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Demokratische Erneuerung und Social Media in Nordafrika

Soziale Netzwerke und Blogs prägten die revolutionären Prozesse aller nordafrikanischen Staaten im Frühjahr und Sommer 2011. Zum 1. Jahrestag der ägyptischen Revolution am 25. Januar lud die Bundeszentrale für Politische Bildung zu einer Konferenz zum Umbruch in Nordafrika.

Von Peter Leusch | 26.01.2012
    "Herr Präsident , heut will ich Dir was sagen, in meinem Namen, in dem des ganzen Volkes, das im Elend lebt: 2011 sterben Leute vor Hunger, sie wollen arbeiten, überleben, ihre Stimme wird nicht gehört. Geh in die Straßen, schau dich um! Menschen werden wie Tiere behandelt, Polizisten sind Monster, die nur mit Schlagstöcken sprechen, tack, tack , tack ... "

    Den tunesischen Rapper Hamada Ben Amor, genannt El Général ließ der Machthaber Ben Ali zu Beginn des Aufstandes verhaften und einsperren, um ihn mundtot zu machen. Vergeblich. Denn dessen Stimme war längst überall auf der Welt bei Youtube zu hören, wurde dank Facebook bekannt.

    "Ich habe in Tunesien Interviews durchgeführt mit Bloggern, mit Internet-Aktivisten, die meinten, die Revolution hätte sicherlich stattgefunden, aber ohne Facebook erst in fünf oder zehn Jahren. Insofern hat Facebook die Rolle eines Katalysators oder Brandbeschleunigers gehabt."

    Die Politologin Anita Breuer vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hat die Wirkung der sozialen Medien bei der tunesischen Revolution genauer untersucht. Facebook, so ihr Fazit, konnte nur im Zusammenspiel mit anderen Netzwerken, vor allem dem Blogger-Kollektiv Nawaat eine entscheidende Rolle spielen. Denn das Regime ließ Facebook überwachen. Inhalte wurden gefiltert, Passwörter geknackt. Viele regimekritische Informationen gelangten bei Facebook nicht über den begrenzten Kreis der Freundeskontakte hinaus.

    "Und da kommt Nawaat ins Spiel, weil die Mehrheit der Mitglieder im Exil saßen, brauchten sie sich über Überwachung und Verfolgung keine Gedanken zu mache. Und die haben dann systematisch Facebook abgesucht nach diesen Informationen, haben sie in eine chronologische Timeline gebracht, strukturiert, haben sie übersetzt. Und dann die so editierte und medientauglich gemachte Information über alle Social-Media-Kanäle verbreitet, da ist sie aufgegriffen worden von den internationalen Nachrichtensendern, ... und über Al Jazeera ist dann die zuvor zensierte Information nach Tunesien reimportiert worden und so erst der breiten Masse zugänglich gemacht worden."
    Genutzt werden die sozialen Medien vor allem von der Generation der 20- bis 35-Jährigen, die die arabische Revolution in Nordafrika tragen. Sie sind die Akteure des Wandels. Lange Zeit galt die junge Generation als stille und passive Masse. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen arbeiten an einem neuen angemessenen Bild der arabischen Jugend und ihrer Situation. Sebastian Sons, Islamwissenschaftler am Deutschen Orient-Institut in Berlin, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die junge Generation in Saudi-Arabien und im Jemen, wo die Hälfte der Bevölkerung unter 15 Jahre alt ist.

    "Im Jemen ist der Druck der Jugend sehr stark, das liegt daran, dass das Bevölkerungswachstum sehr groß ist, dass es keine Arbeitsplätze gibt, dass die jungen Menschen keine Perspektive haben, sie wissen einfach nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, viele neigen dazu sich zu radikalisieren, viele andere sind auch auf die Straße gegangen, im letzten Jahr haben sich engagiert, sind aktiv geworden gegen das Regime und möchten den Wandel, möchten eine Zukunft und vor allem einen Arbeitsplatz haben, damit sie ihre Familie ernähren können."

    Und das gilt nicht nur für den Jemen. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Lage von gut ausgebildeten jungen Leuten, viele mit Hochschulabschluss, so schlecht wie in Nordafrika. Selbst im reichen Saudi-Arabien, erklärt Sebastian Sons, wo Gastarbeiter die schlechten Jobs verrichten, sind gute Stellen am Arbeitsmarkt rar. Via Internet wissen die jungen Leute, wie anderswo auf der Welt gelebt und gearbeitet wird, und sie erfahren über das Netz auch, wie korrupt die politische Führung bei ihnen zu Hause ist.

    Die soziale Bombe in den arabischen Ländern tickt weiter. Deshalb geht es nicht nur um die Vertreibung von Diktatoren und um demokratische Freiheiten, es geht um Gerechtigkeit und vor allem darum, dass die junge Generation eine Perspektive erhält.

    "Wir sehen einen langen Transformationsprozess, der eigentlich gerade erst begonnen hat, oder wie man auch sagen kann, die arabische Welt durchlebt eine historische Stunde, aber wir haben gerade mal die ersten fünf Minuten davon gesehen. Die Umbrüche in der arabischen Welt werden auch im Jahr 2012 nicht zu Ende gehen, sondern uns sicher noch eine Dekade lang beschäftigen."

    Der Politikwissenschaftler Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die Stiftung hat der Bundesregierung ein konkretes Projekt vorgeschlagen, das den arabischen Ländern in den Mühen der Ebene helfen und umgekehrt uns, angesichts des Fachkräftemangels hierzulande, nutzen könnte.

    "Dabei würde es darum gehen, ... 30.000 Visa pro Jahr zur Verfügung zu stellen, mit denen Hochschulabgänger, junge Ärzte, Pharmazeuten und andere für eine vier, fünf-, sechsjährige Periode bei uns mitarbeiten können, ein Jahr als Trainee in einer Institution oder einer großen Firma und dann weitere vier, fünf Jahre, um als junger Ingenieur in einer Baufirma oder einer Technologiefirma mitzuarbeiten, um nach Abschluss dieser Zeit mit einem Unternehmensgründungskredit in ihren Ländern selbst Arbeitsplätze schaffen zu können."


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