Freitag, 19. April 2024

Archiv


Den Westen im Fokus

Vor zehn Jahren ging Al-Dschasira auf Sendung, der erste unabhängige Nachrichtensender in der arabischen Welt. Seitdem hat sich die arabische Medienlandschaft gewandelt. Anstelle von endlosen Beiträgen über Staatsempfänge und Parteikongresse liefern private Satellitensender unabhängige und kritische Informationen - auch über den Westen.

Von Abdul-Ahmad Raschid | 19.08.2006
    "Die arabischen Medien hatten großen Anteil daran, dass der Westen verstanden wurde. Ich denke, jeder durchschnittliche arabische Medienkonsument weiß nun einiges mehr über das amerikanische System, die christliche Religion und viele andere Dinge im Westen, als eine normale Person im Westen über den Nahen Osten oder die arabische Welt weiß."

    so das Statement von Nakhle El-Hage, Leiter der Abteilung "Nachrichten und Aktuelles" beim Fernsehsender Al-Arabija in Dubai. Nach den Terrorattentaten des 11. September sei das Interesse der Menschen im Nahen Osten an Informationen über den Westen stark gestiegen, so der Journalist. Denn auch beim arabischen Publikum hätte der Schock über die Brutalität der Anschläge tief gesessen. Dadurch sei aber das Bewusstsein darüber gestiegen, wie wenig man doch von der westlichen Welt verstehe. In vielen Sendungen bemühten sich die arabischen Sender seitdem, die Menschen über das Leben im Westen aufzuklären und bestehende Vorurteile zu beseitigen. Die Zuschauer hätten sich zudem an eine Berichterstattung durch unabhängige Sender gewöhnt:

    "Nach dem 11. September konnten wir in den letzten fünf Jahren die Einführung von 150 Satellitenkanälen beobachten. ... Ich glaube, fünf Jahre nach dem 11. September haben die Araber ein größeres Bewusstsein davon, was die Menschen im Westen von ihnen denken. Dennoch sind sie offener für arabische Medien als für westliche."

    Doch dem Journalisten des Senders Al-Arabija geht es nicht nur um Eigenlob. Er kritisiert auch den Umstand, dass die westlichen Medien es sich trotz der Ereignisse vom 11. September nicht zur Aufgabe gemacht hätten, ihre Konsumenten ausreichend über die arabisch-muslimische Welt zu informieren. Die westliche Berichterstattung fixiere sich lediglich auf Terroranschläge und ihre Folgen. Kulturelle Themen hingegen seien eher die Ausnahme, so El-Hage. Der Journalist Khaled Hroub ist Leiter des Cambridge Arab Media Project, einer unabhängigen Institution in England, welche die Aufgabe hat, die Berichterstattung arabischer Medien zu analysieren und auszuwerten. Er bemerkt durch die verstärkte arabische Berichterstattung auch eine wachsende Unabhängigkeit von westlichen Medien:

    "Die arabischen Medien waren relativ erfolgreich darin, das westliche Monopol im Nahen Osten zu brechen. Früher haben die arabischen Medien auf die westlichen Medien gewartet, um über die Neuigkeiten in ihrer eigenen Region zu berichten. Das war eine sehr unschöne Situation. Das hat sich jetzt allerdings geändert."

    Dennoch laufe die Berichterstattung nicht immer reibungslos ab, so Al-Arabija-Mitarbeiter Nakhle El-Hage. Vor allem gelte es, gewisse Tabus zu beachten. Eines davon sei, die religiösen Gefühle der Zuschauer nicht zu verletzen, egal, ob es sich dabei um die muslimische Mehrheit oder die christliche Minderheit unter den Arabern handele. Außerdem sei es nicht immer leicht, sich dem Einfluss der rigide geführten arabischen Politik zu entziehen, so El-Hage:

    "Zu jeder Zeit kann jede arabische Regierung das Büro von Al-Dschasira oder Al-Arabija aus jedem erdenklichen Grund schließen. Dies beeinträchtigt natürlich die Berichterstattung."

    Dies erfordere von den Journalisten vor Ort eine starke Moral, so Khaled Hroub, der auch als Moderator für den Sender Al-Dschasira tätig ist:

    "Als Journalist in dieser Region riskierst Du nicht nur, ins Gefängnis gesteckt zu werden, sondern auch Dein Leben. Du musst also ein Kämpfer sein. Du hast nicht den Luxus des westlichen Journalisten, der seine Agentur und seine Botschaft im Rücken hat. Wenn Du als arabischer Journalist die Wahrheit ans Licht bringen willst, musst Du viele Risiken eingehen. Das ist nicht immer leicht."

    Viele westliche Journalisten werfen den arabischen Fernsehsendern vor, mit sehr extremen und brutalen Bildern in ihrer Berichterstattung zu arbeiten. Aufnahmen von toten und entstellten Körpern sind keine Seltenheit. Auch in der jüngsten Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon haben viele Sender nicht vor der Ausstrahlung solcher Bilder zurückgeschreckt. Der Medienexperte Khaled Hroub wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, die arabischen Medien versuchten auf diese Weise, ihre Zuschauer zu manipulieren. Die emotionale Komponente des Konflikts alleine verursache schon eine gewisse Betroffenheit bei den Betrachtern:

    "Wenn diese Dinge tagtäglich passieren, dann kann man von den arabischen Medien nicht erwarten, dass sie mit kühlem Kopf darüber berichten. Hinzu kommt, dass diese Bilder, ich meine das Blut und das Sterben, leider ein Teil der Realität sind. Wir haben die Pflicht, darüber zu berichten, um diejenigen, die dieses Leid verursachen, zu stoppen. Es sind nicht die Medien, die töten. Wer den Tod verursacht, ist die Politik. Ändere die Politik, dann wird das Töten aufhören, und die Medien brauchen nicht mehr darüber berichten."