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"Der Adressstandard ist ja immerhin vor zwölf Jahren verabschiedet worden"

Internet.- Wenn die Adressen von IPv6 eingeführt werden, könnte es zu Problemen im Zusammenspiel mit den herkömmlichen Adressen der Version 4 kommen. Deshalb wird jene Koexistenz bereits schon jetzt ausgiebig getestet.

Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 05.02.2011
    Manfred Kloiber: 8. Juni solle es also sein – der sogenannte Dual stack day. Dann soll ausprobiert werden, wie die beiden IP-Versionen nebeneinander betrieben werden können. In einigen Unternehmen und mit verschiednen Websites sind schon während der vergangenen Monate solche Tests gelaufen. Welche Erkenntnisse haben denn die denn gebracht, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Naja, auf alle Fälle, dass nachgebessert werden muss – und deshalb sind diese Tests ja auch mit besonderer Spannung erwartet worden. Geprüft wurde da übrigens, wie es eigentlich genau aussieht, wenn beispielsweise derselbe Domainname unter IP-Version 4 und unter IP-Version 6 erreicht werden soll. Und da hat sich dann ergeben: Das funktioniert bei einfachen Webpräsenzen, die eben einfach nur Texte und Bilder auf ihrer Seite anbieten ganz gut. Also der reine Zugriff auf Webseiten unter beiden IP-Versionen klappt, aber problematisch wird es eben bei einigen Content-Management-Systemen und -anwendungen, also auf Seite der Anbieter. Und sehr problematisch wird es immer noch, wenn aufwendigere Software ... etwa für anspruchsvoll Crossmedia-Software oder den Crossmedia-Betrieb, Crossmedia-Angebote – oder wenn sogar betriebswirtschaftliche Software integriert werden sollen.

    Kloiber: Und welche Probleme haben sich da ergeben?

    Welchering: Vor allen Dingen hat man erkannt, dass sehr viele Umstellungsarbeiten nötig sind. Bei den Content-Management-Systemen beispielsweise, die Inhalte für eine Domain aufbereiten sollen, die dann eben unter der IPv4-Adresse und unter der IPv6-Adresse erreichbar sei sollen, da gab es beispielsweise bei den Verlinkungen doch noch einige Probleme. Und erstaunlicher Weise mussten Experten dann feststellen: Tatsächlich wird hier mitunter noch mit einer Direktverlinkung auf IPv4-Adressen gearbeitet, also gerade nicht über das Domain-Name-System gegangen. Und ansonsten gibt es eben auch noch erheblich Nachhol- und Anpassungsbedarf auf der Anwendungsebene. Die Anwendungssoftware arbeit da auch mitunter immer noch mit direkten Zugriffen auf IPv4-Adressen – das muss geändert werden. Aber insgesamt kann man sagen, auf der Netzwerkebene, beim Betrieb der Router, haben sich keine wesentlichen Probleme gezeigt. Da ist zumindest die Unternehmenswelt bisher wohl ganz gut aufgestellt.

    Kloiber: Immer wieder wird ja auch der Fokus in der Diskussion auf die Frage nach der personenbezogenen IP-Adresse, beziehungsweise auf die personenbezogenen IP-Adressen gerückt: Warum ist das gerade bei der Einführung der IP-Version 6 so ein Thema?

    Welchering: Vermutlich weil mit Version 6 enorm viele Internetadressen verfügbar sind. Umgerechnet kann hier jeder Mensch auf dieser – also es gibt gut sechs Milliarden Menschen – und jeder Mensch auf dieser Erde könnte für sich nach IPv6 340 Millionen IP-Adressen in Anspruch nehmen und haben. Und da haben sich dann einige Regierungen gedacht: Na, da wäre es doch ganz schick, wenn man dann als Regierung einige Adressblöcke gleich reservieren würde für den Einsatz als personenbezogene IP-Adresse. Und das sollten ja zusammenhängende Blöcke sein, so dass wirklich so ein Staat seine Bewohner von A bis Z durchnummerieren kann mit so einer IP-Adresse, und dazu braucht er eben zusammenhängende Blöcke und nicht Blöcke, die auseinander liegen. Denn sonst wäre ja die Administration dieser persönlichen IP-Adressen doch wieder aufwendig. So kann man sie einheitlich administrieren. Und über diese Adresse wäre ein Mensch natürlich viel besser zu identifizieren als etwa über Hilfsmittel wie Steuernummer oder Personalausweisnummer oder ähnliches – und darin liegt eben das Datenschutzrisiko: Über eine solche IP-Adresse können Internetnutzer flächendeckend überwacht werden. Da können sehr unaufwendig eben dann auch Profile automatisch erstellt werden.

    Kloiber: An diesem Donnerstag sind ja nun die letzten Adressblöcke IPv4 an die Internetregistrare übergeben worden – wie viele Adressen nach dem IPv4-Standard können denn jetzt noch an die Provider und vor allen Dingen an die Endkunden verteilt werden?

    Welchering: Also wenn man vom Donnerstag ausgeht, da sind knapp 90 Millionen IPv4-Adressen an die regionalen Registrare verteilt worden. Das reicht also noch einige Monate. Und Internetexperten wie Paul Wilson gehen davon aus, dass noch ungefähr über mindestens drei bis vier Jahre IPv4-Adressen über die Provider an die Endkunden vergeben werden können – zumal ja noch ein großer Vorrat bei den Providern liegt. Dennoch ist ja so ganz langsam die Vergabe von IPv6-Adressen schon vor langer Zeit aufgenommen worden. Der Adressstandard ist ja immerhin vor zwölf Jahren verabschiedet worden - da war Version 6 sozusagen fertig. Aber die Nachfrage blieb eben doch bisher noch sehr zögerlich nach IPv6-Adressen.

    Kloiber: Und wie ist diese Zögerlichkeit zu erklären?

    Welchering: Naja, zum einen natürlich durch die Anwendungssoftware, die in vielen Fällen eben noch nicht fertig war für IPv6. Und da entsteht schon ein gewisser Umstellungsaufwand – also sehr viele Protokollschichten müssen einfach neu geschrieben werden, es müssen Direktverlinkungen rausgenommen werden – dieser Aufwand wird einfach gescheut. Und dann gibt es auch noch einmal ein Ausbildungsproblem. Darauf haben unter anderem auch das DENIC und andere Stellen hingewiesen. Und dieses Ausbildungsproblem hat damit zu tun, dass Computerexperten die Adresszuteilung und die Adressverwaltung nach dem IPv4-Standard in ihrem Studium gelernt haben – und eben noch nicht nach dem IPv6-Standard, obschon der schon seit zwölf Jahren eigentlich einsatzbereit ist. Also die Kurrikula sind da ein wenig veraltet und es gibt nur sehr wenig Ausbildungsgänge, in denen die Studenten und die Computerexperten bereits mit IPv6 in Berührung kommen können. Und das muss jetzt dringend geändert werden.