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"Den Gottesdienst möchte ich stärken"

Dass sie die erste Frau ist, die den Vorsitz der Evangelischen Kirche innehat, ist für Margot Käßmann kein großes Thema. Sie will den Glauben stärken, das Gespräch mit der Politik aktiv suchen, sich mehr um Kinder in Deutschland kümmern und: hat eine dezidierte Meinung zum selbstbestimmten Tod.

29.10.2009
    Friedbert Meurer: Es ist eine Prämiere für die Evangelische Kirche in Deutschland, wie sie in der Katholischen Kirche undenkbar ist. Die evangelische Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, steht seit gestern an der Spitze des Rats der EKD. Sie folgt damit im Amt Wolfgang Huber nach. Der galt als scharfsinniger Intellektueller. Seine Nachfolgerin hat eher viel Gemeindeerfahrung hinter sich. Wie entwickelt sich die Evangelische Kirche unter ihr weiter? – Ich begrüße die neue EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Guten Morgen und einen herzlichen Glückwunsch an Sie.

    Margot Käßmann: Guten Morgen und vielen Dank.

    Meurer: Was bedeutet das für die Evangelische Kirche in Deutschland, dass jetzt an der Spitze eine Frau steht?

    Käßmann: Ich denke, zunächst bedeutet es, dass das gilt, was wir seit Jahrzehnten sagen, aus biblisch-theologischen Gründen spricht nichts dagegen, dass Frauen alle Ämter in der Evangelischen Kirche wahrnehmen können, und das wird jetzt auch an dieser Stelle sichtbar.

    Meurer: Die Kollegen von der "Frankfurter Rundschau" nennen Sie heute Morgen "Nebenpäpstin". Passt das, oder ist Gegenpäpstin noch besser?

    Käßmann: Nein, das passt überhaupt nicht, weil wir ja als Evangelische Kirche kein Papstamt haben und auch sagen, wir wollen Kirche miteinander leiten, Laien und Ordinierte, Männer und Frauen und Hauptamtliche und Ehrenamtliche. Das heißt, Leitungsaufgabe ist nicht an einer Person festzumachen, sondern das ist vielfältig.

    Meurer: Glauben Sie, dass einige Katholiken sich da ein bisschen provoziert fühlen werden?

    Käßmann: Das denke ich nicht. Gestern war schon Bischof Fürst hier von der Diözese Rottenburg-Stuttgart und hat mir einen sehr warmherzigen Glückwunsch der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz überbracht, und es ist ja nicht so, dass ich nun ganz neu wäre. Ich bin seit über zehn Jahren Landesbischöfin der Hannoverschen Landeskirche mit drei Millionen Mitgliedern. Also, ich bin nicht so fremd für Katholiken.

    Meurer: Frau Käßmann, normalerweise frage ich nicht nach privaten Dingen, aber auf der Synode in Ulm, wo Sie ja auch noch sind, hat eine Rolle gespielt, dass Sie geschieden sind. Sind diese Vorbehalte mit der Wahl ausgeräumt?

    Käßmann: Ich denke, die Synode hat da ein sehr klares Votum abgegeben. Die Synode hat das nicht diskutiert, andere haben das diskutiert, und hat bei einer Wahl von 142 Stimmen mir 132 Stimmen gegeben und damit sehr deutlich gesagt, das ist hier nicht das Thema.

    Meurer: Ich lese, konservative Vertreter haben verwiesen auf die Vorbildfunktion einer EKD-Ratsvorsitzenden. Was entgegnen Sie?

    Käßmann: Ich entgegne, dass bei uns auch Menschen scheitern können. Wir wissen gerade als Christen und gerade von der Rechtfertigungslehre her, dass es im Leben Brüche geben kann und wir diese Brüche Gott anvertrauen und nicht uns selbst gerechtsprechen und sagen, dass wir selbst durch unsere Leistung ein guter und perfekter, vollkommener Mensch werden, sondern das ist Gottes Gnade, wie wir theologisch sagen, oder das ist von Gott zugesagt und das gilt auch im persönlichen Leben.

    Meurer: Sind Sie, Frau Käßmann, näher am Leben dran als Ihr Vorgänger?

    Käßmann: Zunächst möchte ich sagen, dass inhaltlich Wolfgang Huber und mich nicht viel unterscheidet. Wir kennen uns seit 1981 wirklich gut und bei den meisten Positionen haben wir völlig übereingestimmt. Wir sind natürlich zwei verschiedene Typen. Ich denke, darum geht es eher. Wolfgang Huber ist ein großartiger Vordenker gewesen. Mit seiner universitären Erfahrung konnte er vieles so intellektuell schnell auffassen. Das ist vielleicht nicht meine allererste Gabe. Dass ich die Gemeindeerfahrung stärker mitbringe, ist vielleicht ein unterschiedlicher Ausgangspunkt, aber inhaltlich wird sich da nichts ändern.

    Meurer: Dieser unterschiedliche Ausgangspunkt könnte auslösen, Frau Käßmann: an der Basis werden ja Gemeinden reformiert, Kirchen werden verkauft, es werden Gemeinden zusammengelegt. Wollen Sie hier umsteuern, wie Sie gestern angekündigt haben?

