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Denkevolution

Verhaltensforschung. - Das menschliche Gehirn ist dreimal größer als das des Schimpansen, aber was bewirkt das? Sind Menschen generell intelligenter als Menschenaffen, oder verschaffen die zusätzlichen grauen Zellen unserer Art spezielle Fähigkeiten? Dieser Frage sind Forscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in einer einmaligen Studie nachgegangen, sie haben Schimpansen, Orang-Utans und Kleinkinder direkt gegeneinander antreten lassen. Heute erscheint ihr Bericht in Science.

Von Volkart Wildermuth | 07.09.2007
    Schimpansen sind intelligent, sie angeln mit Halmen nach Termiten und spinnen Intrigen in ihrer Horde. Menschen aber sind intelligenter, sie fliegen zum Mond, spekulieren an der Börse und lösen Sudokus. So weit sind sich alle Forscher einig. Die offene Frage lautet: ist das menschliche Gehirn einfach die nächste Generation Denkorgan, schneller und mit mehr Speicher? Oder gibt es eine spezielle neue Errungenschaft, die den Vorsprung des Homos sapiens ermöglicht? Um diese Frage zu klären reiste Esther Herrmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie von Leipzig nach Uganda weiter in den Kongo und nach Indonesien. Im Gepäck hatte sie Eimerchen, Schälchen, Röhren und vor allem ganz viele Rosinen und Spielzeuge - Material für eine breite Palette von Aufgaben, die sie 106 Schimpansen, 32 Orang-Utans und 105 Kindern im Alter von 2,5 Jahren stellte. Herrmann:

    "Genau mit der gleichen Methode, und die gleichen Tiere haben an allen Tests teilgenommen. Somit ist es zum ersten Mal möglich einen richtig guten Vergleich zu starten in den verschiedenen Bereichen und das war vorher nicht wirklich möglich."

    Die 16 Aufgaben ließen sich grob in zwei Kategorien einteilen, in solche, bei denen es um Probleme in der Umwelt ging und in solche, mit einer sozialen Komponente. So mussten die Affen und Kinder mit einem Stock Futter oder ein Spielzeug heranholen. Sogar die Rechenkünste wurden überprüft. Dabei mussten sich die Versuchsteilnehmer zwischen einer Schüssel mit drei Rosinen und einer mit zweien entscheiden, denen Esther Hermann dann aber noch zwei weitere zugefügt hatte. Herrmann:


    "Und da war das Ergebnis folgendermaßen, dass wir gefunden haben, dass Schimpansen besser diese Aufsummierung gemeistert haben als zweieinhalbjährige Kinder."

    Bei den Einzelaufgaben im Umweltbereich lag mal die eine mal die andere Art vorn, unterm Strich gab es kaum Unterschiede. Ein ganz anderes Bild ergab sich aber bei Tests, die soziale Intelligenz verlangten. Besonders eindrucksvoll war eine Aufgabe, bei der es ums Lernen durch Nachahmung ging. Ester Herrmann machte dabei vor, wie eine Dose mit einem Stock zu öffnen ist. Herrmann:

    "Was man gesehen hat, ist, dass Kinder genau die gleiche Handlung nachahmen, also fast alle Kinder, den Stock nehmen, einführen und rausstoßen. Wohingegen die Menschenaffen nicht das Gleiche gemacht haben. Sie haben versucht, auch an das Futter heranzukommen, sie waren sehr motiviert, aber haben eher ihre eigene Technik angewendet, haben vielleicht versucht, das aufzubeißen oder zu zerbrechen oder auch mit dem Stock ein bisschen herumzuhantieren, aber haben nicht die gleiche Handlung nachgeahmt."

    Nun könnte man sagen, die Schimpansen verwenden eben ihr eigene, bewährte Strategie. Aber auch in ihrer natürlichen Umwelt lernen sie nur durch Versuch und Irrtum und nicht durch Nachahmen. Auch bei den sozialen Aufgaben schnitten einzelne, besonders clevere Schimpansen, besser ab als einzelne Kleinkinder. Doch zusammengenommen ist das Ergebnis eindeutig: anders als bei den Umweltaufgaben lassen die Kinder die Menschenaffen im sozialen Bereich weit hinter sich. Schlechte Nachrichten für die Vertreter der Generellen-Intelligenz-Hypothese, die vermuten, dass das Mehr an Gehirn die Denkfähigkeit ganz allgemein anhebt. Herrmann:

    "Die haben wir widerlegt, weil wir festgestellt haben, ok, Kinder sind nicht überall besser, sondern wirklich in den sozialen kognitiven Fähigkeiten. Wohingegen unsere Ergebnisse die kulturelle Intelligenzhypothese unterstützen, die besagt dass Menschen spezielle kognitive Fähigkeiten im Bereich der sozialen Kognition haben und mit Hilfe dieser speziellen Fähigkeiten es ihnen ermöglicht, erst einmal Kultur aufzubauen, in einer Kultur zu leben und von dieser Kultur zu profitieren."

    Für Esther Herrmann stellen die sozialen Fähigkeiten eine Art geistiges Sprungbrett dar, das es den Kindern ermöglicht ihre Intelligenz ganz allgemein zu steigern. Den Mathevorsprung ihrer nächsten Verwandten holen sie deshalb schnell ein.