Dienstag, 23. April 2024

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Demokratie-Export aus der Ukraine

Vor fünf Jahren brachte die serbische Studentenbewegung Otpor den Diktator Slobodan Milosevic gewaltlos zu Fall. Diesem Vorbild folgten andere Jugend- und Demokratiebewegungen in Ost- und Südost-Europa. Darunter die ukrainische Jugendbewegung Pora, die im vergangenen Winter erfolgreich das alte Kutschma-Regime bekämpfte. Mittlerweile ist aus Pora eine Partei geworden und einige der ehemalige Mitglieder wollen nun ihr Demokratie-Konzept in andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion exportieren. Thomas Franke berichtet aus Kiew.

23.09.2005
    Serhij Taran steigt aus dem Taxi. Auf dem Maidan, dem zentralen Platz im Herzen Kiews, dort, wo die so genannte orangefarbene Revolution im vergangenen Winter ihre heiße Phase erreichte, probt eine Militärkapelle. Ein kleiner Hauptmann mit großer Mütze und Kugelbauch reißt Knie und Arme im Takt der Musik in die Luft, marschiert auf der Stelle.

    Serhij Taran war bei der Revolution ganz vorn mit dabei. Er war einer der führenden Köpfe von Pora, der Jugendbewegung, die die Proteste in der Ukraine organisiert hat. Mittlerweile ist aus Pora eine Partei geworden und Taran geht seine eigenen Wege. Er hat ein Institut gegründet, das Demokratie in andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion exportieren möchte.

    "Wir sind nicht richtig voneinander getrennt, wir machen nur unterschiedliche Sachen. Wir haben das gleiche Ziel, nämlich, Demokratie zu fördern. Das Institut für Demokratie ist eine internationale Organisation, wir haben einfach nur unseren Sitz in Kiew."

    Tarans Büro ist etwas außerhalb gelegen. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung im 1. Stock eines Plattenbaus. Im Flur stapeln sich Pakete mit Informationsbroschüren, über Pressefreiheit, über Menschenrechte.

    "Normalerweise haben junge Menschen in demokratischen Ländern das Bedürfnis, die Welt zu retten oder sie zumindest zu verändern. Wer zum Beispiel aus Deutschland kommt, wo alles schön ist und man wirklich nicht viel machen muss, der will normalerweise Afrika retten. Wir sind zwar nicht Afrika, wir hatten aber trotzdem das Glück, dass andere Organisationen hier waren. Das hilft, die Welt besser zu machen."

    Mittlerweile steckt die Ukraine in einer handfesten Regierungskrise. Und wieder zweifeln die Menschen an der Aufrichtigkeit der Regierung. Amnesty International berichtet von massiven Menschenrechtsverletzungen. Dass er und seine Mitstreiter es sich trotzdem leisten können, darüber nachzudenken, anderen Ländern Demokratie zu bringen - das allein spreche für die Fortschritte in der Ukraine seit der orangefarbenen Revolution, meint Serhij Taran.

    "Demokratie ist ja auch nicht etwas, was nur ein Land betrifft, das ist ja ein Prinzip. Martin Luther King hat einmal gesagt, wenn es irgendwo Ungerechtigkeit gibt, dann gibt es überall Ungerechtigkeit. Wenn wir versuchen, in Aserbaidschan oder in Weißrussland für Demokratie zu kämpfen, dann verteidigen wir auch die Demokratie in der Ukraine. Das ist ein wichtiges Prinzip für demokratische Länder, dass die Menschen auch für die Demokratie anderswo einstehen."

    Das Institut für Demokratieexport richtet sich an Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Da gäbe es Gemeinsamkeiten und die meisten Menschen sprechen Russisch, sagt Taran. Er hält vor allem Aserbaidschan und Weißrussland für Länder, in denen eine friedliche Revolution nach dem Muster der Ukraine Erfolg haben könnte. In Aserbaidschan sind im November Wahlen, in Weißrussland im kommenden Jahr. In beiden Ländern hätten die Menschen bereits Erfahrung mit Demokratie, und - günstig für die Organisation einer Bewegung - die Bevölkerung konzentriere sich auf die Hauptstädte.

    "Eine Gesellschaft kann eine Revolution nicht akzeptieren, wenn sie nicht dazu bereit ist. Wir versuchen deshalb, Aktivisten in den Ländern zu helfen, die zu solchen friedlichen Revolutionen bereit sind. Wir können ihnen helfen, aber es nicht für sie tun."

    Bleibt die Frage: Wer gibt ausgerechnet ihnen das Recht, in andere Länder zu gehen und die Menschen dort beglücken zu wollen? Serhij Taran lächelt.

    "Wer sollte das sonst machen? Wir spüren, dass wir das tun müssen, das ist keine rationale Entscheidung. Wenn du Afrika rettest, ist das auch keine rationale Entscheidung, es ist dein Herz, das dir das befiehlt."

    Serhij Taran geht in die Küche. Kakteen wachsen aus einem längs aufgeschnittenen Kanister. Ein Wasserspender steht an der Wand. Auch wenn es häufig so dargestellt wird, als gäbe es ein internationales Netzwerk von Aktivisten, die um die Welt reisen und gewaltfreie Revolutionen exportieren - dieser Eindruck sei falsch, sagt Serhij Taran.

    "Das Netzwerk existiert, aber das ist wie das Internet, es ist nicht besonders gut organisiert. Das ist es, was es kraftvoll macht. Es ist kein Netzwerk mit richtiger Mitgliedschaft und strengen Regeln. Wir haben einfach nur eine politische Klasse von Leuten, die einfach nur die Welt in eine bessere Richtung verändern wollen. Das ist alles."