    Käßmann: Ich habe ein großes Herz für die Gemeinde vor Ort, weil ich erlebt habe, dass Menschen sich da an ihren Glauben und ihre Kirche binden. Wo sie getauft und konfirmiert sind, wo sie sich haben kirchlich trauen lassen, wo die Eltern beerdigt wurden, da beheimatet sich dann auch der Glaube. Deshalb liegt mir daran, Gemeinden zu stärken. Wir werden den Reformprozess nicht aufhalten können. Wir brauchen Veränderung. Das wissen wir und ich finde, wir sollten auch keine Angst vor Veränderung haben, sondern mutig nach vorne gehen. Die Kirche der Reformation muss sich immer reformieren, hat Luther gesagt. Aber ein Auge darauf zu haben, dass die Gemeinden sich ermutigt fühlen und nicht nur ständig diesen Druck erfahren, das ist mir schon wichtig.

    Meurer: Wie wollen Sie das machen?

    Käßmann: Ich denke, wir können beim Reformprozess jetzt deutlich machen: Wir haben Modelle guter Praxis beispielsweise gesammelt: was können Gemeinden eigentlich tun, um sich zu entlasten. Ich bin überzeugt, dass Pastorinnen und Pastoren – das wollen auch unsere Gemeindeglieder, wissen wir aus Umfragen – sich hauptsächlich auf Seelsorge und Verkündigung konzentrieren und dann aber Ehren- und Hauptamtliche um sich sammeln, die gemeinsam Verantwortung und Aufgaben wahrnehmen. Da gibt es gute Modelle inzwischen. Und auch den Gottesdienst möchte ich stärken, dass es eine neue Lust am Gottesdienst und eine Liebe zum Gottesdienst gibt, weil das ist für mich der Ausgangspunkt.

    Meurer: Wie wollen Sie erreichen, dass wieder mehr Gläubige in die Kirche gehen?

    Käßmann: Indem sie spüren, dass ihre Lebens- und Sinnfragen dort Antwort finden. Jeder Mensch muss sich doch einmal im Leben fragen, warum bin ich eigentlich hier, was bedeutet mein Leben, wie gehe ich mit meinem eigenen Sterben um, und dann zu wissen, die Kirche hat offene Türen, da sind Menschen mit Antworten, die sie anbieten können, und da kann ich mich verwurzeln in meinem Leben, das deutlich zu machen, die Türen weit auf und einladen.

    Meurer: Sie haben gestern angedeutet, die Tür zur Sterbehilfe zu öffnen. Wie war das gemeint?

    Käßmann: Es gab ja ein Grußwort des Schweizer Kirchenpräsidenten, der gesagt hat, vielleicht seid ihr in Deutschland aufgrund euerer Vergangenheit in eueren Kirchen so rigoros im Denken, dass Menschen nun in die Schweiz kommen, denkt darüber noch einmal nach. Daran habe ich angeknüpft. Ich finde schon, wir müssen diesen Wunsch hören nach einem selbstbestimmten Tod. Ich bin gegen aktive Sterbehilfe, das will ich ganz klar sagen, aber noch einmal fragen, wie wir Menschen besser ermutigen können, ihren eigenen Tod zu bedenken, und dass Patientenverfügungen jetzt mit dem neuen Recht auch wahrgenommen werden. Ich finde, wir sollten das nicht so scharf ablehnen als Evangelische Kirche.

    Meurer: Müssen Sie nicht für das Leben stehen?

    Käßmann: Natürlich stehe ich für das Leben ein, aber ganz klar und ich habe auch ganz klar eben gesagt, das wiederhole ich noch mal, dass ich absolut gegen aktive Sterbehilfe bin. Aber Menschen zu begleiten auf ihrem Weg ins Sterben, passive Sterbehilfe zu leisten, zu wissen, dass Palliativmedizin, also schmerzlindernde Medizin sehr oft auch dazu führen kann, dass der Tod vorzeitig eintritt, wenn es auf das Sterben schon zugeht, ich finde, wir müssen respektieren, dass Menschen das für sich selbst entscheiden wollen.

    Meurer: Wie sehr wollen Sie sich in unserer Gesellschaft in Politik einmischen, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, Frau Käßmann?

    Käßmann: Ich bin nicht parteipolitisch gebunden und ich finde, die Evangelische Kirche sollte auch gesprächsfähig mit allen demokratischen Parteien sein. Aber natürlich werden wir uns einmischen. Gerade die soziale Frage am Lebensbeginn treibt mich um, dass jedes sechste Kind in Deutschland in Armut aufwächst und so wenig Bildungschancen dann hat, und diese Kinder selbst, wie die Jugendstudie und Kinderstudie gezeigt hat, nicht mehr glauben, dass sie eine andere soziale Situation für sich sozusagen durch Bildung erkämpfen können. Das finde ich erschütternd und ich finde, da müssen wir ansetzen, und zwar viel früher als bei der Einschulung. Ich halte es für eine Fehleinschätzung in Deutschland, dass gemeint wird, mit der Schule fängt der Ernst des Lebens an. Wir wissen, dass die entscheidenden Weichen viel früher gestellt werden.

    Meurer: Ich mache es mal konkret. Soll man auf die Kindergelderhöhung verzichten und lieber für die frühkindliche Bildung das Geld ausgeben?

    Käßmann: Ich bin dafür, dass jedes Kind auf jeden Fall einen Kita-Platz hat, und zwar möglichst kostenfrei einen Kita-Platz hat, und dass die Frühförderung schon in der Kindertagesstätte ganz klar anfängt.

    Meurer: Schönen Dank! – Das war Margot Käßmann, die neue EKD-Ratsvorsitzende, in Ulm jetzt für uns im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören, Frau Käßmann.

    Käßmann: Auf Wiederhören!