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Denison: Snowden ist nach amerikanischem Rechtsverständnis ein Verbrecher

In einer Demokratie gibt es Geheimnisse; wer diese verrät, könne im Gefängnis landen, meint Andrew Denison, Leiter des Transatlantic Network. Denison sieht nicht in der totalen staatliche Kontrolle im Netz ein Problem, sondern in einer nicht funktionierenden Aufsicht der staatlichen Überwachung.

Andrew Denison im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.06.2013
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Andrew Denison, Leiter des Transatlantic Network. Guten Tag.

    Andrew Denison: Frau Schulz, schönen guten Tag.

    Schulz: Herr Denison, offenbar stoßen die USA mit ihren Auslieferungsersuchen auf taube Ohren. Warum sorgt das für so viel Empörung?

    Denison: Ich glaube, wenn Edward Snowden nach Deutschland kommen würde, sähe es anders aus. Aber in China, obwohl es da auch ein Auslieferungsabkommen gibt, oder in Moskau, oder Venezuela, oder Ecuador, da wird es schwierig sein für Amerika, ihn wieder auf amerikanischen Boden zu bekommen.

    Schulz: Sie stoßen da offensichtlich auf rechtliche Grenzen. Warum tun sich die USA so schwer damit, die rechtlichen Grenzen von souveränen Staaten anzuerkennen?

    Denison: Ich glaube nicht, dass wir jetzt ein Kommando schicken werden, wie die Israelis es mal hinter Eichmann hergeschickt haben, um Snowden zu schnappen und wieder nach Amerika zu bringen, sondern dann müssen wir einfach erkennen, dass dieser Mann zwar nach amerikanischem Rechtsverständnis ein Verbrecher ist, und man wird weiterhin versuchen, ihn wieder auf amerikanischen Boden zu bekommen. Aber es gibt viele Verbrecher da draußen, die nicht nachhause kommen. Das ist ein Teil der Frage.
    Diese Snowden-Krise für die Obama-Regierung hat natürlich eine unheimliche Diskussion nicht nur in Amerika, sondern weltweit ausgelöst, wie geht man damit um in unserem Internet-Zeitalter, mit den unendlichen Datenmengen, wer darf da reinschauen, wer nicht. Das ist vielleicht ein Vorteil, aber es ist auf der anderen Seite klar: Dem Snowden ist nach amerikanischem Rechtsverständnis eindeutig jetzt vorgeworfen worden, ein Schwerverbrechen begangen zu haben.

    Schulz: Er hat aber trotzdem vor allem in Europa auch viel Sympathien auf seiner Seite. Was haben die Europäer da falsch verstanden?

    Denison: In Amerika hat er auch viel Sympathie. Er hat mehr Sympathie unter Republikanern als Demokraten, hat auch mehr Sympathie zum Beispiel unter Tea Party Leuten, die sowieso der Staatsmacht misstrauen. Ein bisschen mehr Sympathie genießt Obama jetzt bei den Demokraten. Die denken in einer Mehrheit, dass es schon falsch war, was er gemacht hat, und dass es auch akzeptabel ist, dass der NSA abhört. Aber gut: in Europa und gerade in Deutschland hat man ein anderes Verständnis von Datenschutz, von Privatsphäre, und das ist verständlich. Ihr habt ja auch eine andere Geschichte hier. Es gibt unterschiedliche Meinungen, es ist kompliziert. Amerika ändert sich auch, nach einer Krise natürlich viel strenger, aber jetzt, über zehn Jahre nach 9.11, gibt es noch viele Restgesetze, die ein bisschen Aufmerksamkeit verdienen – kein Zweifel.

    Schulz: Viele Menschen in Europa, die halten Snowden, um bei dem Punkt noch mal kurz zu bleiben, für einen sehr mutigen Mann, der für sein Gewissen vieles geopfert hat, auch zum Beispiel die Bindung an seine Familie. Er wird hier für einen Helden gehalten. Was halten Sie da entgegen?

