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Demografieforscher: Viele Ideen vorhanden, sie müssen umgesetzt werden

Eckart Bomsdorf, Professor am Seminar für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität zu Köln, glaubt, dass sich die Alterung der Gesellschaft dämpfen lässt. "Eine Alternative zu einer durchschnittlich längeren Lebensarbeitszeit gibt es nicht", beschreibt er. Sie könne dann individuell aber unterschiedlich ausfallen.

Eckart Bomsdorf im Gespräch Christoph Heinemann | 04.10.2012
    Christoph Heinemann: Mit den Folgen der Alterung und des Rückgangs der Bevölkerung beschäftigt sich heute in Berlin der erste Demografiegipfel der Bundesregierung. Dass die Bevölkerung zahlenmäßig abnimmt, ist bekannt, weniger die Folgen insbesondere auch für den ländlichen Raum.

    - Am Telefon ist Professor Eckart Bomsdorf vom Seminar für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität zu Köln. Guten Tag.

    Eckart Bomsdorf: Guten Tag, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Professor Bomsdorf, Katharina Hambergers Bericht begann mit den Worten "älter" und "weniger". Beginnen wir mal mit Letzterem. Sie haben jetzt gerade neue Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung in einer Studie zusammengefasst. Auf welche Entwicklung müssen sich die Deutschen einstellen?

    Bomsdorf: Es kommt natürlich ganz auf den Zeithorizont an. Wenn wir uns erst mal auf 2030 beschränken, also die nächsten 20 Jahre, dann wird der Rückgang nicht so stark sein, vielleicht von heute 82 Millionen auf etwa 78 bis 79 Millionen. Aber in diesem Zeitraum wird es schon zu einer starken Alterung der Bevölkerung kommen, vor allem zu der starken Alterung der Bevölkerung im Erwerbsalter. Kritisch wird die Situation aber, wenn wir weiterdenken, zum Beispiel bis zum Jahre 2060. Dann haben wir, je nachdem, was wir annehmen, gehen wir von einer Nettowanderung von null aus, das heißt es würden gleich viele Personen zuwandern wie abwandern. Dann hätten wir mit Größenordnungen von 60/61 Millionen Einwohnern nur noch zu rechnen. Gehen wir dagegen von 150.000 Nettozuwanderungen aus, dann würden wir davon ausgehen können, dass wir im Jahre 2060 etwa 71 Millionen Einwohner haben. Wir müssen uns allerdings fragen, wo die Zuwanderer herkommen sollen.

    Heinemann: Das heißt, die Frage ist eigentlich nur, ob bis 2060 zehn oder 20 Millionen weniger Menschen hier leben?

    Bomsdorf: Das würde ich so sehen, da, was die Geburtenzahlen angeht im Augenblick und auf absehbare Zeit sicher keine große Veränderung zu erwarten ist und das kurzfristig natürlich auch keine Problemlösung daher geben könnte.

    Heinemann: Der Deutsche Familienverband warnt vor einem Altersheim Europas, meint damit Deutschland. Zurecht?

    Bomsdorf: Ja. Wir werden natürlich älter, das ist ganz klar. Wenn wir Generationen haben, die immer nur zwei Drittel der Kinder bekommen, die man benötigt, um sich selbst zu reproduzieren, ist es klar, dass die ältere Bevölkerung später stärker besetzt ist als heute. Das Durchschnittsalter der Wähler, das heute vielleicht bei ungefähr 50 Jahren liegt, das wird auch um fünf, sechs, sieben Jahre steigen. Das heißt dann, die Hälfte der Wähler wird dann fast 60 und älter sein. Das ist jetzt etwas überspitzt. Das heißt, auch die Älteren werden dann stärker die Politik bestimmen.

    Heinemann: Lässt sich eine solche Entwicklung bremsen?

