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"Denn die meisten von Euch sind Brennholz der Hölle"

Der traditionelle Islam scheint mit einem modernen Frauenbild nicht vereinbar zu sein. Schleier, Zwangsheirat und Frauenbeschneidung bestimmen die öffentliche Wahrnehmung. Was aber sagen die Quellentexte des Islams zur Frauenthematik?

Von Stefan Weidner | 02.07.2009
    Seit dem Mittelalter gibt es in der islamischen Welt kommentierte Sammlungen der zu diesem Thema überlieferten Hadithe, der Aussprüche des Propheten. "Das Buch der Weisungen für die Frauen" des im Jahr 1200 verstorbenen Bagdader Religionsgelehrten Ibn al-Djauzi, eines der bis heute am meisten gelesenen dieser Werke, wurde jetzt von der jungen Berliner Arabistin Hannelies Koloska ins Deutsche übersetzt. Die spannende Frage lautet: Bestätigt der mittelalterliche Gelehrte unser Bild von der islamischen Frauenfeindlichkeit oder lässt sich aus den Quellen auch ein anderes Frauenverständnis herausarbeiten? Bereits ein flüchtiger Blick auf die Überschriften der 110 kurzen Kapitel stimmt skeptisch. Kapitel 60 etwa trägt den verwunderlichen Titel: "Von dem In-Furcht-Versetzen der Frauen vor den Sünden und ihrer Unterrichtung davon, dass sie die meisten Höllenbewohner stellen"

    [Es wurde] Überliefert von Usama ibn Zaid, dass der Gesandte Gottes sagte: "Ich stand am Tor zum Paradies, und die Mehrzahl derer, die hineingingen, waren die Armen. Ich stand am Tor zum Feuer, und die Mehrzahl derer, die hineingingen, waren Frauen." Von Djabir wurde überliefert: "Der Gesandte Gottes sprach zu den Frauen: 'Gebt Almosen, den die meisten von euch sind Brennholz der Hölle.' Eine Frau mit dunkel gefärbten Händen aus den Reihen der Frauen stand auf und fragte ihn: 'Warum, Gesandter Gottes?' Er antwortete: 'Weil ihr das Übel vermehrt oder immerzu flucht und dem Gatten gegenüber undankbar seid.'

    Es wäre keinem Leser - und erst recht keiner Leserin - zu verübeln, wenn sie das Buch spätestens an dieser Stelle zuklappten und das Frauenbild des Islams für einen hoffnungslosen Fall erklärten. Sie täten damit exakt dasselbe, was feministische, muslimische Forscherinnen mit al-Djauzi tun, nämlich ihn als Musterbeispiel patriarchalischer und frauenfeindlicher Denkstrukturen zu verurteilen. Aber gerade weil "Das Buch der Weisungen für Frauen" ein solches Musterbeispiel ist, erfreut es sich in konservativen Islamkreisen bis heute großer Beliebtheit und ist in mehreren Neueditionen leicht greifbar. Nicht als Gegenbild, sondern als Angelpunkt des problematischen islamischen Frauenbildes ist die Veröffentlichung von al-Djauzi auf deutsch wichtig.

    Die sorgfältige Kommentierung der Herausgeberin ermöglicht es, die problematischen Argumentationen dingfest zu machen. Vergleichbare frauenfeindliche Schriften lassen sich natürlich auch im christlichen und jüdischen Mittelalter finden. Allerdings beruft sich heute, anders als im Islam, kaum jemand mehr darauf. Hannelies Koloska versucht daher, in ihren Kommentaren Lesarten vorzuschlagen, die es konservativen Muslimen erschweren sollen, mit al-Djauzi zu argumentieren. Ein Beispiel dafür bietet die von manchen Kritikern als skandalös bezeichnete Passage, in der al-Djauzi für die Frauenbeschneidung plädiert.

    Über die Sitte der Beschneidung überliefert Abu Dawud: "In Medina gab es eine Frau, die beschnitt. Der Prophet, Gott segne ihn und spende ihm Heil, sprach zu ihr: 'Beschneide nicht viel! Das ist zum Vorteil der Frau und ist für den Mann anziehend.'" Der Gesandte Gottes meinte mit seiner Rede "Beschneide nicht viel", dass man vom Geschlecht der Frau nur so viel abschneide, dass es ihr zu einem Grad der Mäßigung verhelfe, denn wenn die Begierde gänzlich abnimmt, versiegt auch der Genuss. Solches aber führt zur Verminderung der Liebe zwischen den Eheleuten, die bekanntermaßen eine Fessel ist, welche von Unzucht abhält.

    Ein genauer Blick auf von al-Djauzi als Beweis angeführten Prophetenhadithe erweist nun, dass diese unter den meisten Rechtsgelehrten als unecht und damit nicht verpflichtend gelten. Sogar die Vertreter von al-Djauzis eigener Rechtsschule, die konservativen Hanbaliten, lehnen die Frauenbeschneidung ab. Genau hier müsste eine Kritik an den Beschneidungspraktiken ansetzen. Die Herausgeberin schreibt:

    Die Interpretationshoheit al-Djauzis wird in den traditionalistischen Kreisen nicht angezweifelt, da die im Text niedergelegten kulturellen Gedächtnisinhalte dem Text und seinem Autor eine sakrosankte Aura verleihen. Die feministischen Forscherinnen und Forscher vergeben die große Möglichkeit, auf die menschliche Konzeption von gelenkter Erinnerung in den "Weisungen für Frauen" aufmerksam zu machen. Kritische Interpretation kann nicht durch bloße, von außen an den Text herangetragene Geschlechterkonzeption geschehen. Auch [der Text von al-Djauzi] bildet eine subversive Kraft aus, die der von oben verordneten Erinnerung und Erinnerungsarbeit entgegensteht und die es zu entdecken gilt."

    Einfach gesagt: Man soll die Quellen des rückschrittlichen Islams nicht den Islamisten überlassen. Zur Verwirklichung dieses ehrgeizigen Programms könnte die deutsche Edition des "Buchs der Weisungen für Frauen" einen Baustein liefern. Dass es genau deshalb keine erfreuliche Lektüre ist und besonders die unvorbereiteten Leserinnen und Leser eher erbosen denn erbauen wird, kann dem Verlag und der Herausgeberin nicht angelastet werden. Zu fragen bleibt jedoch, ob die kritische Auseinandersetzung mit dem traditionellen islamischen Frauenbild in Form eines schwungvollen Essays nicht überzeugender und leserfreundlicher verwirklicht worden wäre. Und schließlich, ob es nicht grundsätzlich sinnvoller wäre, eher diejenigen islamischen Texte vorzustellen, denen auch heutige Leser etwas abgewinnen können, als diejenigen, die berechtigterweise zunächst eine Abwehrreaktion hervorrufen.

    Ibn al-Djauzi: "Buch der Weisungen für Frauen" (Kitab Ahkam an-nisa). Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Hannelies Koloska. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt 2009. 324 S., geb., 26,00 Euro