    Denison: Nun gut, in Amerika waren Outlaws auch immer ein bisschen Helden und in Amerika genießt auch Snowden unter bestimmten Milieus Anerkennung, auch wieder Jugendlichen, obwohl sie es akzeptieren, dass diese Daten ausspioniert werden, um Terroristen zu jagen, wenigstens mehr als die 68er-, die Jugendlichen. Auf der anderen Seite wollen die ihn nicht verhaftet sehen, die erkennen sein Ethos, gegen den Großen mal die Wahrheit zu sprechen, und ich kann schon verstehen, warum man eine gewisse Sympathie für ihn hat. Aber am Ende des Tages ist es wie bei Bradley Manning und vielen anderen vor ihm: In einer Demokratie haben wir auch Geheimnisse. Das ist in gewissem Sinne ein Widerspruch, aber wenn man diese Geheimnisse verrät, dann kann man auch im Gefängnis landen.

    Schulz: Sie haben auch gerade so argumentiert, dass er ja keinen Gesetzesverstoß enthüllt hat. Aber wenn es kein Verstoß gegen ein Gesetz ist, so eine gigantische Menge von Daten abzuschöpfen, kann es dann vielleicht sein, dass die US-Datenschutzgesetze einfach zu lasch sind?

    Denison: Das eher. Ich meine, alle haben Angst vor der totalen Kontrolle, aber vielleicht sollten wir Angst in diesem Internet haben vor der ausbleibenden Kontrolle überhaupt. Ich erhoffe mir eine gegenseitige Kontrolle. Ich will, dass die NSA-Sicherheitsbedrohungen abhört, aber ich will nicht, dass diese Daten benutzt werden für politische Vorteile, gegen Tea Party zum Beispiel oder National Rifle Association, ich will nicht, dass diese Daten für wirtschaftliche Vorteile benutzt werden, ich will nicht, dass das Coca-Cola-Geheimrezept jetzt irgendwie rauskommt, auch von der NSA aus irgendwelchen Gründen, weil die Pepsi-Cola-Leute Barack Obama unterstützen und die Coca-Cola-Leute nicht. Das ist sicher ein Graben. Aber ich denke, wenn wir Kongress und Gerichte haben, die da reinschauen, und dass es auch politisch nachhaltig ist, dass es einen gewissen Konsens in Amerika gibt, das ist die richtige Balance, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

    Schulz: Aber die Gerichte – das ist jetzt auch bekannt geworden -, die haben zwar jede Überwachungsmaßnahme in die Hand genommen und kontrolliert, aber die haben auch nahezu jeden Überwachungsschritt durchgewunken. Was macht Sie denn so sicher, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, dass das Rezept von Coca-Cola geheim bleiben kann?

    Denison: Geheim bleiben ist eine Frage. Die andere Frage ist, gehen die zu weit, schauen sie die Inhalte der E-Mails an und nicht nur die Anschriften, die da draufstehen.

    Schulz: Was ist Ihre Antwort auf diese Frage? Wird da zu weit gegangen?

    Denison: Da gibt es zwar sehr viel Zustimmung zu diesen geheimen Gerichten und da könnte man sich fragen, vielleicht ist es einfach abgestempelt und weitergegeben. Aber wenn man näher schaut, dann sieht man, es gibt auch mehrere Punkte, wo diese Gerichte oder andere Instanzen formell geklagt haben und gesagt haben, das geht zu weit, ihr müsst das jetzt einschnüren. Daher bin ich nicht bereit, diese Gerichte abzuschreiben. Natürlich auf der anderen Seite, Frau Schulz: Jeder Staatsapparat ist eine Bürokratie und die wollen mehr Informationen haben und sie werden ein höheres Budget haben und deshalb braucht man diese gegenseitige Kontrolle. Aber das gleiche Problem gilt zum Beispiel für die Steuerbehörde. Die haben unheimliche Informationen, Geld ist ja auch Macht, nicht nur Information, aber wir trauen dieser Steuerbehörde, diese Macht nicht zu missbrauchen für politische Vorteile, oder auch, um wirtschaftliche Unternehmen zu unterstützen, das eine oder andere.

    Schulz: Der Politikwissenschaftler Andrew Denison, heute bei uns in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!

    Denison: Mein Vergnügen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.