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Demontage zweier Großbürger

Auf welch spannende und schließlich unheilvolle Weise die Schimären der Eifersucht von der Realität Besitz ergreifen können, zeigt der italienische Großmeister Luigi Malerba in seinem jüngsten Roman "Römische Gespenster". Malerba macht sich einen ebenso feinsinnigen wie boshaften Spaß daraus, zwei Vertreter des Großbürgertums in ihren moralischen Grundfesten zu erschüttern.

Von Katrin Hillgruber | 21.11.2007
    Befreundete Phantome seien seine Leser für ihn, bekundete Luigi Malerba einmal. Wie könne er die Vorstellungen dieser flüchtigen Wesen beeinflussen? Die Phantome haben ihm seit jeher Kummer bereitet, weil sie sich nicht ausreden lassen, dass die vielen Ich-Erzähler in seinen Büchern nicht mit dem Autor Malerba identisch sind. Und wen lässt er nicht alles auftreten: zwiespältige Figuren, Verbrecher, Kannibalen, Diebe, Erpresser. Oder ein nachdenkliches Huhn aus Kalabrien, das eines Tages beschließt, sein Glück bei der Mafia zu versuchen. Als es bei allen kompetenten Stellen erfährt, es gebe gar keine Mafia, kehrt es auf den Hühnerhof zurück. Fortan wird es selbst für einen Mafioso gehalten, da es nun ebenfalls die Existenz dieser Vereinigung leugnet. Es waren vor allem "Le galline pensierose", die "Nachdenklichen Hühner", die ab 1980 Luigi Malerbas Ruhm als avantgardistischer Meister der großen wie der kleinen Form begründet haben.

    Als Luigi Bonardo wurde er 1927 in Berceto bei Parma geboren und lebt seit 1950 in Rom. Dort arbeitete der Jurist als Werbefachmann, Herausgeber einer Musikzeitschrift und Drehbuchautor. Malerba gehört zu den Gründern der Autorenvereinigung "gruppo 63", die die Überwindung des Neorealismus anstrebte. Mit seinem Roman "Die Schlange" gelang es ihm 1966 als erstem der erklärten Avantgardisten, ohne formale Kompromisse ein breiteres Publikum zu erreichen.

    Am 11. November wird der italienische Großmeister der epischen Ironie achtzig Jahre alt. Auf welch spannende und schließlich unheilvolle Weise die Schimären der Eifersucht von der Realität Besitz ergreifen können, zeigt Luigi Malerba in seinem jüngsten Roman "Fantasmi romani", "Römische Gespenster". "Meine Herren, seien Sie unbesorgt, die Bourgeoisie ist unsterblich" zitiert er eingangs Joseph Roth. Malerba macht sich einen ebenso feinsinnigen wie boshaften Spaß daraus, zwei Vertreter des Großbürgertums in ihren moralischen Grundfesten zu erschüttern.

    Er schildert, wie ein gutsituiertes, in sexuellen Dingen vermeintlich tolerantes Ehepaar seine zwanzigjährige Verbindung allmählich schreibend vernichtet. Clarissa, eine elegante Erscheinung Anfang vierzig, wirkt wie eine Wahlverwandte von Musils feinnerviger Clarisse aus dem "Mann ohne Eigenschaften". Ihr Mann, der Städteplaner und Universitätsdozent Giano, ist seinerseits ist von der fixen Idee einer Urbanistischen Dekonstruktionslehre besessen. Mit ihr will er die Ewige Stadt verschönern. Je ein Hochhaus soll zehn der "ameisenhaufengleichen Wohnblocks" ersetzen, die er als prägend für unsere Zeit empfindet. So würde man nur ein Zehntel des Bodens für die gleiche Bevölkerung benötigen und das alte Rom allmählich wieder erkennen.

    In dem Vornamen Giano steckt der zweiköpfige Gott Janus. Er bestimmt leitmotivisch den Roman, angefangen mit dem Doppeladler des Hauses Habsburg: Genmanipulation oder Habsburg? Diese Frage taucht als Running Gag auf. Clarissa hört den Lieblingswitz ihres Mannes aus dem Mund der leicht vulgären Valeria. Das bestätigt ihren Verdacht, betrogen zu werden. Und in der Tat. Giano frönt einer Liebschaft mit dem "Kondominiums-Flittchen" Valeria. Doppelbödig, zwiespältig gestaltet sich die Gefühlswelt von Clarissa und Giano. Keiner der beiden will sich zu seiner Eifersucht bekennen und sich die Blöße einer Nachfrage oder eines Vorwurfs geben. Stillschweigend wird über die gegenseitigen Treuebrüche hinweggegangen.

    Doch eines Tages beginnt Giano, die Eskapaden seiner Frau mit seinem kränklichen Architekten-Kollegen Federico Zandel schriftlich festzuhalten. Aus dem anerkannten Gehweg-Experten Zandel wird in Gianos Roman Zurlo, er selbst tritt als Bubi auf - ein Name, der für die emsige Leserin Clarissa klingt, als würde ihr ein Hund ins Ohr bellen. Denn für Clarissa ist dieses Buch im Buch allein bestimmt. Heimlich sorgt Giano dafür, dass seine Frau den parallelen Spiegel ihres Lebens zu lesen bekommt, was sie wiederum hektisch notiert. Keiner will den Verdacht gegen den anderen aussprechen, das Eheleben verlagert sich komplett in die Schrift. Einmal schreibt Giano: "Es ist der Roman selbst, der durch Clarissas heimliche Lektüre und ihre Reaktionen, die ich aber unter Kontrolle halte, die kommenden erzählerischen Lösungen bestimmt."

    Schließlich droht ein tödlicher Verdacht. Dem janusköpfigen Konstruktions- und Dekonstruktionscharakter seines Buches entsprechend, bietet der Autor zwei verschiedene Romanausgänge an: einen tragischen und einen tröstlich-optimistischen. Doch zu diesem Zeitpunkt hat sich das Großbürgertum längst selbst demontiert. Mit "Römische Gespenster" erweist sich Luigi Malerba zur Freude seiner Leser als ewig junger Virtuose der Schadenfreude.

    Luigi Malerba: Römische Gespenster. Roman. Aus dem Italienischen von Iris Schnebel-Kaschnitz. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 240 Seiten