    Bomsdorf: Sie lässt sich sicher in vielerlei Hinsicht dämpfen. Wir werden nichts ändern können an der Lebenserwartung; da freuen wir uns ja, dass sie so groß ist. Wir werden versuchen können, dass die Fertilität etwas steigt, dass mehr Kinder geboren werden; das könnte langfristig Entlastung bringen. Und wir müssen natürlich auch sehen, dass wir im Grunde dann eine höhere Zuwanderung bekommen, aber man muss bei dieser Zuwanderung immer sehen: Die, die bei uns zuwandern, die nehmen wir anderen Ländern weg. Und das bedeutet so ein klein wenig, das kann für viele Länder eine negative Entwicklungshilfe sein. Aber es gibt natürlich auf anderen Ebenen auch Möglichkeiten. Wir haben ja ein großes Potenzial, das in der Bevölkerung steckt. Und das müssen wir besser ausschöpfen. Also, wir müssen eine bessere Qualifikation haben bei den einzelnen Menschen, wir müssen sie auch in jüngeren Jahren besser dazu motivieren, eine bessere Qualifikation zu bekommen. Wir müssen das fördern, wir brauchen Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung in höherem Maße, als wir es vielleicht bisher auch getan haben.

    Heinemann: Die SPD arbeitet zurzeit an einem Rentenkonzept und diskutiert darüber. Vielen Linken in der Partei und auch von der Linkspartei ist die Rente mit 67 ein Dorn im Auge. Gibt es eine Alternative zu einer längeren Lebensarbeitszeit?

    Bomsdorf: Eine Alternative zu einer durchschnittlich längeren Lebensarbeitszeit gibt es nicht, meines Erachtens. Individuell ist das durchaus möglich und ich plädiere auch im Grunde dafür, für die Möglichkeit, flexibler vom Alter her in die Rente zu gehen. Auch 67 muss dann natürlich keineswegs Schluss sein. Bloß man muss sich immer darüber im Klaren sein, das kostet auch. Ich kann nicht sagen, ich gehe mit 60 in Rente und tue das ohne Abschläge. Das ist nicht möglich. Und wir müssen uns doch dieses längere Leben, was es gibt - die Rentenlaufzeiten haben sich durchschnittlich verdoppelt in den letzten 50 Jahren -, das muss man sich auch noch mal vor Augen führen, wenn man darüber spricht, was hat das für Vorteile, was hat das für Nachteile und wie sieht die Rente aus. Wenn man das sieht, dann ist die Rente in den letzten Jahren deutlicher gestiegen, als man das im Einzelnen meint. Längeres Leben gibt es nicht umsonst.

    Heinemann: Herr Bomsdorf, Sie nehmen am Demografiegipfel teil. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik die Tragweite dieses Wandels erkannt hat?

    Bomsdorf: Also, das ist jetzt etwas schwierig, weil wir natürlich noch mitten im Programm sind, heute. Ich glaube schon, dass sie die Tragweite des Programms erkannt haben. Es ist bloß die Frage, ob hier wirklich eine deutliche Strategie entwickelt wird, die uns voranbringt. Das kann ich im Augenblick noch nicht sehen. Ich will Ihnen mal drei Titel von Arbeitsgruppen nennen: Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten, Familie als Gemeinschaft stärken und Bildungsbiografien fördern. Das sind alles Themen, wo ich sagen würde, die sind sehr wichtig, aber die sind auch sehr wichtig, wenn wir keinen demografischen Wandel hätten. Ich glaube, man muss sich im Einzelnen vielleicht über manche Dinge noch mal klarer werden. In manchen Punkten ist es vielleicht schon etwas sehr spät und ich kann zehn Jahre zurückdenken und habe heute gerade drei Mitglieder der Enquetekommission "Demografischer Wandel" getroffen, die im Jahre 2002 einen Schlussbericht vorgelegt hat, in der vieles vorgedacht ist, was jetzt neu gedacht wird. Wir müssen nicht unbedingt das Rad ein zweites Mal erfinden, sondern es gibt viele Dinge schon, man hätte sie umsetzen müssen.

    Heinemann: Es bleibt viel zu tun – Professor Eckart Bomsdorf vom Seminar für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität zu Köln. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bomsdorf: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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