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Dem Tod und dem Schmerz die Stirn bieten

Der kolumbianische Erzähler, Dichter und Romancier Tomás González arbeitete neben dem Philosophiestudium als Barkeeper in einer Diskothek. Er veröffentlichte seine Erzählungen mit finanzieller Unterstützung des Diskothekenbesitzers im Selbstverlag. Margrit Klingler-Clavijo hat mit González über seinen viel beachteten Roman "Das spröde Licht" gesprochen.

Eine Rezension von Margrit Klingler-Clavijo | 29.05.2013
    "Ich wollte das Spiel zwischen Licht und Schatten ausloten, das sich auf mehreren Ebenen abspielt. David, der Protagonist des Romans, ist ein Maler, dessen Sehkraft schwindet. Er erzählt aus der Perspektive des alternden Mannes, der sich dem Tod nah weiß, eine über 20 Jahre zurückliegende Begebenheit, die ebenfalls vom Tod handelt. Es geht somit in mehrfacher Hinsicht um die Suche nach dem Licht, um das spirituelle und das physische Licht."

    So erklärt Tomás González die Entstehung seines Romans "Das spröde Licht" der von Abschied, Tod, und Liebe handelt. Der 76-jährige David lebt nach Jahrzehnten in den USA wieder in Kolumbien und hält Rückschau auf ein bewegtes und erfülltes Leben. Aufgrund des schwindenden Augenlichts hat sich der renommierte Maler nunmehr auf das Schreiben verlegt. Seine verschlungenen Erinnerungen ähneln den Mangrovengeflechten der Karibik, die unentwirrbar miteinander verflochten und einzeln kaum wahrnehmbar sind. Im Zentrum seiner Erinnerungen stehen die Zerreißproben, die er mit seiner Familie nach Jacobos Autounfall durchstehen musste. Sein Sohn war seitdem querschnittgelähmt und litt unter unsäglichen Schmerzen, die selbst durch sündhaft teure Akupunkturbehandlungen nicht zu heilen waren und nur durch aufwendige Spezialmassagen ein bisschen gelindert wurden.

    "Ich wollte von einer tiefen Schmerzerfahrung ausgehen und versuchen, sie beim Schreiben zu überwinden, was mit der Trauerarbeit in der Psychologie vergleichbar ist. Im Roman können die Schmerzen von Davids Sohn weder mit Schmerzmitteln noch mit Drogen gelindert werden. In den Fällen, in denen der Schmerz nicht mehr zu lindern ist, halte ich den Tod für gerechtfertigt. Es ist äußerst grausam, bei einem Angehörigen mitzuerleben, dass er unheilbar krank ist. Ich verurteile den Jungen nicht, begleite ihn jedoch auf seinem Lebensweg. Ich bin weder gegen noch für die Euthanasie."

    Der endgültige Abschied von Jacobo erfolgt auf einer Reise von New York nach Portland, wo ihm ein Arzt die tödliche Injektion verpassen wird. Begleitet wird er von seinem Bruder Pablo. Die übrige Familie ist in New York zurückgeblieben und steht mit den beiden Brüdern in engem Telefonkontakt. Für eine solche Grenzsituation die geeigneten Worte und den richtigen Ton zu finden, ist eine literarische Herausforderung. Tomás González hat dafür eine nüchterne und präzise Sprache gefunden und eine ausgewogene Art des Erzählens, die Licht und Schatten zu dosieren weiß. Ja, die Familie wird durch Jacobos chronische Schmerzen mit Leid und Ohnmacht konfrontiert. Aber entwickelt sie darüber nicht auch ein engeres Zusammengehörigkeitsgefühl? Ist Davids Melancholie, unter der er jahrelang litt, nicht gänzlich verschwunden, seitdem er sich intensiv um Jacobo kümmerte?

    David muss noch einen zweiten, womöglich noch schmerzlicheren Verlust verkraften, den Tod seiner Ehefrau Sara, was im Roman wie folgt beschrieben wird:

    "Fünfzig Jahre sinnlicher und geistiger Innigkeit – hier muss ich, weil die Sprache zu arm ist, zwei Begriffe verwenden für etwas, das eigentlich zusammengehört – mit einer Frau, die es verstanden hat, Zärtlichkeit und Lebensfreude genauso zu teilen, wie sie es verstand, Gärten mit Helikonien und Farnen und Palmen und Sietecueros und Teichen und Wasserpflanzen in blühende Wunder zu verwandeln.
    Ich hätte allen Grund gehabt, mich in die Schlucht zu stürzen."


    Das tut David nicht, trotz der Verzweiflung, die ihn bisweilen in seinem Haus in La Mesa überkommt, das er nach Saras Tod allein bewohnt. Hinzu kommt noch der Abschied von der Malerei. Er rekapituliert noch einmal die Entstehungsgeschichte seiner bedeutendsten Bilder, bei denen die Natur die wichtigste Inspirationsquelle war. Die endlose Weite des Meeres hatte ihn von Kindesbeinen an fasziniert und in den USA hatte er sie an den Stränden von Miami und Coney Island gesucht. Auf die spirituelle Dimension seiner Malerei verweist der Romantitel "Das spröde Licht".

    "Ich vermisse den Stich im Herzen, den man wie in der Liebe spürt, wenn es einem gelingt, mit einer kleinen Mischung aus Öl und Mineralpulver bis an die Grenze der Unendlichkeit vorzudringen und das spröde Licht einzufangen."

    Und genau das macht die Leuchtkraft dieses schmalen Romans aus, die Zelebrierung von Leben und Tod, die Einheit von Licht und Schatten, die Erinnerungen, die zwischen New York und Kolumbien hin und her springen.

    "Als ich in New York lebte, habe ich aus Heimweh nach Kolumbien viel über Kolumbien geschrieben. Fast alle Bücher, die ich in New York geschrieben habe, handeln von Kolumbien. Es war eine literarische Heimkehr, um die Sprache, die Landschaft und die Vegetation am Leben zu halten. Und seit ich wieder in Kolumbien lebe, schreibe ich über New York. Man braucht Zeit und Abstand, bis die eigenen Erlebnisse literarisch Gestalt annehmen."

    "Tomás González steht dem Zen Buddhismus nah und hat sich im Lauf jahrelanger Meditationen dessen Vorstellungen über Leben und Tod genähert, die wie er später feststellte, eine frappierende Ähnlichkeit mit denen der Kogi- Indianer der Sierra Nevada Santa Marta aufweisen, die im Nordosten Kolumbiens leben."

    "Ich bin stets davon ausgegangen, dass es gar keinen Tod gibt, sondern nur Leben. Dessen ist sich David bewusst, wenn er schreibt und sich ein neues Leben erschafft. Davids Abschied ist voller Leben. Und mir ging es darum, diese Lebensfreude am Ende eines Lebens aufzuzeigen: Die Freude, gelebt zu haben, die der Todesschwärze und dem Schmerz die Stirn bieten kann."

    Tomás González hat jahrelang in den USA gelebt, zuerst in Miami als Leiter einer Fahrrad Montage Werkstatt und dann in New York als Journalist und Übersetzer. 2002 kehrte er mit seiner Familie nach Kolumbien zurück. Erzählbände wie "Carola Dicksons unendliche Reise", "Drei Leben" oder der Roman "Am Anfang war das Meer", der von der Ermordung seines Bruders handelt, sind zuerst im Schweizer Kleinverlag Edition 8 erschienen, bevor sie in die Fischer-Taschenbuchreihe übernommen wurden.

    Tomas Gonzalez: Das spröde Licht. Aus dem Spanischen von Rainer und Peter Schulze-Kraft. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M.