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Demos gegen Sachsens Bildungspolitik

In diesem Jahr gingen in Sachsen wegen der extrem hohen Ausfallstunden schon mehrmals Schüler auf die Straße. Jetzt demonstierten die Lehrer vor dem Landtag in Dresden. Sie bezeichnen das von der Landesregierung verabschiedete Bildungspaket 2020 als Mogelpackung, in dem der Lehrermangel heruntergespielt wird.

Von Claudia Altmann | 13.06.2012
    "Es wird zum 4. September vielleicht schon den ersten Crash zumindest an dem einen oder anderen Gymnasium geben."

    Wenn Frank Haubitz an den Schuljahresbeginn in zweieinhalb Monaten denkt, machen sich auf seinem Gesicht Sorgenfalten breit. Dass der Direktor des Gymnasiums in Dresden-Klotzsche die Situation derart zugespitzt beschreibt, gefällt Kultusministerin Brunhild Kurth ganz und gar nicht.

    "Ich kann aus meiner zwanzigjährigen Berufserfahrung sagen, dass, zum jetzigen Zeitpunkt von einem crash zu sprechen, nicht seriös ist."

    Auch Frank Haubitz ist seit 28 Jahren Lehrer, seit 22 Jahren Direktor. Einen unseriösen Eindruck macht der besonnene Mann keineswegs. Er weiß durchaus, wovon er spricht und hat als Vorsitzender des Philologenverbandes, der Vereinigung der sächsischen Gymnasiallehrer, auch den Überblick.

    "Wenn ein Kollege krank wird, dann kann ich definitiv den Unterricht nicht mehr vertreten. Das heißt, an allen Schulen sind pädagogische Ergänzungsbereiche gestrichen worden, zusammengestrichen worden, sodass man derart auf Kante genäht hat, dass der Unterricht zum dritten September zwar abgesichert sein wird. Aber wenn am 4. September zwei Leute krank werden, bricht alles zusammen."

    Und das kann schnell passieren, denn in seinem Kollegium liegt das Durchschnittsalter bei 54 Jahren - nichts Ungewöhnliches in Sachsen. Nach der Wende wurden die Lehrer auf Teilzeit gesetzt und seitdem kaum neue eingestellt. Das fällt dem Freistaat jetzt auf die Füße. In diesem Jahr gehen nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 918 Lehrer aus Altersgründen in den Ruhestand. Das Ministerium hat 655 Neueinstellungen angekündigt. Die bereits jetzt extrem hohen Ausfallstunden haben in diesem Jahr schon mehrmals die Schüler auf die Straße getrieben. Heute machen sich die Lehrer vor dem Ministerium und dem Landtag in Dresden Luft. Sie bezeichnen das von der Landesregierung verabschiedete Bildungspaket 2020 als Mogelpackung, in dem der Lehrermangel heruntergespielt wird. Dabei würden die alarmierenden Zahlen seit Jahren auf dem Tisch liegen.

    "Es ist schon verwunderlich, wenn über Jahre statistisches Material ganz einfach ignoriert wurde. Und das Schlimme daran ist, dass vieles nicht mehr korrigierbar ist. Und das macht schon traurig, dass diese Fehler ja auch nicht von den Verantwortlichen zugegeben werden.

    Immerhin hatte sich im März der damalige Kultusminister Roland Wöller (CDU) von der völlig realitätsfernen Sparpolitik der schwarz-gelben Regierung distanziert und war zurückgetreten. Jetzt versucht seine parteilose Nachfolgerin Kurth dem Finanzminister Gelder abzuringen. Aber scheinbar setzt sie vor allem auf die Solidarität der Lehrerschaft.

    "Und wenn wir alle im System befindlichen Lehrerinnen und Lehrer ganz exakt in ihrem Einsatz für das kommende Schuljahr an den Schulen planen, dann bin ich für den Beginn des Schuljahres sehr, sehr zuversichtlich."

    Aber nicht hundertprozentig sicher. Die protestierenden Lehrer wollen ihr heute ihr eigenes Forderungspaket übergeben. Darin verlangen sie auch, dass Sachsen endlich für diesen Beruf attraktiver wird. Am Gymnasium von Frank Haubitz gehen in diesem Jahr neun Mathe- und Physiklehrer in Rente.

    "Dort hab ich ganz einfach Angst, dass ich diese Lücken nicht schließen kann, weil ganz einfach keine Studenten da sind, keine Referendare da sind. Und ob aus den alten Bundesländern jemand nach Sachsen kommt, das wage ich ganz einfach zu bezweifeln. Wenn wir hier in einem Lohnniedrigland sind, einem Land, wo die schlechtesten Gehälter für Lehrer bezahlt werden."

    Nämlich bis zu 500 Euro netto weniger als etwa in Bayern oder Hessen. Außerdem werden in Sachsen Lehrer nicht verbeamtet. Einen Pisa-Spitzenplatz kann man so nicht mehr lange halten. Mit diesen Lorbeeren wird sich die Regierung bald nicht mehr schmücken können, sagt Renate Eichele vom Sächsischen Lehrerverband.

    "Es wird unter den jetzigen Bedingungen nicht mehr möglich sein. Die Kollegen sind wirklich verschlissen und ausgelaugt, müssen viele zusätzliche Aufgaben machen, fühlen sich auch immer dafür verantwortlich. Aber es geht einfach nicht mehr."