon, welcher Religion eine Person angehört, scheint das glücklicherweise dazu geführt zu haben, dass man mir dahingehend vertraut hat und auch auf mein Urteil in Bezug auf Argumente Wert gelegt hat."
    "Es gibt durchaus Frauen, die selber auch Täterinnen sind"
    Die junge Doktorandin knüpft Kontakte, verdient sich Vertrauen, führt über die Jahre 175 Interviews in Deutschland und dem europäischen Ausland. Ihre Feldstudien führen die heute 37-Jährige in die Türkei, aber auch in die Tristesse französischer und belgischer Trabantensiedlungen. Immer wieder trifft sich Käsehage auch mit Frauen unter den Hardlinern: Frauen, die sich nicht länger nur in frommer Nabelschau üben wollen – und unverhohlen zum Kampf aufrufen:
    "Es gibt durchaus auch Frauen, die keine Opfer der Anwerber sind, sondern selber auch Täterinnen – und da gibt es erschreckenderweise eine ganze Menge von!"
    "Geschlossene Kreise führen zu einer geschlossenen Weltsicht"
    Im Umfeld des Deutschsprachigen Islamvereins Hannover spricht sie mit Jugendlichen, die in einer Art Parallelwelt leben:
    "Es ist dort eigentlich Gang und Gäbe, dass die Eltern, die sich dem radikal-islamischen Gedankengut verschrieben haben, die Kinder vom jüngsten Alter an immer mitnehmen zu bestimmten Unternehmungen vor allen Dingen auch. Das sind geschlossene Kreise, in denen die sich bewegen. Und diese geschlossenen Kreise führen natürlich auch zu einer geschlossenen Weltsicht."
    Auch die inzwischen 16-jährige Safia S., der in Celle der Prozess gemacht wird, besuchte mit ihrer strenggläubigen Mutter regelmäßig Veranstaltungen dieser Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
    Poppige Propagandavideos und kumpelhafter Plausch am Büchertisch
    Bei den Sicherheitsbehörden war Safia S. einschlägig bekannt: In YouTube-Videos ist sie bereits als Siebenjährige mit dem Salafisten-Prediger Pierre Vogel beim Rezitieren des Korans zu sehen:
    "Ein Beispiel, was ich aus meiner Forschung nennen kann, ist eben eine ähnlich verlaufende Entwicklung eines jungen Mädchens auch aus Hannover, mit der ich ein Interview führte. Und sie hat von Anfang an auch nur diese Lesart des Islam internalisiert. Sie ist immer weiter dort reingerutscht. Und als sie dann ein Teenager war – in diesem Alter traf ich sie – hat sie davon berichtet, wie sie eben als kleines Kind schon ganz selbstverständlich über Ungläubige hergezogen hat – ohne jemals einen so genannten Ungläubigen kennengelernt zu haben."
    In ihrer Arbeit dokumentiert Käsehage auch, mit welchen Methoden und Narrativen die gut vernetzten Prediger ihr jugendliches Publikum in den Krieg locken – Propagandavideos in der poppigen Aufmachung eines Computerspiels, spezielle Websites in salafistischer Lesart, kumpelhafter Plausch am Büchertisch.
    "Junge Mädchen werden mit der Idee eines starken Helden zum IS gelockt"
    Nicht nur junge Männer, auch vermehrt Frauen schließen sich dem so genannten "Islamischen Staat" an. Dieses Phänomen könnte mit dem Narrativ der Terrormiliz zusammenhängen, eine neue Gesellschaft aufzubauen, die auch Krankenschwestern braucht, Lehrerinnen und Mütter für eine neue Generation von Kämpfern. Käsehage beobachtet:
    "Dass junge Mädchen mit der Idee eines starken Helden und einer allumfassenden Versorgung nach Syrien zum 'Islamischen Staat' gelockt werden. Und dass man ihnen vormacht, dort würde für sie eine heile Welt herrschen, in der sie eine Prinzessin sind und auf Händen getragen werden. Ich bin im Gespräch mit Mädchen, die vor Ort immer noch sind. Und gerade die deutschen Mädchen sind sehr ernüchtert über die Zustände, die dann in der Realität dort herrschen!"
    Deradikalisierung junger Muslime kann gelingen
    Religionsforscher wie Käsehage wissen: Nur ein Bruchteil der fundamentalistischen Gruppierungen ist gewaltbereit. Doch nicht weniger als 38 ihrer Gesprächspartner wollten nach Syrien ausreisen, um sich der radikal-islamischen Al-Nusra-Front anzuschließen, die im Kriegsgebiet für ein eigenes Staatswesen kämpft.
    Wann immer verzweifelte Eltern sie um Hilfe baten, fiel Käsehage aus ihrer Beobachterrolle: Viele der jungen Eiferer, sagt sie, habe sie in nächtelangen Diskussionen am Küchentisch von der geplanten Reise ins Unglück abhalten können. Sie glaubt fest daran, dass die Deradikalisierung gerade junger Muslime mit vereinten Kräften gelingen kann.